«No Billag» und die Folgen für den Arbeitsmarkt
Die Luft wird immer dünner auf dem Arbeitsmarkt der Medienbranche. Was, wenn 6000 SRG-Angestellte ihren Job verlieren würden? Ein SRG-Aus würde nicht nur die entlassenen Mitarbeitenden betreffen, sondern sich auf die gesamte Medien- und Kommunikationsbranche auswirken.
In der Medienlandschaft der Schweiz stehen die Zeichen schon länger auf Abbau. (Bild: 123RF)
Mit dem Arbeitskampf bei der SDA hat der Personal- und Leistungsabbau in den Medien einen neuen Höhepunkt erreicht. Ein Viertel der Stellen, rund 40 Personen, will die Nachrichtenagentur abbauen. Um ganz andere Dimensionen geht es bei der «No Billag»-Initiative. Hier stehen allein bei der SRG rund 6000 Stellen dem Spiel, sollte eine Gebührenfinanzierung von Medien in der Schweiz verboten werden.
Damit nicht genug. Das Joint Venture mit den Lokalzeitungen von NZZ und AZ Medien wird ebenfalls Stellen kosten, auch redaktionelle. Bei Tamedia befindet sich der Abbau in vollem Gange. Sparprogramme gibt es auch bei Ringier Axel Springer, bei Somedia steht eine Redaktionsfusion an. Und die SRG muss schon heute mit 50 Millionen Franken weniger pro Jahr auskommen.
Die Zeichen stehen schon lange auf Abbau. Ob Neugründungen wie Watson, Republik, Nau oder Likemag auf lange Sicht auffangen mögen, was an Personal und Know-How bei den Zeitungen verloren geht, weiss heute niemand.
Deutlich weniger Vollzeitäquivalente in den letzten zehn Jahren
Das grössere Bild des Abbaus zeigen Zahlen, die das Bundsamt für Statistik BfS erhebt. Zum Beispiel in den Aufstellungen über die «Vollzeitäquivalente nach Wirtschaftsabteilungen» in der Beschäftigungsstatistik, also zu Vollzeitstellen aufgerechnete Anstellungsverhältnisse.
Zählten die Unternehmen im Bereich «Verlagswesen, audiovisuelle Medien und Rundfunk» vor zehn Jahren noch 27‘300 Vollzeitäquivalente, sind es heute nur noch 22‘700. «Die Vollzeitäquivalente im Verlagswesen sind effektiv und vor allem auch im Vergleich mit den anderen Branchen stark zurückgegangen», bestätigt Sophie Schmassmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sektion Konjunkturerhebungen des BFS.
Über alle Branchen gab es in den letzten zehn Jahren eine Zunahme von rund zehn Prozent, im tertiären Sektor sogar um 14 Prozent. Das Verlagswesen zählt dagegen 17 Prozent weniger Vollzeitäquivalente. Zu den Gründen für den drastischen Rückgang will sich Schmassmann nicht äussern: «Wir erheben nur die Daten.»
Medienbranche ist schwierig zu definieren
Im Widerspruch dazu scheinen die Ergebnisse der sogenannten Strukturerhebung zu stehen, die unter anderem untersucht, wie viele Personen im «Kernbereich der Medien» arbeiten – etwa als Journalisten, Redaktorinnen, Lektoren, Kameraleute, Verlegerinnen und Tontechniker. «Die Anzahl Personen, die in diesem Bereich arbeiten, scheint sich nicht verringert zu haben», sagt Julie Silberstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Sektion Politik, Kultur, Medien des Bundesamts. Eine mögliche Erklärung sieht sie darin, dass durch den Medienwandel auch neue Berufsfelder entstehen, die den Abbau abfedern. Sie warnt aber vor voreiligen Schlüssen, denn die Strukturerhebung mache keine Angaben dazu, wie viele Stellenprozent die Personen arbeiten. Ausserdem liessen sich die Zahlen der verschiedenen Statistiken nicht miteinander vergleichen.
Überhaupt sei die Medienbranche statistisch schwierig zu erfassen: «Der Medienwandel und die neuen Berufsbilder stellen uns laufend vor neue Herausforderungen.» Zudem gebe es unterschiedliche Definitionen der Medienbranche: «Je nach dem, was genau untersucht werden soll, definieren wir die Medien im weiteren Sinn oder im engeren Sinn.»
Kurz vor der Abstimmung über «No Billag» drängt sich die Frage auf: Wie sähen die Zahlen aus, wenn es ab 2019 keine SRG mehr gäbe? Ende 2016 beschäftigte die SRG (inklusive Tochterunternehmen tpc) 6386 Mitarbeitende, dies entspricht 4783 Vollzeitstellen. Direkt am publizistischen Angebot beteiligt – etwa als Redaktoren, Dokumentalisten oder Kameraleute – sind nach Angaben der SRG rund 4724 Personen. Davon sind 2634 Personen im publizistischen oder redaktionellen Bereich tätig, etwa als Redaktorinnen, Moderatoren, Regisseure und Produzentinnen.
Auch Arbeitsplätze anderer Branchen hängen an der SRG
In der Medienbranche lässt sich in der Vergangenheit kein Fall finden, der auch nur Ähnlichkeiten mit einem potentiellen Aus der SRG aufweisen würde. Eine zwar entfernte, aber doch interessante Parallele weist das Swissair-Grounding auf. Die Swissair hatte, genauso wie das die SRG heute hat, ein grosses Netzwerk an Zulieferern. Sie standen beim Groundig mit leeren Händen da.
Eine Analyse der Konjunkturforscher von Bak Basel im Auftrag des Bundesamts für Kommunikation (2016), welche die volkswirtschaftlichen Effekte des gebührenfinanzierten medialen Service Public untersuchte, kam unter anderem zum Ergebnis, dass an jedem Arbeitsplatz der öffentlichen Medien noch ein weiterer Arbeitsplatz bei Schweizerischen Unternehmen aus anderen Branchen dranhängt. Ein SRG-Aus würde also nicht nur die Arbeitsplätze bei der SRG selbst tangieren, sondern auch solche in anderen Unternehmen und Branchen.
Regionale Unterschiede
Was die Folgen für den Arbeitsmarkt als Ganzes angeht, rechnet Michael Siegenthaler, Konjunkturforscher bei der ETH Zürich, mit grossen regionalen Unterschieden. «Obwohl etwa Zürich von der SRG-Schliessung stark betroffen wäre, könnte die Region aufgrund ihrer Grösse und Arbeitsmarktdichte die Massenentlassung besser verdauen als ein kleinerer lokaler Arbeitsmarkt wie etwa das Tessin. Die Löhne und die Beschäftigungschancen des Durchschnittszürchers wären kaum tangiert.»
Anders stellt sich die Lage dar mit Blick auf die Branche selbst: Hier würde Siegenthaler bei einem SRG-Aus unabhängig von der Region mit einer leicht höheren Arbeitslosigkeit rechnen. Seiner Einschätzung nach ebenfalls wahrscheinlich: «Verstärkter Lohndruck und vor allem stärkere Konkurrenz um offene Stellen.»
Je spezifischer die Fähigkeiten von Arbeitnehmern, desto schwieriger die Situation
Siegenthaler betont, dass man die verschiedenen Berufsbilder differenziert betrachten müsse: «Je spezifischer die Fähigkeiten von Arbeitnehmern, desto schwieriger die Situation», führt er aus. Mit «spezifisch» meine er in diesem Fall, dass Arbeitgeber ihre Fähigkeiten hauptsächlich bei der SRG, aber nur bedingt bei anderen Firmen einsetzen könnten. «Je mehr solche spezifischen Berufe in einem Unternehmen vertreten sind, desto problematischer ist eine Massenentlassung, da die Betroffenen zu einer beruflichen Umorientierung gezwungen sind. Und das kann dauern.» Die Berufsbilder bei der SRG sind teilweise sehr spezifisch: Man denke etwa an Audio- und Video-Editoren, Kamerafrauen, Bühnenausstatter und Regisseure.
Sozialplan kann Folgen einer Massenentlassung abfedern
Die höhere Arbeitslosigkeit und die volkswirtschaftlichen Effekte nach einer Massenentlassung abfedern kann ein Sozialplan. Die SRG hat 2015 einen Sozialplan vereinbart. Allerdings wird angezweifelt, ob sie diesen einhalten könne. Bei Insolvenz wird ein unerfüllter Sozialplan in der Regel gar nicht mehr umgesetzt.
Nicht zu vergessen sei bei den mildernden Effekten laut Konjunkturforscher Siegenthaler aber auch, dass neue Jobs an entstehen könnten: «Wenn es keine SRG mehr gäbe, wäre es sehr wahrscheinlich, dass andere Unternehmen zumindest einen Teil des Marktes der SRG übernehmen würden. Dadurch würden dann bei anderen Unternehmen wiederum neue Stellen entstehen.» Dies gelte jedoch nicht flächendeckend für die ganze Schweiz, sondern vor allem für wirtschaftsstarke Regionen wie etwa Zürich.
Kommunikation als Plan B für Journalisten
Eine wichtige Rolle im Falle einer grösseren Entlassung bei der SRG würden verwandte Branchen spielen, in denen die Betroffenen potentiell unterkommen könnten. Dass Journalisten häufig in die Kommunikation wechseln, ist hinlänglich bekannt. Auch in der Ausbildung wird für den Fall bereits vorgesorgt. So bietet die Zürcher Hochschule ZHAW den Studiengang «Journalismus und Organisationskommunikation» an, der den möglichen Aus- und Umstieg erleichtert. Das Institut für angewandte Medienwissenschaft der ZHAW verfolgt die Karrierewege seiner Absolventen über zehn Jahre. Eine unveröffentlichte Auswertung zeigt, dass von jenen Personen, die zehn Jahre nach Studienabschluss in der Kommunikation arbeiten, fast 30 Prozent zuvor im Journalismus beschäftigt waren.
Ist die Kommunikation also der Schwamm, der alle Journalisten aufsaugt, die in ihrer Branche keinen Platz mehr finden – auch bei einem SRG-Aus? «Der Arbeitsmarkt in der Kommunikationsbranche ist bereits sehr angespannt», sagt Stefan Poth. Er rekrutiert als Inhaber und Managing Director des Beratungsunternehmens smart.heads seit über 15 Jahren Fach- und Führungskräfte aus der Kommunikationsbranche. «Geht man nicht von hochspezialisierten Funktionen aus, kann man gut und gerne pro ausgeschriebene Stelle zwischen 50 bis 120 Bewerbern auswählen. Und da sind viele qualifizierte dabei.»
Zwar hätten Journalisten grundsätzlich keine schlechten Karten in der Kommunikation, vor allem, wenn sich der Trend Richtung Content Marketing, Brand Journalism und Storytelling fortsetze. Wenn aber tausende gleichzeitig auf den Arbeitsmarkt kämen, sei die Situation eine andere: «Für die Mehrheit der TV-Medienleute, die bei einem SRG-Aus praktisch gleichzeitig auf den Markt kommen könnten, sehe ich kaum rosige Zeiten. Nur ein Bruchteil wird kurzfristig unterkommen.»
Medien- und Kommunikationsbranche sind heute schon Arbeitgebermärkte
Weil Stellen in der Kommunikation eine beliebte Alternative für Medienschaffende sind, würden die arbeitsmarktlichen Folgen bei einem SRG-Aus nicht nur die Medienbranche treffen, sondern auch die Kommunikation. Sowohl die Medien- als auch die Kommunikationsbranche sind heute schon Arbeitgebermärkte: viele Bewerber, wenig Stellen. Das Unternehmen entscheidet, wer einstellt wird und zu welchen Bedingungen. Je mehr Stellen wegbrechen, desto mehr verschärft sich diese Situation. Wenn tausende Stellen innert kurzer Frist verschwinden, würde das den Druck auf Arbeitnehmer massiv erhöhen.
Verlierer dieser Situation wären nicht nur die SRG-Mitarbeitenden, die ihren Job verlieren: Sie gelten immerhin als gut qualifiziert und viele von ihnen sind etabliert im Berufsleben und in der Branche. Schlechte Karten hätten vor allem diejenigen SRG-Mitarbeitenden, deren Fähigkeiten bei der SRG zwar gefragt sind, aber nicht in vielen anderen Unternehmen.
Schlechtere Karten hätten auch Berufseinsteiger: Aus der Journalismusausbildung kommen jedes Jahr hunderte Arbeitswillige neu auf den Markt. Viele starten mit einem Praktikum in die Berufswelt. Mehr Konkurrenzdruck von hochqualifizierten Berufsleuten auf dem Arbeitsmarkt würde die Situation für die «Generation Praktikum» nicht einfacher machen. Schlechte Karten hätte auch die ältere Generation – immerhin lautet einer der meistgenannten Gründe, Mitarbeitende über 50 zu verschmähen auf Unternehmensseite: «Weil genügend andere Arbeitskräfte zur Verfügung stehen».
Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei medienwoche.ch.