«Mitarbeitende sind keine Maschinen, die sich an- und ausschalten lassen»
Marek Kammermann entschied sich vor acht Jahren, 500 Kilometer auf dem Jakobsweg zu wandern. Seither ist er ein anderer Mensch: zufrieden und ausgeglichen. Seine Erkenntnisse beschreibt der Laufbahnberater in seinem Buch «Via Gebennensis – mein Jakobsweg».
Seit er den Jakobsweg gemeistert hat, weiss Marek Kammermann, Laufbahnberater und Coach, was seine Stärken sind und wie er Sinn in seiner Arbeit findet. (Bild: zVg)
Herr Kammermann, weshalb sind Sie den Jakobsweg gegangen?
Marek Kammermann: In meinem damaligen Beruf war alles leistungsorientiert. Auch in meinem Privatleben stand ich vor einigen Veränderungen. Auf mir lastete ein gewaltiger Druck. Es blieb kaum Zeit für mich selbst. Irgendwann hatte ich mich so weit von mir selbst entfernt, dass ich mir nicht mehr sicher war, wer ich eigentlich bin. Nachdem ich den Schweizer Film «Camino de Santiago» gesehen hatte, wurde mir klar, dass mir der Jakobsweg weiterhelfen könnte. Rückblickend stelle ich fest, dass ich knapp vor einem Burnout stand.
Was waren Ihre Erwartungen an dieses Abenteuer?
Erwartungen sind auch immer mit Enttäuschungen verbunden. Ich wollte diese Reise möglichst weltoffen angehen und das Abenteuer so annehmen, wie es mir entgegentritt. Eines wusste ich aber: Seit hunderten von Jahren pilgern Menschen diesem Weg entlang und haben sich so selbst besser kennengelernt. Deshalb ging diese Reise mit einer grossen Vorfreude heran.
Auf Ihrer Reise mussten Sie einige Prüfungen durchlaufen. Ein Beispiel?
Schon in den ersten Wochen musste ich eine längere Pause einlegen und sogar einen Arzt aufsuchen, weil ich mein Fussgelenk dermassen überstrapaziert hatte, dass ich kaum mehr gehen konnte. Ich hatte diese zahlungsorientierte Leistungsmentalität so verinnerlicht, dass ich meine Ambitionen zu hoch setzte und ein zu hohes Lauftempo an den Tag legte. Die Pause zwang mich zur Besinnung.
Ein Höhepunkt Ihrer Reise?
Ich habe besser gelernt auf mich und meinen Körper zu hören – und zu schätzen, was er alles leisten kann. Es war ein tolles Gefühl, als ich endlich loslassen konnte, meinen Rhythmus fand und sich eine neue, für mich angemessene Routine einpendelte.
«Um akzeptiert zu werden, sind Andere deshalb dazu gezwungen, sich im Berufsalltag zu verstellen»: Deshalb wünscht sich Kammermann mehr Authentizität in der Unternehmenskultur. (Bild: zVg)
Das Abenteuer liegt ein paar Jahre zurück, dennoch hat es Ihre Denkweise nachhaltig geprägt. Was haben Sie auf dieser Reise gelernt?
Was mir stark geblieben ist, wie authentisch, vorurteilslos und ehrlich die Gespräche mit meinen Weggefährten waren. In der Businesswelt schwingt in den Begegnungen immer ein bisschen Manipulation mit, man ist immer auf den eigenen Vorteil aus. Um akzeptiert zu werden, sind Andere deshalb dazu gezwungen, sich im Berufsalltag zu verstellen. Auf die Dauer kann das nicht gesund sein. Authentizität ist mir heute sehr wichtig.
Heute sind Sie als Laufbahnberater tätig. Was raten Sie Menschen, die mit ihrem Leben und ihrer Arbeitssituation unglücklich sind?
Als erstes geht es darum, herauszufinden, ob es sich um eine kurzfristige oder langfristige Unzufriedenheit handelt. Bei langfristigen Problemen schlägt das früher oder später auf die Gesundheit. Hier muss man sich die eigene Prioritätenliste genau überprüfen und vielleicht einen Schritt zurückstufen oder eine Pause einlegen. Veränderungen im Menschen geschehen meist durch äusseren Druck oder durch die oder Sehnsucht nach Neuem. Dazu muss man bereit sein, die eigene Komfortzone zu verlassen, um aus dieser Situation herauszukommen.
Nicht alle Menschen haben die Möglichkeit, ihr aktuelles Leben für eine grosse Selbstfindungsreise aufzugeben…
Sein eigenes Potenzial entdeckt man, indem man überlegt: Was ist der rote Faden in meinem Leben? Was hat mich seit meiner Kindheit immer wieder motiviert Was liess mich die Zeit vergessen? Das muss nicht unbedingt beruflich sein – in meiner Erfahrung stellt sich eine tiefe Zufriedenheit ein, wenn seine Stärken zum Wohle der Gesellschaft zum Einsatz kommen.
Was muss sich am modernen Arbeitsplatz ändern?
Man muss Mitarbeitende Mensch sein lassen! Sie sind keine Zahl, Rendite oder eine Maschine, die sich an und ausschalten lässt. Damit Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten können, müssen Unternehmen, sie als Individuum anerkennen, wertschätzen und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Stimmen die Rahmenbedingungen, steigt deren intrinsische Motivation automatisch.
Buchtipp
Marek Kammermann, Via Gebennensis – Mein Jakobsweg, mein-wunschjob.ch, 2023, 176 Seiten.