Neue Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter: Was Unternehmen jetzt brauchen
In einer sich rasant digitalisierenden Arbeitswelt bleibt das Bedürfnis nach Stabilität und Führung stark. Doch die Rolle der Führungskraft wandelt sich: Gefordert ist nicht nur das Management von Aufgaben, sondern auch das Gestalten von Beziehungen in einem vernetzten und unsicheren Umfeld. Welche Führungskompetenzen relevant werden.
Das digitale Zeitalter erfordert ein neues Mindset von Führungskräften. (Bild: iStock)
In den Unternehmen verändert sich zurzeit vieles – nicht nur aufgrund der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft. Eines verändert sich jedoch kaum: der Mensch Mitarbeiter. Er wünscht sich weiterhin Halt und Orientierung – und zwar umso mehr, je instabiler sein Arbeits- und Lebensumfeld wird.
Doch wer soll dem Mensch Mitarbeiter im Betriebsalltag dieses Gefühl vermitteln, wenn in den Unternehmen fast alles auf dem Prüfstand steht? Letztlich können dies nur die Führungskräfte sein. Deshalb wird Führung im digitalen Zeitalter immer wichtiger.
Führung muss sich verändern
Zugleich muss sich Führung jedoch verändern – unter anderem, weil die für den Unternehmenserfolg relevanten Leistungen zunehmend von bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifenden Teams erbracht werden, die zudem häufig einen hybriden oder virtuellen Charakter haben. Deshalb haben die Führungskräfte seltener einen uneingeschränkten Zugriff auf ihre Mitarbeitende und ihr Tun. Sie müssen diese vielmehr an der langen Leine führen und auf ihre Loyalität, Integrität und Kompetenz vertrauen. Ausserdem müssen sie stärker mit den anderen Führungskräften kooperieren und mit ihnen die Arbeit der Mitarbeitende koordinieren.
Hinzu kommt: Die für die Kunden und Kundinnen erbrachten Lösungen setzen immer mehr Spezialwissen voraus, das die Führungskräfte selbst nicht haben. Also sind sie beim Erbringen der gewünschten Leistung stärker auf das Können und die Eigenmotivation der Mitarbeitenden angewiesen – auch weil ihre Bereiche immer häufiger vor Herausforderungen stehen, für die sie noch keine Lösung haben. Deshalb können die Führungskräfte zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seltener mit Sicherheit sagen «Wenn wir das tun, haben wir Erfolg». Sie müssen vielmehr mit ihnen Versuchsballons starten und herausfinden, was die richtige Lösung sein könnte, und dann im Prozess ermitteln, was zielführend ist.
Beziehungs- und Netz-Manager werden
Wie ist in einem solchen Umfeld erfolgreiche Führung möglich? Der einzig mögliche Lösungsweg ist: Die Führungskräfte müssen sich als Beziehungsmanager verstehen, deren Kernaufgabe es ist, die Beziehungen im sozialen System Unternehmen so zu gestalten, dass Mitarbeitende effektiv zusammenarbeiten können; ausserdem als emotionale Leader, deren Aufgabe es ist, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu inspirieren, so dass diese sich freiwillig für das Erreichen der Ziele engagieren.
Viele Führungskräfte haben dies in der Vergangenheit schon getan, doch nur bezogen auf die ihnen unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In den modernen High-Performance-Organisationen sind die Unternehmensbereiche jedoch eng miteinander verwoben; sie kooperieren zudem in der Regel mit vielen externen Partnern, die wichtige Teilaufgaben erfüllen. Deshalb müssen die Führungskräfte ein stets komplexeres Netzwerk führen, auch weil die Belegschaften der Unternehmen immer heterogener werden – und dies in einem von permanenter Veränderung geprägten Umfeld, in dem letztlich niemand weiss, was die Zukunft bringt.
Führungskräfte brauchen neue Kompetenzen
Beim Entwickeln der Kompetenz der Führungskräfte lassen sich drei Kompetenzbereiche unterscheiden
1. Persönlichkeitsintelligenz
Dieser Kompetenzbereich umfasst primär die Ebene des eigenen Selbstverständnisses. Dieses ist bei «Digital Leadern», also den Führungskräften die Unternehmen im digitalen Zeitalter brauchen, dadurch geprägt, dass sie sich als Lernende verstehen. Sie hinterfragen regelmässig ihr Verhalten und dessen Wirkung und entwickeln sich als Person weiter. Eng verknüpft damit sind Eigenschaften wie Neugier und Bereitschaft zur Veränderung.
2. Beziehungsintelligenz
Dieser Kompetenzbereich umfasst die Fähigkeiten, die zum Auf- und Ausbau tragfähiger Beziehungen nötig sind. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Empathie – also das Einfühlungsvermögen in andere Personen und Konstellationen – sowie der wertschätzende Umgang mit den (persönlichen) Interessen und Bedürfnissen der Netzwerkpartner.
3. Digitalintelligenz
Ein zentrales Element dieses Kompetenzbereichs ist der sogenannte «Zukunftsblick». Hierzu zählt neben einer Vision, wohin der gemeinsame Weg führen soll, das Bewusstsein, dass der technische Fortschritt (nicht nur im KI-Bereich) neue Problemlösungen ermöglicht, und es die hieraus sich ergebenden Chancen zu nutzen gilt. Das setzt neben einem interdisziplinären Denken eine solide Digitalkompetenz voraus. Diese Kompetenz zeigt sich nicht darin, dass eine Führungskraft beispielsweise der beste Programmierer oder Nutzerin von KI-Tools ist. Sie zeigt sich vielmehr darin, dass sich die betreffende Person, allein oder mit Expertenunterstützung, ein fundiertes Urteil darüber bilden kann, welche Chancen und Risiken sich aus dem technischen Fortschritt – zum Beispiel im Bereich Künstliche Intelligenz – ergeben und somit entscheidungs- und handlungsfähig ist.
Führungskräfte, die über die genannten Fähigkeiten und Eigenschaften verfügen, können die emotionalen Leader werden, nach denen sich Menschen in einem von Instabilität und Veränderung geprägten Umfeld sehnen. Sie können «Persönlichkeitsmarken» werden, denen ihre Mitarbeiter und Netzwerkpartnerinnen gerne folgen, weil sie ihnen vertrauen.
Führungskräfte brauchen eine aktive Unterstützung.
Bei dieser Entwicklung zu einem digitalen Leader brauchen die Führungskräfte nicht nur eine aktive Unterstützung, sie wünschen sich diese auch. Faktisch liegt die Führungskräfteentwicklung in vielen Unternehmen jedoch zurzeit weitgehend auf Eis, da diese zwar wissen, dass ihre Führungskräfte künftig ein teils anderes Kompetenz- und Persönlichkeitsprofil brauchen, doch welches ist ihnen noch unklar. Deshalb stellten viele Unternehmen in den letzten Jahren ihre Management- und Führungskräfte-Entwicklungsprogramme, auf die sie ehedem so stolz waren, vorübergehend ein.
Eine Folge hiervon ist: Eine wachsende Zahl von Führungskräften fühlt sich in schwierigen Zeiten alleine gelassen, weshalb sich bei ihnen Frust anstaut. Sie fühlen sich zudem nicht selten überfordert. Das registrieren auch ihre Mitarbeitenden. Das zeigte sich unter anderem bei einer Online-Befragung von Nachwuchsführungskräften im Alter von bis 35 Jahren in Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigen, die das IFIDZ durchführte. Bei ihr
- gaben drei Viertel der Befragungsteilnehmer an, die «etablierten Führungskräfte» in ihrem Unternehmen würden den Prozess der Digitalen Transformation sowie Etablierung einer neuen Kultur der Zusammenarbeit nicht aktiv gestalten, und
- mehr als zwei Drittel waren der Überzeugung, dass sie diese beiden Themen nur halbherzig angingen. Das heisst, die nachrückenden, jungen Führungskräfte, die bereits Digital Natives sind und den Generationen X, Y und Z angehören, nehmen ihre älteren Führungskräfte-Kollegen oft als «Lähm-Schicht» wahr.
Zugegeben war diese Online-Befragung nicht repräsentativ. Dessen ungeachtet scheint jedoch in vielen Unternehmen ein latenter Generationenkonflikt zu bestehen, zwischen den jungen, auf- und vorwärts strebenden Führungskräften, die sich mehr Dynamik bei der Veränderung wünschen, einerseits, und den etablierten Führungskräften andererseits, die den Elan der «Nachrücker» – eventuell sogar zurecht bremsen – weil sie wissen: Bei allem berechtigen Veränderungsstreben muss auch noch das Alltagsgeschäft gemanagt werden.
Auch bei Führungskräfteentwicklung iterativ vorgehen
In diesem schwierigen und komplexen Umfeld für sich den richtigen Kurs zu finden, fällt offensichtlich sowohl jungen als auch erfahrenen Führungskräften oft schwer. Deshalb wäre eine systematische Führungskräfteentwicklung gerade jetzt wichtig – selbst wenn die Unternehmen aktuell noch nicht genau wissen, welche Fähigkeiten und Eigenschaften ihre Führungskräfte künftig brauchen.
Bei anderen Themen wie technische Innovation legen die Unternehmen wegen solcher Unsicherheiten ja auch nicht die Hände in den Schoss. Bei ihnen propagieren sie vielmehr, wenn der Lösungsweg noch unbekannt ist, ein iteratives Vorgehen: also zunächst einen Lösungsversuch wagen, dann die hierbei gesammelten Erfahrungen reflektieren und danach die Massnahmen neu oder nach-justieren. Ein solches Vorgehen sollten die Unternehmen auch bei der Führungskräfteentwicklung praktizieren, damit ihre Führungskräfte nicht zunehmend das Gefühl haben: Die lassen uns im Regen stehen.