Best Practice Beispiel

Mit «WorkOcracy» ins neue Arbeitszeitalter

Vertrauen statt Kontrolle, Ferientage nach eigenem Ermessen: Der Vermögensberater 1291 Group geht neue Wege. Im Zentrum stehen nach wie vor der Leistungsauftrag und das einwandfreie Ergebnis für die Kunden. Doch wie dies erreicht wird, bestimmen die Teammitglieder nun weitgehend selbst.

Eigentlich wissen wir alle es schon längst: Die traditionellen Arbeitsmodelle werden den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht, denn sowohl die Ansprüche der Mitarbeitenden an das Arbeitsumfeld als auch die des Arbeitgebers an die Mitarbeitenden haben sich geändert.

Gemäss Studien beschränkt sich die produktive Zeit auf drei bis fünf Stunden täglich, trotzdem sitzt der Grossteil der Arbeitenden jeden Tag acht bis neun Stunden im Büro. Insgesamt betrachtet ist arbeiten somit auch irgendwie Zeitverschwendung. Vielerorts, auch in der Finanzbranche, wird physische Präsenz noch immer zu hoch bewertet: Wer viel Präsenz zeigt, wird eher befördert. Und so wurden moderne Arbeitsmodelle bisher skeptisch betrachtet.

Auch bei uns war in der Vergangenheit zum Beispiel Homeoffice eher die Ausnahme und wurde nur in speziellen Fällen gewährt. Sich selbst organisierende Teams oder gar mehr als fünf Wochen Ferien – beziehungsweise Ferien nach Bedarf – wurden bisher nicht thematisiert.

Dann kam Corona und der damit verbundene erste Lockdown stellte bestehende Arbeitsplatzmodelle in Frage. Inzwischen besteht gar eine Homeoffice-Pflicht für Schweizer Unternehmen. Für uns ist dies der passende Zeitpunkt, das bereits 2020 eingeführte neue Arbeitsmodell, nochmals um ein Wesentliches flexibler zu gestalten: eigenständige Einteilung von Arbeitszeiten und -orten sowie Urlaub nach eigenem Ermessen.

Anfängliche Skepsis – schnell verflogen

Die Bedenken, die zum Teil beim ersten Lockdown noch vorhanden waren, haben sich auch bei uns schnell als unbegründet erwiesen. Auch von Zuhause aus arbeiteten unsere Mitarbeitenden hochmotiviert, Qualitätseinbussen gab es keine. Und dies trotz teils erschwerten Arbeitsbedingungen, sei es durch Kinder, die ein Tages- beziehungsweise Schulprogramm benötigten, oder durch den Umstand, ganz allein von Zuhause aus zu arbeiten.

Bei der Umstellung ins Homeoffice kam uns zugute, dass ein vollständig virtueller Arbeitsplatz schon vor dem Lockdown existierte. Für die Mitarbeitenden ging es im März 2020 primär darum, sich zuhause einen gemütlichen, funktionierenden Arbeitsplatz einzurichten und mit den neuen Gegebenheiten zurechtzukommen.

Die guten Erfahrungen dieser Zeit decken sich mit jenen, die ich bei früheren Arbeitgebern gemacht habe: Mein damaliges Team bestand zu 80 Prozent aus Frauen, die ständig Familie und Karriere jonglieren mussten. Das Modell der freien Arbeitszeitwahl erhöhte nicht nur massiv ihre Einsatzbereitschaft, sondern auch die Qualität der Arbeit. Die Effizienz wurde auf ein höheres Level gehoben mit dem Nebeneffekt, dass auch Krankheitstage oder andere Ausfalltage drastisch zurückgingen.

Freiheit und Vertrauen statt Zeitabsitzen und Kontrolle

Auch nach Ende des Frühling-Lockdowns war deshalb klar, dass wir nicht zum «Nine-to-Five Modell» und «Business as usual» zurückkehren. Die guten Erfahrungen der letzten Monate haben uns in der Absicht bestärkt, unser Arbeitsmodell von Grund auf umzustellen. Das entsprechende Projekt heisst «WorkOcracy» (Work & Democracy) und wird seit Anfang Oktober 2020 laufend umgesetzt.

«WorkOcracy» ist wörtlich zu verstehen, sprich: wann, wo, wie – und wieviel – gearbeitet wird, bestimmten die Teammitglieder demokratisch und in Absprache untereinander. Dies umfasst die Soll-Arbeitsstunden, Gleitzeitenregelung, Arbeitsort und sogar die Anzahl der Ferienwochen. Im Zentrum steht die einwandfreie Erfüllung des Auftrags, nicht die Art und Weise, wie es geschieht. Was uns trotzdem wichtig ist: Das gesamte Team trifft sich während des Lockdowns virtuell, ansonsten einmal pro Woche im Büro, dies, um weiterhin den Teamgeist und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern. 

Damit ein Modell mit derart vielen Freiheiten funktionieren kann, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. An erster Stelle steht Vertrauen. Einerseits muss das Management den Mitarbeitenden vertrauen und andererseits davon ausgehen können, dass alle am gleichen Strick ziehen, und dass die gewährten Freiheiten nicht ausgenutzt werden. An zweiter Stelle folgen Kommunikation und die Kommunikationsfähigkeit des Managements mit dem Team und der Teammitglieder untereinander. Nur wenn sich alle gerecht behandelt fühlen, profitieren auch alle und können somit ihr volles Potenzial ausschöpfen.

Gelebte «Open-Door»-Politik

Falls der Eindruck bei einem Teammitglied entsteht, es arbeite mehr als die anderen, oder etwas mal nicht «rund läuft», sollte dies umgehend besprochen werden. Aus der Praxis wissen wir jedoch, dass sich Menschen hierbei unterschiedlich verhalten. Es gilt also, aufeinander zu achten. Von Natur aus kommunikativere Teammitglieder sollten für weniger extrovertierte Kolleg*innen in die Bresche springen und Unstimmigkeiten ansprechen.

Eine besondere Rolle kommt dabei uns Führungskräften zu. Wir müssen den Überblick behalten und korrigierend eingreifen, wenn sich das Team in die falsche Richtung bewegt. Dazu braucht es verschiedene Fähigkeiten: Empathie, hohe Kommunikationsfähigkeit und nicht zuletzt Qualitäten im Konfliktmanagement. «Open-Door- und Ohr-Politik» darf nicht nur eine Phrase sein.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Patrick Knecht ist COO der 1291 Group.

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