Quo vadimus? Was uns 2015 politisch erwartet
Die Masseneinwanderungsinitiative in einem Wahljahr umzusetzen, wird eine Herkulesaufgabe. Gleichzeitig bleibt der Druck auf Politik und Wirtschaft unvermindert, gesellschaftliche Probleme in Sozialversicherung und Raumplanung zu lösen. Dennoch gibt es für die Wirtschaft – und die Personaldienstleister im Besonderen – ein Licht am Ende des Tunnels. Sofern sie sich ernsthaft mit dem inländischen Arbeitskräftepotenzial auseinandersetzen.
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Das Jahr 2014 dürfte in die Annalen der Schweizer Wirtschaftsgeschichte eingehen. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014 bildete eine Zäsur für den Schweizer Wirtschaftsstandort. Die ansässigen Unternehmen wurden in einem zentralen Handlungsspielraum beschnitten, namentlich in der Personalbeschaffung.
Die Personaldienstleister, die sich unter anderem auf die grenzüberschreitende Rekrutierung spezialisiert haben, sind besonders betroffen. Doch damit nicht genug: Ist die EU nicht gewillt, die bilateralen Verträge mit einem eingeschränkten Personenverkehr weiterzuführen, sind Absatzmärkte für Schweizer Unternehmen gefährdet.
Wie der neue Verfassungsartikel zur Zuwanderung letztlich umgesetzt wird, ist noch offen und wird im eingeläuteten Jahr heftig diskutiert werden. Nicht nur, weil die Thematik hochbrisant ist, sondern weil auf Bundesebene zudem Wahljahr ist. Gewisse Parteien und exponierfreudige Parlamentarier werden mit eigenwilligen Umsetzungsideen aufwarten. Andere werden sich hüten, in irgendeiner Form Stellung zu beziehen und Zusagen zu machen. Konstruktive, zweckdienliche Lösungen sind in einem solchen Kontext schlicht unmöglich. Da der neue Zuwanderungsartikel aber innert drei Jahren umgesetzt werden muss – es verbleiben nur noch zwei –, muss der Bundesrat vorankommen. Er kann mit der Vernehmlassung nicht zuwarten, bis die Wahlen im Herbst durch sind. Und auch die Debatte im Parlament könnte aufgrund des engen Zeitplans bereits vor den Wahlen beginnen.
Wir dürfen uns aus heutiger Warte aber darüber freuen, dass es swissstaffing gelungen ist, sich mit einer Arbeitgeber-Koalition für eine pragmatisch-wirtschaftsverträgliche Umsetzung des Zuwanderungsartikels stark zu machen.
Es ist jedoch fraglich, ob die Politik im anstehenden Wahljahr für einen pragmatischen Lösungsvorschlag bereit ist. Nichtsdestotrotz wird swissstaffing seine Anstrengungen unvermindert fortsetzen, um das Terrain für eine funktionale Lösung nach den Wahlen zu ebnen. Nur eine ausgewogene Gesetzesvorlage wird die Schweiz und ihr hohes Wohlstandsniveau sichern. Sie muss einerseits dem Wunsch der Stimmbevölkerung nach einer besser gesteuerten Zuwanderung Rechnung tragen und andererseits den Unternehmen die Handlungsfreiheit sichern, damit diese im globalen Wettbewerb bestehen können.
Gewisse politische Kreise liebäugeln dagegen mit einer erneuten Abstimmung. Die Stimmbevölkerung soll sich an der Urne zwischen der Personenfreizügigkeit und den bilateralen Verträgen entscheiden. Anders gesagt, sie soll die beschlossene Zuwanderungsbeschränkung wieder aufheben. Dafür spricht Folgendes: Die Beibehaltung der bilateralen Verträge ohne Personenfreizügigkeit kommt einer Quadratur des Zirkels gleich. Es wäre für die Schweizer Politik kein Novum, dass ein und dieselbe Frage mehrmals dem Stimmvolk unterbreitet wird. Das war beim Uno-Beitritt sowie bei der Mutterschaftsversicherung bereits so. Nur lägen in diesem Falle keine drei Jahre zwischen den beiden Abstimmungen. Ob in dieser kurzen Zeit ein Meinungsumschwung stattfindet, ist fraglich. Viel eher dürfte sich das Stimmvolk nicht ernst genommen fühlen. Dann ginge der Schuss nach hinten los.
Das gefährliche Doppelspiel der Gewerkschaften
Gegenüber den Gewerkschaften durfte die Wirtschaft im vergangenen Jahr einen Sieg verbuchen. Die Mindestlohninitiative wurde haushoch abgelehnt. Deren Annahme hätte de facto die Sozialpartnerschaft beendet. Wenn Mindestlöhne per Gesetz festgelegt werden, entfällt für die Gewerkschaften fast jeder Anreiz, mit den Arbeitgebern Gesamtarbeitsverträge auszuhandeln. Entsprechend erfreut ist swissstaffing über den deutlichen Stimmentscheid gegen einen gesetzlichen Mindestlohn.
Der swissstaffing-Vorstand hat am letztjährigen Strategiemeeting seinen Willen zur Sozialpartnerschaft bekräftigt. Aus der direkten Diskussion zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern resultieren zweckdienlichere und passendere Lösungen als über den parlamentarischen Umweg. Jede Branche kann unter Berücksichtigung der ihr bestens vertrauten Gegebenheiten massgeschneiderte Regeln erarbeiten. Diesen Spezialisierungsgrad kann das Parlament nicht erreichen. Erstens fehlt ihm das branchenspezifische Wissen und zweitens muss es eine Lösung für alle finden.
Mit gewisser Besorgnis nehmen wir deshalb von gewerkschaftlichem Aktionismus ausserhalb der Sozialpartnerschaft Kenntnis. Projekte wie ein kantonaler Mindestlohn – derzeit pendent im Kanton Neuenburg – oder Normalarbeitsverträge deuten auf ein gefährliches Doppelspiel der Gewerkschaften hin. Anliegen, die die Gewerkschaften im Rahmen ihrer Gesamtarbeitsverträge nicht durchsetzen konnten, versuchen sie auf dem Gesetzesweg zu erzwingen. Gleichzeitig (Sozial-)Partner und Opponent zu sein, ist gelinde gesagt ein Hochseilakt, viel eher aber ein Wortbruch.
Dennoch – beziehungsweise umso mehr – steht swissstaffing unverrückbar hinter dem GAV Personalverleih und möchte diesen weiterentwickeln. Dessen Einführung im Jahr 2012 bedeutete einen Paradigmenwechsel für die Personaldienstleistung. Seither hat sich die Branche an das Vertragswerk gewöhnt. Die Umsetzungsstrukturen für den Vollzug, die Weiterbildung und die Sozialfonds sind aufgebaut. Das Selbstverständnis der Personaldienstleister, GAV-Partner zu sein, hat sich etabliert. Mit drei Jahren ist der GAV Personalverleih allerdings ein zartes Pflänzchen. Die Umsetzungsstrukturen bedürfen weiterer Professionalisierung. Im Vertragstext gibt es Holprigkeiten, die es auszubessern gilt. Und hüben wie drüben gibt es nach wie vor Akteure, die von der Sozialpartnerschaft (noch) nicht restlos überzeugt sind.
swissstaffing wird sein Engagement zugunsten des GAV Personalverleih ungebremst weiterführen, um das Vertragswerk und die Sozialpartnerschaft weiter zu stärken. Gewerkschaftliche Angriffe ausserhalb der Sozialpartnerschaft wird swissstaffing dagegen bekämpfen. Im Kanton Neuenburg ist uns das zusammen mit anderen Branchenverbänden gelungen: Das Bundesgericht hat den kantonalen Mindestlohn suspendiert.
Gesellschaft aus dem Gleichgewicht
Die verschiedenen – teils gelungenen und teils gescheiterten – Versuche an der Urne, die Handlungsfreiheit der Wirtschaft einzuschränken, stimmen nachdenklich. Minder, 1:12, Masseneinwanderung, Mindestlohn, Ecopop: Die fast quartalsweise wiederkehrenden, wirtschaftsschädlichen Abstimmungsvorlagen sind Ausdruck einer verbreiteten Skepsis gegenüber der Unternehmerschaft. Diese entstand wohl mit dem Ausbruch der Finanzkrise, ebbt seitdem aber nicht mehr richtig ab. Unsere Bevölkerung ist in der Tat mit einigen Baustellen konfrontiert: Die demografische Alterung schreitet voran. Das Bundesamt für Statistik prognostiziert (in sei-nem mittleren Szenario) bereits ab 2022 eine Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung.
Verstopfte Verkehrswege und steigende Wohnpreise sind weitere ungelöste Probleme. Auch wenn letzteres in erster Linie eine Folge gestiegener Ansprüche einerseits und offener Raumplanungsfragen andererseits ist, treffen sie in Abstimmungen die Wirtschaft. Die Schweizer Gesellschaft ist aus dem Gleichgewicht geraten und verschafft sich an der Urne Luft. Populistische Rezepte haben in dieser Situation ein leichtes Spiel.
Die Herausforderung für die Arbeitgeber in der Schweiz besteht darin, das volle Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaft wieder zurückzugewinnen! Indem sich die Arbeitgeber ernsthaft und mit intelligenten Modellen bemühen, das inländische Arbeitskräftepotenzial voll auszuschöpfen, können sie ein Zeichen setzen. Damit sei nicht gesagt, dass die Wirtschaft auf diese Weise alle gesellschaftlichen Probleme lösen kann. Die Politik ist stark gefordert – von der Raumplanung, über die Sozialpolitik bis eben hin zur Migrations- und Aussenwirtschaftspolitik. Aber die Wirtschaft kann und muss das ihrige dazu beitragen. Den erlittenen Vertrauensverlust kann nur sie wiedergutmachen. Auch wenn die Schweiz eine rekordhohe Erwerbsquote verzeichnet, gibt es ein verbleibendes inländisches Arbeitskräftepotenzial. Die Rede ist von Müttern, älteren Erwerbspersonen und wenig Qualifizierten. Dieses gilt es anzuzapfen. Wenn die Arbeitgeber geschickt vorgehen, schaffen sie damit eine Win-win-Situation, die sie in einer Welt des zunehmenden Fachkräftemangels voranbringt.
Für die Temporärbranche eröffnen sich dabei Chancen: Mit dem GAV-Weiterbildungsfonds temptraining haben die Personaldienstleister ein leistungsstarkes Instrument zur praxisorientierten Qualifizierung von Arbeitswilligen. Damit können Menschen in den Markt eingebunden werden, denen die nötigen Fachkompetenzen bisher fehlten.
Als Vermittler und Berater sind die Personaldienstleister zudem prädestiniert, Eltern oder ältere Arbeitnehmende beim Einstieg oder beim Verbleib im Arbeitsmarkt zu unterstützen – zum Beispiel mit ergänzenden Dienstleistungen im Bereich der Kinderbetreuung, der Steuer-, Altersvorsorge- oder Versicherungsberatung.
Schliesslich ist die Temporärarbeit eine Arbeitsform, die den Einstieg ebnet, Ausprobieren zulässt und projektweise Anstellungen ermöglicht. Bei allen schwarzen Wolken am Politikhimmel sehe ich also auch beachtliche Chancen für die Personaldienstleister-Branche. Packen wir sie an!