Arbeitsfähigkeit

Nicht fit oder im falschen Job? Der WAI macht die Arbeitsfähigkeit transparent

Arbeitsfähigkeit ist die Grundlage für eine funktionierende Wirtschaft. Sie entsteht aus dem Zusammenspiel zwischen dem Einzelnen und seiner Arbeit. Sie kann abnehmen, gleich bleiben oder steigen. Der Work Ability Index macht die Arbeitsfähigkeit messbar. Doch weil dafür individuelle Gesundheitsdaten verwendet werden, ist die Gefahr von Missbrauch gross.

Es ist wohl der Traum vieler HR-Verantwortlicher: ein Messinstrument, das einfach und schnell einsetzbar das Verhältnis zwischen den individuellen Leistungsvoraussetzungen eines Mitarbeitenden und den Arbeitsanforderungen aufzeigt und gleichzeitig noch 
Prognosen zu seiner Arbeitsfähigkeit und 
potenziellen Invalidität bis hin zu seiner 
Lebenserwartung ermöglicht. Ein solches 
Instrument gibt es: den Work Ability Index, kurz WAI genannt. Aber gerade weil der WAI auf sensiblen Gesundheitsdaten beruhe, eine hohe Prognosekraft besitze und nur zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit auf individueller und kollektiver Ebene einzusetzen sei, dürfe er von Personalverantwortlichen nicht allein angewendet werden, sagt Joseph Weiss, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ressort Grundlagen Arbeit und Gesundheit beim Staatsekretariat für Wirtschaft (SECO) mit dem WAI beschäftigt.

Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Auch Klaus Stadtmüller, der als Arbeitsmediziner den WAI benutzt (siehe «Erfahrungsberichte»), sagt: «Der WAI ist kein Instrument, das in die Hände von HR-Mitarbeitenden gehört.» Trotzdem können HR-Leute enorm vom WAI profitieren, wenn seine Anwendung in ein betriebliches Gesundheitsschutz-Managementsystem eingebettet ist und von unabhängigen Leuten eingesetzt wird.

Zehn Fragen zu Gesundheit, Anforderungen und Leistungsreserven

Der Work Ability Index wurde in den achtziger Jahren unter der Leitung von Professor Juhani Ilmarinen am Finnischen Institut für Arbeitsmedizin (FIOH) im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Frage des zukünftigen Rentenalters entwickelt. In zahlreichen multidisziplinären klinischen Längsschnittstudien wurde der Index validiert. Der WAI ist ein Fragebogen, der zehn Fragen zu den physischen und psychischen Arbeitsanforderungen, dem Gesundheitszustand und den Leistungsreserven umfasst.

Die Fragen sind den sieben so genannten WAI-Dimensionen zugeordnet. Für jede Antwort werden nach einem gewichteten System Punkte verteilt. Das Gesamtergebnis ergibt den WAI-Wert. Bei einem Wert zwischen 7 und 27 Punkten gilt die Arbeitsfähigkeit als schlecht, bei 28 bis 36 Punkten als mittelmässig, bei 37 bis 43 als gut und bei 44 bis 49 Punkten als sehr gut. Je nachdem welche Gesamtzahl erreicht wird, sollte der Arbeitgeber mit fachlicher Unterstützung und geeigneten Massnahmen die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden wiederherstellen oder erhalten. Denn eine hohe Arbeitsfähigkeit ist fundamental für alle Beteiligten und grundlegend für eine funktionierende Wirtschaft. Für den Erwerbstätigen selber geht eine hohe Arbeitsfähigkeit mit Gesundheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit einher. Im Betrieb entscheidet sie über Leistung, Produktivität und Innovationsfähigkeit und in der Gesellschaft hat sie Auswirkungen auf die Stabilität der sozialen Systeme wie Invaliden- oder Rentenversicherungen.

Die Art der Arbeit, nicht das Alter macht arbeitsunfähig

Arbeitsfähigkeit wird definiert als «die Summe von Faktoren, die eine Person in einer 
bestimmten Situation in die Lage versetzen, eine gestellte Aufgabe erfolgreich zu bewältigen» (Juhani Ilmarinen, Jürgen Tempel, 
Arbeitsfähigkeit 2010, VSA, 2002). Es ist jedoch nicht der Arbeitnehmende allein, der über seine Arbeitsfähigkeit entscheidet, sondern sie entsteht in Wechselwirkung mit dem 
Arbeitsumfeld, wie das «Haus der Arbeitsfähigkeit» von Juhani Ilmarinen zeigt. Dieses Modell verdeutlicht, dass sowohl individuelle Ressourcen (körperliche, mentale und soziale Fähigkeiten, Gesundheit, Kompetenz, Werte) wie auch die Arbeit (Arbeitsumgebung, Inhalte und Anforderungen, soziales Arbeitsumfeld, Management und Führung) die Arbeitsfähigkeit mitbestimmen. Zudem geht aus dem Modell hervor, dass Arbeitsfähigkeit nicht nur formbar und erhaltbar ist, sondern auch wiederhergestellt werden kann. Aus diesem Grund hat das Alter nur bedingt Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit. «Altern ist ein extrem individueller Prozess», sagt Weiss. «Zwar gibt es gerontologische Defizitmodelle, die aufzeigen, was und wie sich im Durchschnitt im Alter alles verschlechtert. Diese sind aber meist erst ab 70 arbeitsrelevant und primär für Mediziner interessant.

Für einen Betrieb sind sie irrelevant, sogar gefährlich, weil sie alle älteren Arbeitskräfte in ein und denselben Topf werfen. Viel wichtiger ist es zu erkennen, dass sich mit dem Alter betriebswirtschaftlich wertvolle Kompetenzen herausbilden – allfällige Seh- und Krafteinbussen werden mit einfachen und günstigen Massnahmen kompensiert.» Bedeutend seien auch die Erkenntnisse aus der Befragung über die Arbeitsbedingungen 2005: «Sie zeigen unter anderem, dass mit zunehmendem Alter die Arbeitsanforderungen in etwa gleich bleiben, der Gestaltungsspielraum hingegen wird grösser. In der Regel bekommen ältere Mitarbeitende zunehmend mehr Kompetenzen, ihre Arbeit selbst zu gestalten. Das hat einen gesundheitsfördernden und motivierenden Effekt, der sich wiederum positiv auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt», sagt Weiss. Aus der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2002 gehe zudem hervor, dass bei beruflich unqualifizierten Arbeitnehmenden die krankheitsbedingten Abwesenheiten mit zunehmendem Alter stark und linear ansteigen, bei beruflich mittelmässig und gut Qualifizierten hingegen verändern sie sich nicht nennenswert.

Dass die Arbeitsfähigkeit im Alter nicht generell sinkt, sondern nur ihre Streuung grösser wird, bestätigen die Untersuchungen von Ilmarinen. Und in finnischen Längsschnittstudien hat sich sogar gezeigt, dass die Arbeitsfähigkeit eine Ressource ist, die auch im höherem Alter durchaus steigerbar ist.

Hohe Prognosekraft, aber auch 
hohe Missbrauchsgefahr

Es gibt zwei Möglichkeiten, den WAI anzuwenden. Einerseits kann er für Vergleiche von ganzen Teams, Abteilungen oder Gruppen eingesetzt werden. Andererseits helfen die 
individuell eruierten WAI-Werte eines einzelnen Mitarbeitenden, wenn es um eine betriebs- ärztliche Betreuung, karrierebegleitende 
Massnahmen, betriebliche (präventive) Gesundheitsförderung oder auch um berufliche Wiedereingliederung geht. Bei den organisationsbezogenen Vergleichen können die anonymisierten WAI-Endwerte von Personengruppen durchaus dem HR zur Verfügung gestellt werden, damit es aus den Resultaten Massnahmen ableiten kann. Die personenbezogene Auswertung der Ergebnisse einzelner Arbeitnehmender hingegen sollte eine Fachperson übernehmen. «Der WAI enthält Fragen, deren Beantwortung klar unter den 
Datenschutz fällt», erklärt Weiss. «Antworten zu Fragen wie ‹Leiden Sie an Stoffwechselkrankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychischen Beeinträchtigungen?›, die unter das Arztgeheimnis fallen, müssen mit besonderer Sorgfalt behandelt werden. Solche Aussagen sollten deshalb nur von bestimmten Fachpersonen wie etwa Betriebsärzten ausgewertet werden, die unter Schweigepflicht 
stehen und zielführende Massnahmen ableiten können.»

Die Möglichkeit des Missbrauchs sei hoch, wenn der WAI in falsche Hände gerate, sagt Weiss. Er kennt einen Fall in Norddeutschland, wo das HR einer Firma den WAI regelwidrig benutzte, um Bewerber zu screenen. Um solchem Missbrauch vorzubeugen, gibt das SECO den Schlüssel zur Auswertung des WAI (der Fragebogen selbst ist online verfügbar) nur an Verbände ab, die sich professionell mit Rehabilitation oder Reintegration beschäftigen, wie etwa die Schweizerische Gesellschaft für Arbeitsmedizin SGARM.

Arbeitnehmende können falsche 
Antworten geben

«Der WAI ist ein sehr beeindruckendes Tool, das eine grosse prognostische Aussagekraft hat», sagt Weiss. «Ein Betrieb sollte es aber nur im Rahmen eines klar deklarierten Unterstützungsprogramms zur Gesundheitsförderung anwenden und nur, wenn er seine Mitarbeitenden über die Befragung aufklärt und deutlich einen positiven Nutzen in Aussicht 
stellen kann. Eine vorherige Abstimmung mit der Personalvertretung ist daher sehr empfohlen.» Grundsätzlich sei es den Mitarbeitenden freigestellt, ob sie ihren WAI-Wert ermitteln wollen. «Der WAI basiert nur auf der subjektiven Selbsteinschätzung des Arbeitnehmenden; macht er nicht freiwillig mit oder vermutet er Absichten zu seinen Ungunsten hinter der Anwendung des Tools,  steht es ihm frei, falsche Antworten zu geben.»

Da der Indexwert weder Ursachen noch Konsequenzen einer verminderten Arbeitsfähigkeit abbildet, ist eine Zusammenarbeit aller Beteiligten notwendig. «Ein Fachexperte kann dem Mitarbeitenden helfen, den Fragebogen zu beantworten. Bei Handlungsbedarf und nach der Vereinbarung des weiteren Vorgehens sollten sich die beiden mit jemandem aus dem HRM oder der Linie an einen Tisch setzen und mögliche Massnahmen seitens des Betriebs und der betroffenen Person besprechen, ohne dass Details der Auswertung preisgegeben werden», beschreibt Weiss das 
Vorgehen.

Je tiefer der WAI, desto höher die Kosten

Eine mehrmalige Anwendung des Instruments auch über längere Zeit ist nützlich. So können bei der Auswertung von Massnahmen Vorher-nachher-Vergleiche über die Entwicklung des Einzelnen oder einer Gruppe angestellt werden. Gerade bei älteren Arbeitnehmenden sei eine jährliche oder alle zwei Jahre durchgeführte Beurteilung vorteilhaft, da im Alter die Streuung der Werte 
zunehme. «Der WAI erlaubt unter anderem Prognosen über die potenzielle Invalidität», erklärt Weiss. «Wenn eine Person lange einen tiefen WAI aufweist und keine Anstrengungen unternimmt beziehungsweise Unterstützung erhält, um ihre Arbeitsfähigkeit zu verbessern, dann hat sie eine statistisch gesicherte hohe Wahrscheinlichkeit, IV-Bezügerin zu werden. Es gibt auch einen entsprechenden Zusammenhang zwischen dem WAI und der Lebenserwartung.» Zu solch brisanter Aussagekraft kommen betriebswirtschaftlich relevante Daten: «Je tiefer der Index, desto exponentiell höher sind die gesundheitsbedingten Kosten für das Unternehmen» sagt Weiss. «In Studien konnte man darlegen, dass eine Person mit tiefem WAI das Unternehmen pro Jahr rund 8,2 Mal mehr kostet als ein Arbeitnehmender mit hohem WAI. All diese Befunde zeigen das grosse Nutzen-, aber auch das Missbrauchspotenzial dieses Instruments auf.»

Sinkende oder schlechte WAI-Werte können mit geeigneten Massnahmen verbessert, gute Werte präventiv erhalten werden. Die Vorgehensweisen sind äusserst vielfältig und können sich auf die Arbeit, aber auch auf den Einzelnen beziehen. Das Spektrum reicht von einer verbesserten Arbeitsumgebung wie Ergonomie, Hygiene, Sicherheit, klimatisch gut eingerichteten Räumlichkeiten bis zur Zeitplangestaltung. So sei etwa erwiesen, erklärt Weiss, dass häufige kurze Pausen die Leistung enorm erhalten, während wenige lange Pausen nicht diese erwünschte Wirkung erzielen. Weiter zählen betriebliche Gesundheitsförderung, Laufbahnperspektiven mit Möglichkeit zur Weiterbildung und Wertschätzung ebenso zu den möglichen Massnahmen wie die richtige Führung. «Der Vorgesetzte und seine Führungsqualität spielen bei der Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden eine entscheidende Rolle», sagt Weiss.

Diese Aussage bekräftigen finnische Beobachtungen, die dem Führungsverhalten und der ergonomischen Arbeitsgestaltung den grössten Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit zuschreiben. «Volkswagen in Deutschland hat sogar festgestellt, dass eine Führungsperson, die die Abteilung wechselt, den Krankheitsstand ihrer Mitarbeitenden wie eine Charaktereigenschaft mitnimmt», sagt Weiss. Eine gute Führung sollte die Arbeitnehmenden möglichst zum Selbstmanagement ermuntern und befähigen und ihnen bei hohen Anforderungen genügend Ressourcen und Spielraum für eigenverantwortliches Handeln einräumen. «Eine solche aktive Arbeitsorganisation wirkt motivierend, ist leistungs- und lernfördernd und unterstützt in hohem Masse die Gesundheit. All diese Teilelemente wirken sich wieder positiv auf die Arbeitsfähigkeit und somit auf die WAI-Werte aus», sagt Weiss.

Wo kommt der WAI zum Einsatz?

Der WAI ist in mindestens 26 Sprachen übersetzt worden. «Häufig genutzt wird das Instrument in Finnland, Holland, Deutschland, Österreich, Brasilien und China», sagt Hans Martin Hasselhorn, Professor im Fachgebiet Arbeitsphysiologie, Arbeitsmedizin und Infektionsschutz an der Bergischen Universität Wuppertal und Projektleiter des deutschen WAI-Netzwerks. «Vom Prinzip her funktioniert das Tool überall gleich, es ist nicht länderspezifisch. Feststellen konnten wir jedoch, dass gerade im Bereich Pflege die Unterschiede der WAI-Werte zwischen den Ländern gross sind. So haben Frankreich, Polen und Deutschland schlechte WAI-Werte beim Pflegepersonal.»

In Deutschland wird der WAI seit über 15 Jahren genutzt. 2003 wurde ein WAI-Netzwerk durch das Fachgebiet Arbeitssicherheit und Ergonomie der Bergischen Universität Wuppertal im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aufgebaut. Das Netzwerk fördert die Anwendung des WAI, dient dem Erfahrungsaustausch, indem es Interessenten und Anwender zusammenbringt, und stellt Software für die betriebliche Anwendung des WAI bereit. Zudem hat das Netzwerk Spielregeln zur Anwendung des Index publiziert und baut eine nationale WAI-Datenbank auf.

In der Schweiz existiert kein entsprechendes Netzwerk, Hasselhorn bestätigt jedoch, dass er viele Informationsanfragen aus der Schweiz erhalte, das Interesse scheine auch hierzulande gross zu sein.
In der Schweiz wird der WAI seit 2005 in Deutsch und Französisch vom SECO herausgegeben, seit diesem Jahr ist er auch auf 
italienisch erhältlich. Über die tatsächliche 
Verbreitung und Nutzung kann Joseph Weiss vom SECO keine Angaben machen, weil der WAI nicht direkt an Betriebe oder Einzelpersonen abgegeben wird, sondern nur über Verbände.

Weitere Informationen: Der WAI und das deutschen Netzwerk: 
www.arbeitsfaehigkeit.net

Erfahrungsberichte

SBB: Klaus Stadtmüller ist Arbeitsmediziner beim ärztlichen Dienst der SBB und wendet den WAI bei einer Gruppe von rund 60 Dauernachtarbeitenden an. «Im Rahmen der internen Richtlinien für den Gesundheitsschutz führe ich alle zwei Jahre eine arbeitsmedizinische Beratung durch. Bestandteil dieser Beratungen ist auch der WAI und das jeweils aktuell erreichte Niveau, die Werte», erklärt Stadtmüller. Die Werte bei den Dauernachtarbeitenden seien durchweg hoch, die Resultate also sehr gut. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Stadtmüller aus der WAI-Auswertung ziehen konnte: «Es sind weniger die direkten gesundheitlichen Umstände wie Schlaf oder Ernährung, die die Mitarbeitenden belasten, als die Vereinbarkeit des privaten und sozialen Lebens mit der Nachtarbeit.»

Im Rahmen des betrieblichen Reportings gibt Stadtmüller solche Einsichten weiter, damit die Verantwortlichen, HR oder Führung, mit entsprechenden Massnahmen reagieren können. Die individuellen Auswertungen bleiben jedoch beim Arbeitsmediziner. Als fundamental bei der Anwendung des WAI bezeichnet Stadtmüller das direkte Gespräch mit den Mitarbeitenden. So könne er direkt erklären und helfen, eventuelle Ängste abzubauen. Für Stadtmüller ist der WAI ein einfach anwendbares Instrument, effizient und mit hoher prognostischer Aussagekraft für die mittel- und längerfristige Zukunft. «Da die Leute selber am besten wissen, wie es ihnen geht, ist ein solches Tool, das auf die Selbstauskunft aufbaut, enorm aussagekräftig.» Gerade deshalb ist für Stadtmüller auch klar: «Der WAI ist kein Instrument, das in die Hände von HR-Mitarbeitenden gehört, sondern er soll von betrieblich unabhängigen Leuten wie Arbeitsmedizinern angewendet werden.» Zudem schätzt es Stadtmüller, dass der WAI speziell auf Fragestellungen der Arbeitsfähigkeit ausgerichtet ist und weniger auf Krankheit. Denn: «Ich kenne durchaus Leute mit einem hohen WAI-Wert, die aber dennoch handfeste chronische Erkrankungen haben.»

Spital Ziegler: Auch im Spital Ziegler, das mit fünf weiteren Spitälern zu der Spital Netz Bern AG gehört, wird der WAI seit August 2005 angewendet. Die Ausgangslage war folgende: Man stellte fest, dass die Belastungen der Mitarbeitenden des INOP-Bereichs (Intensivstation, Notfall, Operationssäle) dazu führten, dass Patienten in der Nacht abgewiesen wurden, dass jüngere Mitarbeitende teilweise die Arbeit der älteren übernahmen, dass gesundheitliche Einschränkungen, so gut es ging, überspielt wurden aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die INOP-Leitung beschloss, den WAI punktuell als Führungs- und Planungsinstrument einzusetzen. Er ermöglichte ihnen, die zukünftigen Leistungskapazitäten der Mitarbeitenden im Voraus zu planen und so das Arbeitsumfeld wie auch die Arbeitsplätze anzupassen. «Das Schwierigste war, die Mitarbeitenden ohne Druck zu überzeugen, dass der WAI ein nützliches Instrument ist, das Vorteile bringt, ihnen aber auf keine Fall schadet», sagt Frank Heepen, Leiter INOP-Bereich. Die Mitarbeitenden konnten den Fragebogen aus dem Intranet herunterladen und es stand ihnen frei, ob sie ihre Resultate mit Heepen oder dem betrieblichen Vertrauensarzt besprechen wollten. «Zu den greifbarsten Ergebnissen des WAI-Projekts zählt, dass die Langzeiterkrankten wieder zu 50 Prozent arbeitsfähig sind», sagt Heepen. Zudem sei bei der Führung die Sensibilität für ältere Beschäftigte und deren Bedürfnisse spürbar gewachsen, was sich positiv auf das Betriebsklima auswirke. «Die Leute gehen auch offener und vertrauensvoller miteinander um und sind eher bereit, sich für Veränderungen am Arbeitsplatz oder im Arbeitsumfeld einzusetzen.»

Die Anwendung des WAI im INOP-Bereich war so erfolgreich, dass das Instrument allen Beschäftigten des Spitals zur Verfügung gestellt wurde. Flankiert wird das WAI-Angebot durch einen Massnahmenkatalog zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Dieser enthält  unter anderem Angebote wie Bike to work, Jogging, Trampolinspringen zur Entspannung, gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung und auch eine Schulung der Führungskräfte im Umgang mit älteren Mitarbeitenden.

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