«Recruiting auf eine neue Entwicklungsstufe bringen»
ISO- und DIN-Richtlinien werden in fast allen Unternehmensbereichen angewandt. HR war davon bislang ausgenommen. Weshalb es sich lohnt, im Personalbereich Prozesse zu standardisieren, und welche Möglichkeiten sich hierzu bieten, zeigt das Beispiel der Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ).
Zertifizierung im HR: Unumgängliche Standardisierung? (Bild: iStock)
«Wir müssen die Welt nicht immer wieder neu erfinden», sagt Harald Ackerschott, Diplompsychologe und Obmann des Arbeitsausschusses zum Personalmanagement am Deutschen Institut für Normung sowie Mitautor der DIN 33430 zur Eignungsdiagnostik. Zu verdanken sei das Standards und Normen, die unseren Alltag beeinflussen, ohne dass wir es merken. «Auch disruptive Firmen verlassen sich darauf», sagt Ackerschott. «Was wären Tesla, Amazon oder Spotify ohne Internet?» Letztere funktioniere nur wegen des HTTPS-Standards.
Dennoch mutet es seltsam an, HR zu normieren und zu zertifizieren, geht es in diesem Bereich doch hauptsächlich um Menschen. Auch wenn Normen und Standards für Ordnung sorgen und helfen, sich wiederholende HR-Aufgaben zu optimieren. Beispielsweise bei der Eignungsdiagnostik, die durch die weltweit erste HRM-Richtlinie, die DIN-Norm 33430, geregelt wird und mit der sich dieser HR-Teilbereich zertifizieren lässt. Ihr Zweck? «Ungeeignete Kandidaten rasch zu erkennen und zu verhindern, dass passende durch Vorurteile übersehen werden», sagt Ackerschott.
Anspruchsvolle Zertifizierung
Nicht nur der Eignungsdiagnostik-Prozess, auch die dabei involvierten Personaler werden zertifiziert. Dafür sind profunde Kenntnisse erforderlich. Beispielsweise wie eine Anforderungsanalyse funktioniert, wie ein Eignungsdiagnostik-Prozess aufgesetzt wird oder nach welchen Kriterien Instrumente und Verfahren ausgewählt und miteinander kombiniert werden. Zudem, wie die Qualität von Tests und Fragebögen beurteilt wird, welche Interviewformen es gibt und welche Anforderungen Beobachtende in einem Assessment Center erfüllen müssen. Daneben sind Statistik-, Methoden- und Prozesskenntnisse gefragt, ebenso psychologisches Fachwissen, um kulturabhängige Verhaltensweisen zu erkennen und Beobachtungs- sowie Beurteilungsfehler zu vermeiden. Auf den ersten Blick ein Riesenaufwand. Denn: «Firmen fällen so bessere Personalentscheide und sparen Geld für Fehlrekrutierungen, beispielsweise weil sie ungeeignete Instrumente bei der Personalauswahl einsetzen», sagt Ackerschott.
Das HR durchleuchten
Eine Firma, die ihr HR zurzeit mit der DIN-Norm 33430 zertifizieren lässt, sind die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ). «Damit wollen wir unser Recruiting auf eine neue Entwicklungsstufe bringen. Innerhalb der Reorganisation unseres Recruitings analysierten wir dafür alle bestehenden Prozesse», sagt Florian Schrodt, Leiter Rekrutierung und Personalmarketing. Unter dem Arbeitstitel «Prozess-Stellschrauben» überlegte sich eine Arbeitsgruppe mit Recruitern, Personalmarketeers und HR-Businesspartnern zudem, wie die VBZ die «Ausbeute» aus der aktuellen Bewerberzahl erhöhen und eine Talent-Pipeline aufbauen könnte. Methodisch unterstützt wurde das Team von Anja Lüthy, einer Personalmanagement-Expertin der Technischen Hochschule Brandenburg. Gemeinsam wurde ein Ziel definiert: Das Recruiting-Team in eignungsdiagnostischen Fragen fit zu machen, Fehlerquellen zu minimieren und die Zusammenarbeit mit der Linie zu verbessern – beispielsweise dadurch, dass «Kann-Muss-Kriterien» im Stellenanforderungsprofil schärfer definiert würden. «Das hilft uns im HR-Marketing, neue Zielgruppen für unterschiedlichste Unternehmensbereiche wie Tram, Bus oder Instandhaltung zu identifizieren und anzusprechen.»
Entscheidend sei, vom Wunschprofil-Denken wegzukommen. Künftig sollen verschiedene Varianten eines Anforderungsprofils erstellt und mit geeigneten Werkzeugen die vielversprechendsten identifiziert und dadurch potenzielle Mitarbeitende gezielt angesprochen werden. Das klingt abstrakt, doch auf den Punkt gebracht bedeutet das für Florian Schrodt nichts anderes als: «Je besser die Profil-Analysen sind und je klarer die Vorstellung ist, wer zum Unternehmen passt oder passen könnte, desto besser ist auch das Rekrutierungsergebnis.» Mit dieser Vorgehensweise will Schrodt den Rekrutierungsprozess bei der VBZ straffen und die «Time-to-Hire» senken.
Ein wichtiger KPI zur Erfolgsmessung ist für Schrodt die Rekrutierungsquote. Dabei setzt er auf Klasse statt Masse. «Wir wollen unsere Treffergenauigkeit erhöhen, nicht einfach mehr Bewerbungen erhalten.» Noch liegt die Zertifizierung in weiter Ferne: «Wir stehen erst am Anfang», sagt der Rekrutierungsverantwortliche. «Um die notwendigen Eignungsdiagnostik-Kompetenzen dafür zu erwerben, erstellen wir gerade die Schulungskonzepte. Danach folgt die Terminplanung.»
Zertifizierungsstandards
Die International Organization for Standardization (ISO) ist die Dachorganisation der Normung, der auch das DIN untersteht. Seit 2011 gibt die Organisation Standards zum Human Resource Management heraus, die fast ausnahmslos als Empfehlungen gelten. Derzeit gibt es 254 publizierte HR-Standards. Beispielsweise: Diversity and inclusion, Knowledge management systems, Guidelines on recruitment, Sustainability employability, Cost-per-Hire, Human governance, Workforce planning, Impact of hire metric oder Human capital reporting.
Daneben befinden sich neun in Entwicklung: Beispielsweise Employee Engagement, Learning and development, Compensation systems, Workforce allocation oder Workforce data quality.
Zertifizierbar sind ISO-Standard 30414, Human Capital Reporting, für das Nachhaltigkeitsreporting von börsenkotierten Unternehmungen sowie ISO-Standard 10667 zum Assessment für Auftraggeber und Dienstleistende. iso.org
DIN 33430
Ist eine Norm des Deutschen Instituts für Normung (DIN) und bestimmt Qualifikationen für Interviewende und Beobachtende in der Eignungsdiagnostik sowie für Personen, die die Gestaltung des Gesamtprozesses verantworten (Eignungsdiagnostizierende). Zudem erstellt sie Regeln, nach denen solche Prozesse aufgesetzt werden müssen. Einerseits kann der Eignungsdiagnostik-Prozess zertifiziert werden, es können aber auch Personaler ein Zertifikat erlangen. abci.de/de/qualitaet
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