HR als Risk Manager

Profitmaximierung dank Moral

Das Management moralischer Risiken in Unternehmen ist eine anspruchsvolle Führungsaufgabe – sagt Christian Schiel, der zu diesem Thema ein Buch geschrieben hat. Das HR könne hierbei einen substanziellen Beitrag leisten.

Herr Schiel, wo hat das HR Berührungspunkte zum Management moralischer Risiken in Unternehmen?

Christian Schiel: Das HR hat hier mindestens drei wichtige Aufgaben. Zum einen sollte es ein gemeinsames (Spiel-)Verständnis der Mitarbeitenden geben über die Ziele des Unternehmens und die damit verbundenen positiven oder ne­gativen Auswirkungen auf die Gesellschaft und damit die Aussichten, diese Ziele nachhaltig erreichen zu können. Es müssen aber auch effektive und glaubwürdige (Spiel-)Regeln institu­tionalisiert sein, in denen sich die Mitarbeitenden bewegen können  – und deren Einhaltung überprüfbar und sanktionierbar ist. Beispielsweise, wenn es um Diskriminierung und Mobbing geht. Zu guter Letzt sollte auch eine dauerhafte Überwachung gewährleistet sein. Damit das herrschende Spielverständnis und die etablierten Spielregeln der Belegschaft auch die nötigen Freiheiten und Anreize für kreative und wertschaffende Spielzüge im Arbeitsalltag geben können.

Können diese an das Menschenbild des «ehrbaren Kaufmannes» angelehnten Spielregeln überhaupt in die Wirtschaft übertragen werden?

Die Bedeutung von «Ehrbarkeit» in der modernen Wirtschaft wird deutlicher, wenn wir versuchen, sie im Kontext von Vertrauen einzuordnen. Der globale Wettbewerb ist längst Realität– ein verlässlicher globaler Rechtsrahmen mit durchsetzbaren Regeln aber keineswegs. Vertrauenswürdigkeit wird überall da Wettbewerbsvorteile ermöglichen, wo Vertrauen ein zentraler Wertschöpfungsfaktor ist. Unternehmen, die weltweit als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden wollen, müssen in ihr Spielverständnis und ihre Spielregeln investieren – und dies auch glaubwürdig kommunizieren. Die Unternehmenskultur, oder eben das gelebte Spielverständnis aller Mitarbeitenden, ist ein entscheidender Wertschöpfungsfaktor und damit auch ein Risikofaktor für Unternehmen.

Welche Risiken bestehen überhaupt?

Das ist von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Um die Risiken vollständig, aussagekräftig und alltagstauglich abzubilden, sollte ein Inventar von Chancen und Risiken – evaluiert aus der Unternehmensstrategie – für die organisationalen Strukturen, die Prozessabläufe, den Wettbewerbskontext, und andere Faktoren abgeleitet werden. Diese Bewertung ist individuell vorzunehmen. So können beispielsweise Diskriminierungsfragen in einem bestimmten regionalen oder kulturellen Kontext verschieden relevant sein.

Kann das Management dieser Risiken in den Führungsstrukturen abgebildet werden?

Es ist meine Überzeugung, dass gerade die Einbettung eines moralischen Risikomanagements in die bestehenden Governance-Strukturen elementar ist. In der Praxis werden aber häufig zusätzliche Governance-Funktionen für Nachhaltigkeit, Philanthropie oder Ähnliches geschaffen. Damit umgehen Unternehmen jedoch das Problem, ihre bestehenden (beispielsweise HR-)Strukturen ändern zu müssen. Leider existieren diese Funktionen dann häufig abseits des Kerngeschäfts und der operativen Prozesse. Wird Moral nicht als Bestandteil des Geschäftsmodells verstanden, entsteht leicht auch der Vorwurf des «Greenwashings».

All das kostet Geld. Können Unternehmen dadurch Wettbewerbsnachteile erleiden?

Sowohl die Erfüllung als auch die Zurückweisung moralischer Forderungen durch Manager sind für deren Unternehmen mit Chancen und Risiken verbunden. Genau deswegen spreche ich auch von «Risikomanagement» und nicht von reiner «Compliance». Die Einhaltung höherer Umweltstandards oder besserer Arbeitsbedingungen erhöht zwar in der Regel die ­Kosten und damit die Wettbewerbsrisiken. Demgegenüber stehen Kooperationschancen durch zufriedene Mitarbeiter, gesunde Communitys und ein langfristiges Vertrauen der Kunden. Moralisches Risikomanagement befasst sich also mit der Frage, ob und wie gesellschaftliche moralische Erwartungen im globalen Wettbewerbskontext umgesetzt werden können. Dabei darf man sich nicht scheuen, darauf hinzuweisen, dass manche Forderungen nicht sinnvoll an Unternehmen zu stellen sind, da diese aufgrund von Wettbewerbsnachteilen damit überfordert wären. In diesen Fällen ist entweder die moralische Forderung inhaltlich zu hinterfragen oder eine wettbewerbsneutrale regulatorische Lösung zu suchen.

Unternehmen wie Transocean oder BP hatten CSR- und Compliance-Programme am Laufen. Trotzdem konnte unethisches Handeln nicht verhindert werden.

Das Strafgesetzbuch allein schützt nicht vor Straftaten, ebenso wenig wie ein Ethikkodex allein unangemessenes Verhalten verhindern kann. Diese Fälle zeigen, dass moralisches Risikomanagement ganzheitlich ansetzen muss und vor allem die drei anfangs genannten Ebenen des Spielverständnisses, der Spielregeln und der Spielzüge umfassen sollte. Grundsätzlich sind alle Mitarbeitenden in die Erfassung von Risiken einzubeziehen. Deren Bewertung und die Implementierung von Massnahmen obliegt in der Regel den Führungskräften, unterstützt durch zentrale Risikomanagementfunktionen.

Welchen Einfluss haben Unternehmensgrösse, Komplexität der Organisation, Internationalität, Firmenkultur und die wirtschaftliche Lage?

Je stärker Unternehmen wachsen, desto mehr versuchen sie, die zweite Ebene, die der Spielregeln, zu entwickeln, um moralischen Standards zu genügen. Sie werden dann häufig sehr Compliance-lastig  – und CSR wird nicht selten als formales Instrument zur juristischen Entlastung von Führungskräften verstanden.

Kann das HR zugleich Dienstleister und Kontrolleur sein?

Es geht um Kontrolle, mehr aber noch um Gestaltung. Hier kann das HR gerade aufgrund der Querschnittsfunktion wichtige Impulse geben. Die Führungskräfte eines Unternehmens haben immer die Gesamtverantwortung für die Einrichtung und fortlaufende Funktionalität eines Systems zum Management moralischer Risiken. Die operative Rolle des HR und die Delegation von Zuständigkeiten ist dann entsprechend der drei Ebenen des Spielverständnisses, der Spielregeln und der Spielzüge zu beurteilen.

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