Das Miteinander der Generationen

Qualifizierte Fachkräfte – begehrte Objekte betrieblicher Begierde

Laut Szenarien der Bevölkerungsentwicklung sinkt die Anzahl der jungen Menschen, während die Gruppen älterer 
und alter Leute zunehmen. Für den knappen Arbeitsmarkt werden diese unausgewogenen Altersstrukturen und der 
fehlende Nachwuchs zu einer Realität, von welcher wir zurzeit einen kleinen Vorgeschmack erhalten.

Beat S., 69 J., Entwicklungsingenieur, gibt als Senior Expert sein Know-how an ein junges Entwicklungsteam seines ehemaligen Arbeitgebers weiter. Auf Honorarbasis steht er dem Projektteam via Internet beratend von seinem Zweitwohnsitz in Griechenland zur Seite. 
Ursula B., 58 J., ist Leiterin eines kantonalen Museums. Sie hat ihre Arbeitszeit auf 50 Prozent reduziert, die anderen 50 Prozent übernimmt Andreas W., 38 J., weil er sich mehr um seine Familie kümmern möchte. Urs A., 27 J., Polymechaniker, sieht sich nach einer neuen Stelle um. Auf der Internetseite «Employer 
of my Choice» gibt es auch Einträge über die Alterszusammensetzung der Mitarbeitenden, eine wichtige Information für Urs A., denn 
er möchte nicht mehr in solch einem «Grufti»-Laden arbeiten wie bei seinem jetzigen Job. Wir schreiben das Jahr 2020 und antizipieren, wie die Arbeitswelt sich angesichts der aktuellen BfS-Szenarien (1) zur Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz entwickeln könnte.

Szenarien

Denn gemäss mittlerem Szenario (2) der Bevölkerungsentwicklung bis 2030 reduziert 
sich die Anzahl der 15- bis 24-Jährigen um 3,34 Prozent, jene der 45-64-Jährigen wird um 10,53 Prozent ansteigen, während der Anteil der 65- bis 79-Jährigen sich um 56,45 Prozent erhöhen und jener der über 80-Jährigen sich dann mit 88,97 Prozent nahezu verdoppeln wird. Dies ist eine gewaltige quantitative Verschiebung zwischen den Generationen. Unausgewogene Altersstrukturen und fehlender Nachwuchs dürften so zur Realität vieler 
Unternehmen werden und das Miteinander der Generationen in ein neues Verhältnis 
setzen. Der derzeit knappe Arbeitsmarkt gibt hierauf einen kleinen Vorgeschmack.

Arbeitsmarktrealitäten

Gemäss der Studie «Recruiting Trends 2010» (3) bei 500 Schweizer Topunternehmen werden 29 Prozent der offenen Vakanzen als schwierig zu besetzen eingestuft, 3,7 Prozent als gar nicht besetzbar bewertet. Dieser Trend wird auch von BESTA, dem Beschäftigtenbaro-
meter Schweiz, für das 2. Quartal 2010 bestätigt. Sowohl der Index der offenen Stellen als auch der Indikator der Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung erhöhten sich insbesondere für den sekundären Sektor deutlich. Bei den MINT-Fachkräften (4) konnte im März 2009 bei einer Vakanzquote von 8,5 
Prozent jede elfte Stelle nicht besetzt werden. Und um ein anderes Beispiel zu nennen: Der Bedarf an Nachwuchskräften in der Pflege wird bis 2020 auf jährlich rund 16 500 Personen (5) geschätzt. Der knappe Arbeitsmarkt lässt die Auswirkungen der demografischen Entwicklung bereits spürbar werden. Doch wie bereiten sich Unternehmen auf diese 
Herausforderungen vor, die schon seit langem bekannt sind?

Blick in die Unternehmen

Die Anzahl an Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen, die die Altersstrukturen ihrer Belegschaften analysieren, steigt. Mit einer 
Intensivierung von Lehrlingsausbildung und Hochschulmarketing wird die begehrte Generation Y umworben, und die grenzüberschreitende Rekrutierung in Deutschland als beliebtestem benachbarten Arbeitsmarkt hält an (6). Auch qualifizierte Nachwuchsfrauen kommen zunehmend in den Rekrutierungsfokus. Standortbestimmungen 45 oder 50plus sind inzwischen Bestandteil des Weiter-
bildungsprogramms vieler Unternehmen, und Mitarbeitende begegnen diesen längst nicht mehr mit so vielen Vorbehalten wie noch vor einigen Jahren. Auch eine Reihe an Beispielen «guter Praxis» für die Generation 50plus zeigt, dass eine Sensibilisierung stattfindet  (7). Häufig sind diese jedoch strategisch zu wenig verankert und nicht in ein alle Ge-nerationen umfassendes HR-Programm eingebettet. So erfolgt deren Umsetzung immer noch mit zu wenig Nachdruck, auch wenn es mittlerweile einige Unternehmen und öffentliche Verwaltungen gibt, die Herausforderungen der demografischen Entwicklung in Personalpolitik und -strategie berücksichtigt haben. Und diese werden zukünftig viele
HR-Bereiche betreffen.

Talentmanagement

Angesichts der verschärften Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wird eine Intensivierung der externen Rekrutierungsaktivitäten allein nicht ausreichen. Das Augenmerk wird deshalb verstärkt auf die interne Rekrutierung gelegt werden müssen. Dies zeigt sich in den HR-Trendumfragen der grossen Unternehmens- und Personalberatungsfirmen (8), in 
denen Talentmanagement die höchste Priorität bei den HR-Aktivitäten erhält. Eine
strategische Ausrichtung mit der Identifikation von Schlüsselkompetenzen sowie eine seriöse Potenzialanalyse gehören zu einem nachhaltigen Talentmanagement. Vor allem aber ist ein Umdenken in Bezug auf die Zielgruppen erforderlich. Talente finden sich nicht nur auf den Topebenen und bei den jungen Nachwuchskräften, sondern in der Gesamtorganisation, über alle Funktionen und alle Generationen hinweg.

Mitarbeitendenbindung

Der Kampf um qualifizierte Fachkräfte wird die Fluktationsraten erhöhen. Die Mitar-
beitendenbindung wird deshalb zukünftig einen höheren Stellenwert erhalten. Der 
Fokus darf jedoch nicht auf die begehrte 
Generation Y eingeengt werden, deren Bedürfnissen derzeit ein besonderes Interesse gilt. Auch die Generation in der Familienphase oder die Generation 50plus gilt es an das Unternehmen zu binden. Und hier stellt sich oftmals die viel grundlegendere Frage, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit diese überhaupt im Erwerbsleben 
bleiben respektive ihre Arbeit gesund, motiviert und leistungsfähig bis zum gesetzlichen Pensionierungsalter ausführen
können. Die Voraussetzungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie 
Teilzeitmodelle und Kinderbetreuung usw. sind hinlänglich bekannt.

Präventive Arbeitsgestaltung

Wie die Voraussetzungen für die Generation 50plus aussehen können, macht folgendes Beispiel deutlich: In einem BMW-Werk wurde ein Team, das die künftige Altersstruktur des Unternehmens spiegelt, in einer speziellen Produktionslinie eingesetzt. Es hatte den 
Auftrag, Arbeitsbedingungen zu testen, unter denen Menschen gesund altern und Ältere möglichst produktiv arbeiten können. Die 
70 Vorschläge zu Aufgabenwechsel, Ergo-
nomie und Raumgestaltung, die die Mitar-beitenden machten, werden nun in ganz 
normalen Fertigungsstrassen umgesetzt, und dies preiswert und wirkungsvoll (9). So können auch die anderen Generationen von diesen Massnahmen profitieren.

Gleitende Pensionierung

Nicht nur die Möglichkeit, auch der Wunsch, bis zum gesetzlichen Pensionierungsalter oder sogar darüber hinaus arbeiten zu wollen, muss gegeben sein. Teilzeitangebote zum 
gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben finden bislang jedoch nur wenig Anklang. Laut Daten des BfS (2006) (10) ist die Anzahl der Personen, die über eine Teilzeitarbeit das
gesetzliche Pensionsalter erreicht haben, 
zwischen 1991 bis 2005 relativ deutlich zurückgegangen, während Teilzeitarbeit bei allen anderen Altersgruppen zugenommen hat. Und immer noch verlässt eine nennenswerte Anzahl an Beschäftigten vorzeitig das Erwerbsleben, und dies nicht nur aus gesundheitlichen Gründen. Unternehmen kon-
kurrieren hier mit den Enkelkindern, einem Ehrenamt oder einem Hobby, einem Zweitwohnsitz oder der Pflege von Familienangehörigen. Wie Arbeit und andere Lebensinteressen vereinbart werden können – auch diese Frage stellt sich zukünftig für Unternehmen, die die Generation 50plus länger im Erwerbs
leben halten möchten.

Wissenstransfer

Unterschiedliche Generationen verfügen über unterschiedliches Schlüsselwissen. Und mit der Pensionierungswelle der Baby-
Boomer-Generation gilt es, Know-how und 
Erfahrungswissen auf die nachfolgende Generation zu übertragen. Ansätze, den Wissenstransfer zwischen den Generationen zu fördern, gibt es viele. Laut Adecco (2009) (11) 
werden diese in Schweizer Unternehmen bislang jedoch nur zögerlich umgesetzt. So 
stellen nur 52 Prozent der befragten Unternehmen Teams bewusst altersgemischt zusammen, 24 Prozent arbeiten mit Mentoringprogrammen und 20 Prozent nutzen «Junior-Senior Round Tables». Zeit, Teamklima, Vertrauenskultur und eigene Motivation (12) sind wesentliche Vor-aussetzungen für das Gelingen des Wissenstransfers. Der Wissens-transfer muss zudem in den Aufgaben
profilen verankert werden, damit dieser 
überprüft und honoriert werden kann.

Führung

Führungskräfte setzen Massnahmen des 
Generationenmanagements um und sind in ihrer Führungsarbeit unmittelbar mit den Folgen der Altersverschiebung konfrontiert. Hierzu gehören Vor- und Nachteile von 
altershomogenen und -heterogenen Teams (13), grosse Altersunterschiede zwischen Führungskraft und Geführten (14) sowie eine 
erhöhte Diversität in den Teams. Die Wahrnehmung des eigenen Alters und des Alters der Mitarbeitenden zu reflektieren und auf allfällige Altersstereotype zu hinterfragen, ist hierfür eine wesentliche Voraussetzung. Denn für eine geringere Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeitender gibt es bislang keinen empirischen Beleg (15). Diese Gruppe zeigt sich erst dann weniger leistungsbereit, wenn sie wiederholt erlebt, dass sie alleine wegen ihres Alters benachteiligt und geringgeschätzt wird (16). Ein wesentlicher Schlüssel des Generationenmanagements ist deshalb, für ein alternsgerechtes Führen zu sensibilisieren und 
Aufgaben zu schaffen, die die Zusammenarbeit aller Generationen erfordern.

Ausblick

Demografische Szenarien sind abstrakt. Eine wesentliche Aufgabe des HRM besteht deshalb darin, diese Szenarien in konkrete Business-szenarien zu übersetzen und gemeinsam 
mit GL und Linie zu überlegen, ob mit der 
altersmässigen Entwicklung der Belegschaft die Unternehmensstrategie umgesetzt und die Unternehmensziele erreicht werden können. Personalrisikofaktoren identifizieren und daraus resultierende Kosten aufzeigen, verleiht diesem Vorgehen entsprechenden Nachdruck. Ein entscheidender Wettbewerbsvorteil wird jedoch sein, als Unternehmen den Mut zu haben, Zukunftsszenarien bereits heute in die Tat umzusetzen, um damit Massstäbe für ein zukünftiges Generationenmanagement zu setzen.

Buch zum Thema

Martina Zölch, Anja Mücke,
Anita Graf, Axel Schilling: Fit für den demografischen 
Wandel? Haupt Verlag AG, August 2009, kartoniert,
390 Seiten, CHF 71.–

Quellen:

1 
BfS (2010). Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz 2010 bis 2060. Neuchâtel.
2 
Das mittlere Szenario geht davon aus, dass die sozio-
ökonomischen Trends der letzten Jahrzehnte in den 
nächsten Jahren anhalten werden.
3 
Recruiting Trends 2010 Schweiz; 
recruitingtrends@monster.ch
4 
MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik
5 
Dolder, P. & Grünig, A. (2009). Nationaler Versorgungs-
bericht für die Gesundheitsberufe. Personalbedarf und Massnahmen zu Personalsicherung auf nationaler Ebene. Ein Projekt GDK und OdASanté.
6 
Recruiting Trends 2010 Schweiz;
recruitingtrends@monster.ch
7 
Zölch, M., Mücke, A., Graf, A. & Schilling, A. (2009). 
Fit für den demografischen Wandel? Bern: Haupt. Bruch, H., Kunze, F. & Böhm, S. (2010).
Generationen erfolgreich führen. Wiesbaden: Gabler.
8 
PWC (2010), Boston Consulting (2009), Capgemini (2009)
9 
Die Zeit, Nr. 45, 4. November 2010, S. 23
10 
BfS (2006). Teilzeitarbeit in der Schweiz. Neuchâtel.
11 
Adecco Institute 2009: Sind Unternehmen bereit für den demografischen Wandel?
12 
Ellwart, Th., Mock, K. & Rack, O. (2010). Altersgemischte Zusammenarbeit: Potenziale für Wissensaustausch, 
Innovation und Development. HRM-Dossier Nr. 48, 
SPEKTRAmedia Verlag, Zürich.
13 
Veen, S.(2008). Demographischer Wandel, alternde 
Belegschaften und Betriebsproduktivität. Mering: Hampp.
14 
Mücke, A. (2008). Personalführung und Alter. 
Hamburg: Verlag Dr. Kovac.
15 
Krings, F. & Bangerter, A. (2010). Durch Diversity 
Managment die demografische Alterung meistern. In G. Ochsenbein, U. Pekruhl & R. Spaar. Human Resource Management Jahrbuch 2010 (S. 127–162). Zürich: WEKA.
16 
Rabl, T. (2010). Age, discrimination, and achievement 
motives. A study of German employees. Personnel 
Review, Vol. 39, Issue 4, pp. 448–467.

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Martina Zölch ist Leiterin des Instituts für Personalmanagement und Organisation an der Hochschule für Wirtschaft FHNW.

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