HR Today Nr. 2/2023: Interview mit Lee Diamant

«Recruiter sind die Visitenkarte des Unternehmens»

Auch im HR hinterlässt der Fachkräftemangel Spuren. Etwa im Recruiting. Lee Diamant, ­Recruiting-Spezialist und Linkedin-Meinungsmacher darüber, wie HR sich selbst helfen kann.

Sie rekrutieren Recruiter, das könnte doch auch das HR Ihres Auftraggebers tun. ­Weshalb braucht es Ihre Dienstleistung?

Lee Diamant: HR-Teams haben viele verschiedene Aufgaben, von denen eine darin besteht, gelegentlich einen Recruiter oder eine HR-Fachperson zu finden. Wir sprechen dagegen täglich mit solchen Fachkräften. Dass die meisten HR-Verantwortlichen und Recruiter eine Suche nicht mit der gleichen Intensität und Hingabe betreiben wie wir, liegt nicht daran, dass sie es nicht können oder wollen. Sie haben einfach viele andere Stellen zu besetzen und Aufgaben zu erledigen. Hinzu kommt, dass ein HR-Team häufig nur aktive Stellensuchende anspricht, und somit potenzielle, sich passiv verhaltende Spitzenleute verpasst. Manchmal geht eine Stellenanzeige bei all dem Lärm um Fachkräfte aber auch unter. Das passiert häufig bei KMU, deren Stellenausschreibungen oft nur eine begrenzte Reichweite haben.

HR-Fachkräfte sind häufig untereinander vernetzt und kennen sich. Das sind gute Voraussetzungen, um HR-Stellen intern zu besetzen. Wann sollten HR-Fachleute auf ihr eigenes Netzwerk zurückgreifen – und wann eher nicht?

HR-Fachkräfte sollten ihr eigenes Netzwerk für die Besetzung einer HR-Stelle nutzen, wenn sie wissen, dass sich dafür geeignete Personen darin befinden. Aber auch, wenn sie eine zur Unternehmenskultur passende Fachkraft kennen und die HR-Rolle für diese Person eine berufliche Entwicklung darstellt. Ausserdem, wenn die Firma ein kleines Budget hat und es sich nicht leisten kann, eine Agentur zu engagieren. Sich auf sein eigenes Netzwerk zu verlassen, reicht aber nicht immer. Insbesondere nicht, wenn ein Unternehmen diverser werden oder seinen Talentpool erweitern will. Zudem ist es für die Entwicklung des HR und des Unternehmens wichtig, dass neue Leute hinzukommen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten immer dasselbe Kernteam, das von Unternehmen zu Unternehmen wechselt. Innovation und Wachstum wären begrenzt, da der frische Wind fehlt, um neue Ideen und Arbeitsmethoden anzuregen. Es ist wie in einer Sportmannschaft: Manchmal braucht es einen erfahrenen Superstar oder ein junges Talent, um das bestehende Team zu inspirieren und neue Ideen und Fähigkeiten einzubringen.

Mit welchen Rekrutierungs-Aufträgen kommen Personaler zu Ihnen?

Zu unseren Kunden gehören viele Start-ups, die ihre erste HR-Stelle besetzen. Ebenso arbeiten wir mit KMU zusammen, die Top-Talente suchen und Schwierigkeiten haben, einen «Match» zu finden. Hinzu kommen Recruiting-Agenturen, die Fachkräfte in der Personalberatung, im Management, sowie in der Führung suchen. Ausserdem rekrutieren wir Führungskräfte, die Personalvermittlungs-Offices eröffnen und einen Brand lancieren. Diese Stellen sind äusserst anspruchsvoll zu besetzen. Unsere Kundschaft wendet sich aber auch an uns, wenn die Suche zu lange dauert oder diese nicht erfolgreich verläuft.

Was sind im HR aktuell besonders schwer zu besetzende Stellen?

Das hängt vom Unternehmen, der Branche und der Grösse ab. Ein Start-up oder ein KMU hat ganz andere Rekrutierungs-Herausforderungen als ein grosses internationales Unternehmen. In einigen Sektoren ist es aufgrund der spezifischen Fähigkeiten und des erforderlichen Fachwissens schwieriger, qualifizierte Personen zu finden. Stellen in der Talent Acquisition sind besonders oft schwer zu besetzen. Das liegt zum einen an den erforderlichen Deutsch- und Englischkenntnissen, zum anderen aber auch daran, dass es wenige Mitarbeitende gibt, die eine Mischung aus Recruitment Skills und Fachkenntnissen wie Employer Branding, Talentpooling und Strategientwicklung mitbringen. Ebenso schwierig ist es, Mitarbeitende für das Payrolling zu finden. Hier scheint es einen Mangel zu geben.

Auf welche (schwer zu besetzende) HR-Stellen sind Sie besonders stolz?

Mein persönliches Highlight ist die Rekrutierung des «Head of Switzerland» für ein Schweizer Boutique Recruitment-Unternehmen. In den letzten Jahren habe ich mehrere solche Positionen vermittelt. Dafür musste ich mein Netzwerk intensiv durchforsten und mit vielen Top-Führungskräften in Kontakt treten, um einige für ein Vorstellungsgespräch zu gewinnen. Die Interviews sind komplex, die Verhandlungen hart, aber die Zufriedenheit und die Freude über den Erfolg sind immens.

Wie finden Sie passende HR-Fachkräfte?

Wir verbringen die meiste Zeit mit Headhunting und der Entwicklung unseres Talentpools. Ein grosser Teil unseres Erfolges und unserer Strategie besteht darin, ein «Thought Leader», oder «Thought Provoker» zu sein. Das tun wir auf unterschiedlichste Weise. Beispielsweise mit unseren Linkedin Live-Videos und YouTube-Channel Serien wie «Ask A Recruiter», «Swiss Recruitment Journeys» und «Coffee with Catha.» Weil wir uns immer wieder aufs Neue mit unserem Netzwerk auseinandersetzen, unsere Ideen teilen und Positives bewirken, bauen wir neue Beziehungen auf und gewinnen jeden Tag neue Follower und eine neue Kundschaft.

Was machen Sie anders als firmeninterne Personaler?

Ein grosser Unterschied besteht darin, dass wir auf Bewerbende zugehen, mit ihnen ins Gespräch kommen und Fragen stellen, wie: «Was ist Ihr Traumjob?», «Was wünschen Sie sich für Ihre nächste Aufgabe?» oder «Wenn Sie einen Wechsel in Betracht ziehen würden, wie würde dieser aussehen?». Das ermöglicht eine völlig andere Gesprächsebene. Auf diese Weise kommen wir mit vielen Bewerbenden in Kontakt, die eine Anfrage eines HR-Teams oder eines Recruiters sonst eher nicht beantworten. Noch wichtiger ist, Bewerbenden diverse Stellen anzubieten, sie zu beraten, ihnen bei der Berufswahl zu helfen und einen Überblick auf den Markt zu verschaffen. Daneben unterstützen wir sie auch bei Gehaltsverhandlungen.

HR aus Aussensicht: Wie nehmen Sie HR in Unternehmen wahr?

Remote-Working-Lösungen, Digitalisierung, Outsourcing sowie die zunehmende Notwendigkeit, sich auf das Wohlbefinden und die Entwicklung der Mitarbeitenden zu konzentrieren, bedeuten, dass die HR-Abteilung innerhalb eines Unternehmens bei der Gestaltung der Unternehmenskultur eine grundlegende Rolle spielt. Es ist grossartig zu sehen, welche Anerkennung und Wertschätzung HR in vielen Organisationen erfährt. Es sollte immer Teil des Führungsteams eines Unternehmens sein, weil es für dessen Erfolg so wichtig ist.

Wo besteht in Sachen Recruiting besonderer Handlungsbedarf?

Es gibt immer noch Unternehmen, die keine Recruitment- oder Talent Acquisition-Fachleute einstellen und von der Personalabteilung erwarten, dass sie diese Arbeit übernimmt. Diesen Rekrutierungsaufwand kann eine HR-Fachkraft jedoch nicht noch zusätzlich bewältigen. Zudem müsste die Aus- und Weiterbildung im Recruitment, in der Talent Acquisition und im HR verbessert werden, da die meisten HR-Mitarbeitenden in ihrer aktuellen Funktion nur wenig oder gar nicht geschult wurden. Somit verlassen sich Unternehmen lediglich auf die bereits vorhandenen Fähigkeiten und versäumen es, sich mit der sich wandelnden Recruitment-Landschaft auseinanderzusetzen und den Mitarbeitenden neue Instrumente und Ideen an die Hand zu geben, um sich zu entwickeln.

Wie unterstützen Sie Ihre Kunden bei akuten HR-Engpässen?

Wir gehen auf ihre spezifischen Probleme ein und versuchen, eine kreative Lösung zu finden. Ganz gleich, ob diese Lösung darin besteht, einen Contractor zu beauftragen oder einen Teil der Arbeit an uns oder einen anderen Anbieter auszulagern: Wir verfügen über viele Verbindungen und kreative Ideen.

Inwiefern taugen Ad-Interim-Einsätze oder temporäre Stellen dafür?

Oft reicht das, um die Zeit bis zur permanenten Lösung zu überbrücken oder jemanden mit Erfahrung einzustellen. Handelt es sich um eine Fachkraft, die bei mehreren Unternehmen temporär angestellt war, profitiert die Firma von vielen neuen Ideen und Lösungen und von jemandem, der mit verschiedenen Herausforderungen vertraut ist. Dennoch sollte sich ein Unternehmen die Frage stellen, ob Temporäre die Werte und Ziele des Unternehmens angemessen vertreten und sich so engagieren, wie es andere Mitarbeitende tun. Schliesslich sind Recruiter die Visitenkarte des Unternehmens.

Welche anderen Lösungsansätze sehen Sie bei HR-Personalknappheiten?

Die Einstellung von Teilzeitkräften kann ein flexibler Weg sein, um einen kurzfristigen Personalbedarf zu decken. Wir sehen viele Bewerbende, die eine 40 bis 60-Prozent-Teilzeit­- beschäftigung suchen, aber kaum Unternehmen finden, die bereit sind, solche Arbeitsumfänge oder Jobsharing-Lösungen anzubieten. Ausserdem können Firmen Mitarbeitende, die über die nötigen Kompetenzen verfügen, im HR-Bereich schulen und weiterbilden. Das HR ist ein äusserst beliebter Arbeitsbereich. Ich glaube, dass viele Fachkräfte sich dieser Herausforderung stellen würden.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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