Arbeitsformen

Pensionierte Fachkräfte: 
Mit Know-how im Gepäck um die Welt

Die Senior Experts reisen in die entferntesten Länder, um lokale Betriebe mit ihrem Wissen zu beraten. Unterstützt werden sie dabei von einer Stiftung für Entwicklungshilfe. Die Pensionäre arbeiten alle ehrenamtlich. Ihre Motivation liegt jenseits von Geld und Karriere.

«Wir haben etwa 620 pensionierte Experten in unserer Datenbank, die wir für die rund 150 Auslandseinsätze pro Jahr anfragen können», sagt Markus Kupper. Er leitet das so genannte Senior Expert Corps (SEC) von Swisscontact. Swisscontact ist eine unabhängige Stiftung, die mit Entwicklungsarbeit die Armut in Regionen wie Lateinamerika, Asien, Afrika, Osteuropa bekämpft. SEC ist ein Freiwilligenprogramm, in dem pensionierte Fachkräfte ihr Wissen in ehrenamtlichen Einsätzen weitergeben. Zum Einsatz kommen sie, wenn sich etwa internationale Gäste in einem Hotel in Peru über das Essen beschweren. Dann kann sich der Betrieb an die Landesvertretung von Swisscontact wenden, sie nimmt die Problemstellung auf und leitet sie nach Zürich. Hier suchen Kupper und sein Team in der Datenbank, notfalls auch bei Verbänden oder in Pensioniertenvereinigungen, nach dem geeigneten Experten.

Hilfe zur Selbsthilfe – mehr nicht

«Am gefragtesten sind Leute aus den Bereichen Hotellerie, Tourismus sowie aus der Nahrungsmittelverarbeitung», sagt Kupper. Schwierigkeiten bei der Suche nach Experten gebe es in Sektoren, die in der Schweiz kaum mehr existieren, wie etwa Giesserei. Das grösste Problem sei jedoch die Sprache: «Ein pensionierter Koch, der Spanisch spricht, ist nicht leicht zu finden», weiss Kupper. Das SEC ist Vermittlerin zwischen Betrieben und Experten und übernimmt auch die An- und Rückreisekosten, die Versicherungen und gibt den Senioren ein tägliches Sackgeld von 50 Franken.

Für die lokalen Kosten, Verpflegung und Unterkunft kommt der Partnerbetrieb im Land auf. Die Einsätze dauern zwischen vier Wochen und drei Monaten. «Unsere Leute 
gehen als Berater und bieten praxisorientierte Unterstützung. Eine Beratung sollte eine 
gewisse Zeit nicht überschreiten, sonst besteht die Gefahr, dass unsere Experten zu Schattengeschäftsführern werden. Das wäre falsch, sie sollen Hilfe zur Selbsthilfe leisten», erklärt Kupper die zeitliche Beschränkung der Einsätze. Optimal sei, wenn die Experten mit den Betrieben in Kontakt bleiben und 
ihnen bei Fragen via Mail oder Telefon Hilfe leisten.

Genau das macht Franz-Xaver Dettling. Der frühpensionierte 60-jährige Unternehmer – er war Geschäftsführer eines im Getränkebereich tätigen Familienunternehmens – hatte 2002 seinen ersten Einsatz in Bulgarien. «Ich betreute eine Firma als Coach und half beim Aufbau. Angefangen hatte diese mit dem Verkauf von Sonnenblumensamen in Büros in einer alten Wohnung. Heute verkauft sie Vogelfutter in ganz Europa», sagt Dettling. Und: «Mit dem Inhaber habe ich inzwischen eine so freundschaftliche Beziehung, dass ich Götti von seinem Sohn wurde.»

Der Frühpensionär betreut noch zwei weitere Firmen in Bulgarien, die er oft besucht und via Skype coacht. «Ich habe in meinem Leben Erfolg gehabt. Es ist daher nur richtig, dass ich mein Wissen weitergebe und versuche, anderen zu helfen», erklärt Dettling. Zudem wolle er gefordert werden. «Glauben Sie nicht, dass man den Firmen in Entwicklungsländern verstaubtes Wissen andrehen kann. Die haben einen enormen Sprung gemacht und arbeiten heute mit den modernsten Methoden. Sie fordern von einem Berater, dass er auf dem neuesten Stand ist. Solche Herausforderungen gefallen mir.» Dettling ist zudem in seinem Familienbetrieb als Verwaltungsrat tätig, er ist Präsident des Kantonalverbandes vom Roten Kreuz und in der Geschäftsprüfungskommission des Schweizer Alpen-Club SAC. Diese diversen Tätigkeiten helfen ihm, à jour zu bleiben. «Die meisten Experten sind aktive und engagierte Menschen», sagt Kupper. «Wer zu lange aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, verliert den Bezug, und in gewissen Branchen veraltet das Fachwissen schnell.» Das Durchschnittsalter der Experten liegt daher bei 67 Jahren.

Neue Eindrücke öffnen den Geist

Jedes Jahr zwei Einsätze leisten Edith Weibel und ihr Mann. Sie waren bereits in Nepal, in Chile, Peru, Panama und Ecuador. «Ich reise fürs Leben gern», erklärt die 68-Jährige. 
Als selbständige Unternehmer fanden sie dazu nie Zeit. Das Ehepaar hatte eine Bäckerei mit 30 Angestellten. Er war Bäcker, sie kümmerte um den Verkauf, das Personal und die Administration. «Mein Mann ist Bäcker mit Leib und Seele. Diese Leidenschaft kann er 
während der Einsätze ausleben», sagt Edith 
Weibel. Sie kümmert sich um die Einrichtung, die Vermarktung und auch um die Hygiene.

Dabei achtet sie darauf, nie besserwisserisch aufzutreten, sondern Vorschläge mit Fingerspitzengefühl zu geben. «In vielen Ländern wird kaum Wert darauf gelegt, wie das Geschäft wirkt, ob es sauber ist, ob die Gestelle kundenfreundlich eingerichtet sind», erklärt sie. «Gerade die kleineren Betriebe sind erpicht darauf, dass wir ihnen andere Möglichkeiten aufzeigen und sie Neues lehren.» Positiv erstaunt hat Edith Weibel die enorme Gastfreundschaft. «Wir wurden zu Familienfesten eingeladen, an den Wochenenden reiste man mit uns umher. Oft haben wir nach den Einsätzen zusätzlich Ferien gemacht und so habe ich unglaublich viel von Land und Leuten gesehen», sagt Edith Weibel.

Dieses Eintauchen in andere Welten ist für die aktive Pensionärin ein weiterer Grund für ihre Freiwilligenarbeit: «Die Einsätze haben mir nicht nur die Welt, sondern auch meinen Geist geöffnet. Ich bin viel grosszügiger und toleranter geworden. In Nepal habe ich erlebt, wie die Fröhlichkeit in der Armut möglich ist.» Ausserdem würden die Einsätze sie zwingen, immer wieder neues auszuprobieren. So musste das Ehepaar für ihre Südamerika-Einsätze Spanisch lernen. Sie absolvierten dazu in Ecuador einen Sprachkurs und wohnten während dieser Zeit bei zwei verschiedenen Familien, um nicht miteinander Schweizerdeutsch zu sprechen.

Die Mitgliedschaft beim SEC hat für Edith Weibel nebst den Reisen und den neuen Eindrücken auch positive Auswirkungen auf ihr Leben in der Schweiz: «Wir treffen uns regelmässig mit anderen Experten von Swisscontact und konnten uns ein neues Netzwerk von Freunden aufbauen – etwas, dass wir während des Arbeitslebens vernachlässigt haben.»

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