Personalrisikomanagement

Personaldiagnostik hilft,
 Risiken zu minimieren

Personaldiagnostik ist ein bewährtes Mittel im Rekrutierungsprozess. Dass damit auch Sicherheitsrisiken reduziert werden können, ist weniger bekannt.

Die Zuordnung von Menschen und ihren individuellen Fähigkeiten zu Aufgaben ist wohl so alt wie die zivilisierte Menschheit. Entsprechend ist auch die Personaldiagnostik bei Rekrutierungsprozessen eines der ältesten Tätigkeitfelder der heutigen Personalabteilungen. Weit weniger üblich ist es, Personaldiagnostik als Instrument zur Risikoprävention zu betrachten beziehungsweise den entscheidenden Einfluss, den sie auf die Sicherheit einer Organisation ausübt, zu nutzen.

Strategischer Fokus

Um mit Hilfe von Personaldiagnostik Risiken vorzubeugen, gilt es in einem ersten Schritt alle Kompetenzen zu erheben, die strategisch von entscheidender Bedeutung für die Gesamtorganisation sind. Diese sogenannten organisationalen Kompetenzen setzen sich zu einem grossen Teil direkt aus den menschlichen Ressourcen der Organisation zusammen.

Die Stellenprofile der relevanten Funktionen dürfen nicht nur die Anforderungen an die Stelle selbst berücksichtigen, sondern sollten einem roten Faden folgend auch jene Aspekte miteinschliessen, die sich aus der organisationalen Kompetenz beziehungsweise deren Produkten ergeben.

Diese strategische Perspektive gilt insbesondere für Organisationen im Sicherheitsbereich – sei es, dass sie selber effektiv Sicherheit produzieren (zum Beispiel Polizei, Rettungsorganisationen, Flugsicherungsabteilungen) oder ein überdurchschnittliches Mass an Sicherheit garantieren müssen, um ihrer organisationalen Funktion nachzukommen (zum Beispiel Kernkraftwerke, Operationsteams in Spitälern). Davon abgesehen kann diese Perspektive auch für alle Organisationen von Bedeutung sein, bei denen die Kompetenz 
zur Bewältigung von unvorhersehbaren Ereignissen als strategisch relevante organisationale Fähigkeit eingestuft ist (zum Beispiel Verkaufsorganisationen, die einem starken Wettbewerb ausgesetzt sind).

Die drei nachfolgenden Beispiele zeigen auf, worum es dabei geht:

  • 
Bei einer Organisation, die geltendes Recht mit hoher Glaubwürdigkeit durchsetzen muss, sollte das Personal 
integer sein.
  • 
Bei Organisationen mit hohen technischen Risiken müssen selbst jene Angestellten, die rein administrative Tätigkeiten ausüben, eine sicherheitsaffine Einstellung besitzen.
  • 
Bei einer Verkaufsorganisation müssen auch Mitarbeitende im Bereich Logistik eine kundenorientierte Haltung aktiv leben.

Menschliche Risiken betrachten

Im Rahmen der Personaldiagnostik gilt es also, die Kompetenzen der Bewerbenden mit den Anforderungsprofilen sowie den Kompetenzprofilen der Organisation abzugleichen. Dieses klassische und gut etablierte Vorgehen muss bei Organisationen mit sicherheitssensiblen Bereichen ergänzt werden. Neben dem Abgleich der Kompetenzen müssen auch potenzielle menschliche Risiken identifiziert und bewusst im Selektionsprozess berücksichtigt werden. Doch wie soll das gehen?

Der Risiko-Management-Prozess gemäss ISO 31000 (Grafik) bietet einen Prozessrahmen, in dem auch menschliche Risiken berücksichtigt werden können. Dies ist notwendig, da im Berufsalltag im entscheidenden Moment oft 
Menschen für die Ausführung von geeigneten Handlungen und Massnahmen verantwortlich sind. Entsprechend sollten neben den rein technischen und organisatorischen Aspekten immer auch menschliche Risiken beurteilt werden.

 Beispiele für menschliche Risiken, die sich aus der Bearbeitung des Kernstückes des Risiko-Management-Prozesses, der Risiko-Einschätzung, ergeben könnten, sind:

  • 
Mangelnde Fähigkeiten: Anforderungen auf der fachlichen oder der Fertigkeitsebene werden nicht erfüllt
  • 
Mangelnder Kultur-Fit: ungenügendes Verständnis für die Organisationskultur respektive zu wenig Bereitschaft, diese aktiv zu leben
  • 
Mangelnde Motivation/fehlendes Commitment in Bezug auf die Arbeitshaltung (klassischer Befund der Arbeitspsychologie)
  • 
Kontraproduktives Mitarbeiterverhalten: zum Beispiel Diebstahl, aggressives Verhalten, Mobbing, Drogenmissbrauch, «Blaumachen», Missachtung von Sicherheitsvorschriften
  • 
Management Fraud: Betrug durch Führungskräfte oder Spezialisten in verantwortungsvoller Position
  • 
Schädigendes Führungsverhalten
  • 
Menschliches Fehlverhalten: Ausführungs- oder Planungsfehler
  • 
Arbeitsausfall zum Beispiel durch Krankheit oder Unfall
  • 
Know-how-Verlust durch Abgang wichtiger Wissens
träger/innen

Risikoprävention

Die identifizierten Risiken müssen im spezifischen Kontext jeder Organisation einzeln beurteilt werden. Dabei gilt es, die Tragweite eines allfälligen Schadens sowie dessen Eintrittswahrscheinlichkeit einzuschätzen. Das Resultat sind die für den weiteren Umgang effektiv relevanten Risiken, auf die es drei grundsätzliche Reaktionen gibt:

  1. 
Akzeptieren des Risikos, weil Schadensschwere und Eintrittswahrscheinlichkeit in einem zu wenig kritischen Ausmass vorhanden sind.
  2. 
Vermeiden des Risikos, weil dies aus ökonomischer Sicht am sinnvollsten ist.
  3. 
Reduktion des Risikos, weil ihm nicht ausgewichen werden kann, sondern damit umgegangen werden muss.

Der dritte Punkt kann als eigentliche Risikoprävention bezeichnet werden. Dafür stehen viele verschiedene Massnahmen zur Verfügung, wie zum Beispiel gezielte Selektionsmassnahmen, Investition in Aus- und Weiterbildungsaktivitäten, organisatorische Massnahmen (zum Beispiel Wissensmanagement beim Risiko eines Know-how-Verlusts), Forcierung von Informations- und Kommunikationskampagnen, ganzheitliche Kulturentwicklung, Gesundheitsförderung, gezielte Personalbetreuung sowie Führungshandeln auf allen Ebenen.

Umsetzung Personaldiagnostik

Ausgehend von den Anforderungsprofilen (einschliesslich der strategiebasierten Kompetenzprofile) sowie den relevanten Risiken, erfolgt der Diagnostikprozess. Die Erweiterung um die strategische Betrachtungsdimension sowie den 
Risikoaspekt ist dabei der entscheidende Punkt, Personalselektion effektiv als Risikoprävention zu betrachten.

Im Rahmen der Vorselektion werden Bewerbende mit erkannten ungenügend ausgeprägten Kompetenzen oder solche mit relevanten Risiken in einem ersten Schritt aussortiert. Im zweiten Schritt der Selektion gilt es dann, den Kompetenzabgleich im direkten Kontakt mit den ausgewählten diagnostischen Instrumenten (Interviewformen, Persönlichkeits- und Leistungstests, Arbeitsproben und so weiter) zu bestätigen sowie die relevanten Risiken definitiv auszuschliessen (zweite Grafik).

Dabei bleiben Personen mit genügenden Kompetenzen sowie akzeptablen Risiken in der Endauswahl. Der Rekrutierungsprozess kann durch weitere diagnostische Instrumente (zum Beispiel Assessment-Verfahren, Exposition der Kandidaten/-innen im grösseren Kreis innerhalb der Organisation, Referenzeinkünfte und so weiter) zu Ende geführt werden. So wird sichergestellt, dass die einzustellenden Personen bereits beim Eintritt in die Organisation gezielt überprüft und die relevanten Risiken systematisch beurteilt worden sind.

Spezialfall Sicherheitsbereich

Risikoprävention im Sicherheitsbereich stellt besondere Herausforderungen an die Personaldiagnostik. Wo nämlich die menschlichen Risiken so hoch eingestuft sind, dass sie nicht akzeptiert, aber auch nicht einfach vermieden werden können (zum Beispiel bei Lokomotivführern, Reaktoroperateuren, Flugverkehrsleitern, Mitgliedern polizeilicher Spezialeinheiten und Ähnliches), müssen sie durch gezielte Diagnostik reduziert werden. Für bestimmte Berufsfelder ist dies in der Schweiz sogar gesetzlich geregelt (zum Beispiel im Schienenverkehr oder in der Kernkraftbranche) und in der Praxis gut etabliert. Dort, wo der Kontext nicht direkt sicherheitsrelevant ist, können auch betriebliche Überlegungen zu speziellen Anforderungen an die Diagnostik führen (beispielsweise bei Verkäufern oder Führungspersonen). Doch was bedeuten «spezielle Anforderungen» für die Selektion?

Eine Selektionsmassnahme hat immer zum Ziel, diejenigen Personen auszuwählen, die später im Beruf die erwarteten Leistungen erbringen, beziehungsweise jene abzulehnen, die dazu nicht in der Lage sind. Aus der Praxis ist bekannt, dass das nicht zu 100 Prozent möglich ist. Es wird immer einige Personen geben, welche die Leistungen eben nicht erbringen und zu Unrecht ausgewählt wurden. Das ist aber genau das, was in einem sicherheitssensiblen Bereich nicht tolerierbar ist (Grafik). 

Umgekehrt werden durch Selektionsmassnahmen auch Personen ausgeschlossen, die bezogen auf die spätere Berufsbewährung eigentlich geeignet wären, durch die Konstellation des Selektionsprozesses jedoch zu Unrecht abgelehnt werden. Nebst dem, dass es für die betroffenen Personen ungünstig ist, quasi eine reelle Chance zu verpassen, entstehen bei einer hohen Anzahl zu Unrecht abgelehnter Personen im Rekrutierungsprozess insgesamt höhere Kosten, weil in diesen Fällen sozusagen doppelt selektioniert wird.

Die sinnvolle Festlegung der Selektionslimite, also der Entscheid, mit welchem Risiko jemand noch ausgewählt wird, kann im Normalfall den betrieblichen Bedürfnissen entsprechend ausgerichtet werden. Im Kontext Sicherheit jedoch muss gewährleistet sein, dass sämtliche ungeeigneten Personen (ungenügende Fähigkeiten oder zu hohe Risiken) nicht ausgewählt werden. Praktisch führt dies zu einer Erhöhung der Selektionslimite mit dem Vorteil 
einer zuverlässigen Auswahl, jedoch mit den Nachteilen einer individuellen Ungerechtigkeit und höheren betrieblichen Kosten.

Was heisst das für das HR?

Gezielte Personaldiagnostik im Rahmen von 
sicherheitsrelevanten oder strategisch bedeutsamen Selektionsprozessen gewährleistet eine gute Ausprägung der organisationalen Kompetenz insgesamt und trägt zur Reduktion menschlicher Risiken bei. Für die Umsetzung ist insbesondere das HR – in enger Kooperation mit der Linie – gefordert. Die bestehenden Prozesse müssen nicht grundsätzlich geändert, sondern um die Aspekte der organisationalen Kompetenz und der menschlichen Risiken bewusst ergänzt und in die bestehende Praxis wie oben aufgezeigt integriert werden.

Risikoprävention durch gezielte Personaldiagnostik im Umfeld von sicherheitsrelevanten Selektionsprozessen ist eine Pflicht, die eine gewisse Anfangsinvestition erfordert, sich bei konsequenter Anwendung aber auszahlen wird.

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Simon Carl Hardegger studierte an der Universität Zürich Psychologie und leitet das Zentrum Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seinen Arbeitsschwerpunkt bilden Risikobeurteilungen menschlicher Faktoren im beruflichen Kontext.

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