Mit Büchse und Holzbrett auf den Spuren der eigenen Verhaltensmuster
Was lässt sich erkennen, wenn ein Team mit Wasser gefüllte Büchsen transportiert und imaginäre Elektrozäune überwindet? Rollen, Verhaltensweisen und Muster, die sich so oft auch im Arbeitsalltag zeigen. Das Lehrerteam der Sekundarschule Oetwil am See wollte es wissen und löste einen Tag lang in Begleitung von zwei Coachs mit viel Humor knifflige Aufgaben.
(Foto: Corina Hany)
«Ihr habt es in einer Zeit von ...», Coach Beat Stähli legt eine kleine Kunstpause ein, «... 45 Sekunden geschafft!» Der Jubel ist gross, Arme werden in die Höhe gerissen, Schulterklopfer und «Gimme Five» verteilt und auf allen Gesichtern der dreizehn Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarschule Oetwil liegt ein glückliches Strahlen. Sie haben die von ihnen selbst vorgegebene Zeit von 54 Sekunden, in denen zwei Teams nacheinander verschiedene Bretter zu einem vorgegebenen Muster zusammenfügen mussten, um ganze neun Sekunden unterboten.
Am frühen Morgen war die Stimmung noch eine andere. Als die versammelte Mannschaft kurz nach neun zur Begrüssungsrunde auf den in Kreisform aufgestellten Stühlen dasitzt, ist einigen anzusehen, dass sie lieber im warmen Bett geblieben wären. Stattdessen mussten sie an diesem trüben, windigen Samstagmorgen ins nebelverhangene Asp ob Aarau reisen; ein Teamentwicklungstag im Tagungszentrum Herzberg unter dem Motto «Raus aus dem Klassenzimmer in die freie Natur» steht auf dem Programm.
Erlebnisorientiertes Lernen lässt Rollen und Muster sichtbar werden
An einem solchen Tag steht laut Gertrud Rechsteiner, Organisationsberaterin BSO und Inhaberin von teamcom, erlebnisorientiertes Lernen im Vordergrund. «Ganz im Sinne von Pestalozzi: mit Kopf, Herz und Hand.» Im Laufe des Tages wird das Team vor verschiedene knifflige, aber lösbare Aufgaben gestellt. «Bei diesen Übungen erlebt sich jeder Einzelne in seiner Rolle», erklärt Rechsteiner. Nach zwei bis drei Übungen zeichnen sich mehrheitlich Verhaltensweisen und Muster ab, die auch in den Alltag übertragen werden können. «Beim anschliessenden Reflektieren der Aufgaben werden Erkenntnisse ausgetauscht und die Gruppe erarbeitet unter Anleitung des Coachs Massnahmen, welche dann konkrete Veränderungen im Arbeitsalltag einleiten.»
Als Einstieg formulieren die Lehrerinnen ihre Erwartungen und Bedenken gegen diesen Tag. Dabei fragen sich einige, ob diese Übungen überhaupt eine Auswirkung auf den Arbeitsalltag haben können, und andere graut es schlicht vor dem Frieren. Neben dieser Zurückhaltung ist aber auch bereits eine humorvolle Stimmung zu spüren. So erwarten die Lehrer, welche Klassen der zweiten Stufe unterrichten, von jenen Kollegen mit Klassen der dritten Stufe, dass sie ihre dreckigen Schuhe putzen, falls sie als Sieger aus den Übungen hervorgehen sollten. Das Gelächter im Plenum ist gross, als den beiden Coachs Gertrud Rechsteiner und Beat Stähli erklärt wird, was der Satz «JGT 3 putzt Schuhe von JGT 2» auf dem blauen Zettel an der Wand zu bedeuten hat.
Die Lehrer treffen sich bereits zum dritten Mal zu einem solchen Teamentwicklungstag. Nicht in dieser Zusammensetzung, denn es habe in letzter Zeit einige Wechsel gegeben, erzählt Schulleiter Mark Bugmann. Dafür arbeitet er seit Beginn mit Gertrud Rechsteiner zusammen. «Wenn man Nachhaltigkeit will, muss der rote Faden immer wieder aufgegriffen werden.» Eine Arbeit, die bereits vor diesem Tag begonnen hat: Mit zwei bis drei Gesprächen zwischen Bugmann und Rechsteiner, in denen der Auftrag geklärt und die Ziele vereinbart werden. Zu einem späteren Zeitpunkt erhält der Schulleiter in einem persönlichen Gespräch auch noch ein detailliertes Feedback von Rechsteiner, das Möglichkeiten aufzeigt, welche Schwerpunkte in der weiteren Zusammenarbeit mit dem Team beachtet werden könnten.
Überraschungen erwartet Bugmann dabei keine. «Für mich wäre es wenig professionell und seltsam, wenn ich im Sinne eines Aha-Erlebnisses gemerkt hätte, dass unser Team ganz anders ist, als ich es eingeschätzt habe.» Trotzdem sei für ihn dieses Feedback fast so wichtig wie der Tag selbst, da er durch Rechsteiner jeweils wichtige Hinweise von aussen bekomme.
Inzwischen muss die Gruppe, die bei allen drei Übungen in zwei Teams unterteilt wird, als erste Aufgabe ein an Schnüren befestigter Gummiring über eine mit Wasser gefüllte Büchse stülpen und diese so von einer Harasse zur anderen tragen. Zuerst bekommen sie einige Minuten Zeit, um das Vorgehen zu besprechen. Dabei dürfen die Lehrer das Material nicht berühren. Sobald sie in Aktion treten, herrscht Sprechverbot. Ebenso dürfen die Schnüre nur an den Enden gehalten werden und müssen immer gespannt bleiben. Wenn Wasser ausgeleert wird, muss das Team nochmals von vorne beginnen. Kurz nachdem die Übung gestartet worden ist, scheint es, als ob das Team mit den jüngeren Lehrern die Nase vorn hat. Doch plötzlich scheppert es – und das Wasser fliesst auf den Boden. Das andere, gemächlicher vorgehende Team überholt in aller Ruhe die Unglücksraben und jubelt lautstark, nachdem es sein Ziel erreicht hat. Kurz darauf geht es allerdings wieder an die Arbeit: Die Teammitglieder tauschen sich darüber aus, wie sie ihre Rollen und die Zusammenarbeit während der Übung erlebt haben. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden diskutiert und in Bezug zum Arbeitsalltag gesetzt.
Wenig bleibt verborgen: Was läuft gut und wo liegen die Konflikte?
Bei der nächsten Aufgabe ist Körpereinsatz gefragt. Im Wald gilt es, einen «Elektrozaun», symbolisiert durch ein zwischen Bäumen gespanntes Seil, zu überwinden. Zur Verfügung stehen drei lange Pfähle und ein kurzer sowie zwei lange Seile. Auf der anderen Seite des «Zaunes» steht eine Leiter. Bevor diese ins Spiel kommen kann, muss es allerdings erst ein Teammitglied auf die andere Seite schaffen – mit den vier Pfählen und zwei Seilen. Das Team nimmt sich Zeit und überlegt hin und her, wie es das vorgegebene Ziel erreichen könnte. Das geschieht lebhaft und konzentriert. Schritt für Schritt werden die verschiedenen Möglichkeiten durcgehdacht und schliesslich sind sich die Mitglieder einig: So machen wir es.
Ganz einfach ist die Umsetzung dann aber doch nicht: Die Konstruktion muss mit viel Kraft gehalten werden und der erste, der drübergeht – ein ehemaliger Kunstturner – braucht sein Können. Denn von oben einfach herunterspringen geht nicht. «Das ist zu gefährlich», interveniert Stähli.
Bei der anschliessenden Auswertung bemerkt der Coach dann auch, dass er einige Male kurz davor gewesen sei, die Übung zu unterbrechen. «So wie ihr das gemacht habt, hab ich das noch bei keinem Team vorher gesehen.» Bei einer weniger sportlichen Gruppe hätte er es auch nicht zugelassen. So aber können die Lehrerinnen und Lehrer das Lob vom Coach und ihren Erfolg geniessen: Vier von sieben haben den «Elektrozaun» überwunden; keine Selbstverständlichkeit, «denn es kommt immer wieder vor, dass es bei dieser Übung gar niemand auf die andere Seite schafft», erklärt Stähli.
Zurück im Gruppenraum, reflektieren die Teammitglieder auch diese Übung. Bei den Gesprächen wird spürbar, dass sich das Team gut versteht und die sichtbar werdenden Konflikte keine unbekannten sind. «Wir wissen, wo wir dranbleiben müssen», bestätigt Schulleiter Mark Bugmann. Ebenso, dass sein Team gut zusammenarbeitet. «Wir gehen offen und transparent miteinander um. Und wir haben Humor, das erleichtert vieles.» Zum Abschluss des Tages schreibt jedes Mitglied noch einen Brief an sich, worin festgehalten wird, an welchen Themen man künftig dran bleiben will. Ihr Schulleiter wird ihnen diesen einen Monat später ungeöffnet zustellen. Auch als Erinnerung an einen tollen Tag mit vielen strahlenden Gesichtern.