Recruiting von und für Menschen

Viele Branchen klagen darüber, dass es immer schwieriger wird gute Mitarbeiter zu finden und diese langfristig im Unternehmen zu halten. Der «War for Talents» ist schon lange ausgerufen. Doch auch in diesem «Krieg» geht es um Menschen.

Ein Mann und eine Frau treffen sich in einem romantischen Restaurant. Beide sind etwas nervös, denn es ist ihr erstes Treffen. Sie haben sich übers Internet kennengelernt. Ihre gemeinsamen 96 Matching-Points von 100 möglichen Punkten sind vielversprechend. Die Frau hat in den letzten drei Wochen über 100 Anfragen erhalten. Sie hat die Bewerber analysiert und die erfolgversprechendsten drei Kandidaten trifft sie persönlich.

«Wo siehst du dich in 10 Jahren» ist seine Eröffnungsfrage. Sie kontert, indem sie ihn nach seinen Schwächen fragt. Knapp eine Stunde und zwei Tassen Kaffee später ist der zweite und dritte Eindruck gemacht. Der Mann erhält noch die aufwändig erstellte Imagebroschüre der Frau mit auf den Weg – sie melde sich bei ihm, sagt sie.

Was Unternehmen aus dem Beziehungs-Recruiting lernen können

Wenn ich als Mensch einen anderen Menschen von mir überzeugen möchte (also im Beziehungs-Recruiting), braucht es von meiner Seite her Authentizität und Offenheit. Ich vermittle sehr schnell, was für mich persönlich wichtig ist, was ich mag und was für mich nicht geht. Man würde dem möglichen Partner nach dem ersten Date niemals eine persönliche Imagebroschüre mitgeben. Warum? Weil der Text darin eh nur Wunschdenken und optimierteste Selbstdarstellung wäre.

Sich auf Augenhöhe zu begegnen, ist hier keine leere Worthülse, sondern Bedingung. Bin ich zu all dem nicht bereit, gibt es maximal einen One-Night-Stand. Auf das Unternehmen übertragen, kosten diese One-Night-Stands immer ziemlich viel Geld. Findet man nach wenigen Wochen oder Monaten gegenseitig heraus, wo man im Bewerbungsgespräch etwas beschönigt oder dass man gar geschummelt hat, hilft es auch nichts, wenn der Kaffee im Unternehmen kostenlos ist und ich noch einen Pingpong-Tisch zur Verfügung habe.

Entwicklung hinterfragen – nur weil es geht, macht es nicht immer Sinn

Effizient muss er sein – der Recruiting-Prozess. Schliesslich ist es ein enormer Zeitfresser, wenn man 50 oder mehr Bewerbungen sichten muss. Glücklicherweise gibt es heute Computersysteme, welche die Vorauswahl selbständig erledigen. Erhält der Bewerber eine Absage, heisst die Begründung heute bereits oft: «Die Algorithmen unseres Computersystems haben sich leider gegen Sie entschieden. Das tut uns leid.» Das Ziel dieser Systeme ist es – laut Website eines Herstellers – «die Qualität der neuen Mitarbeiter/-innen zu sichern».

Es gibt schon heute einige Unternehmen, bei denen die Bewerberinnen und Bewerber keinen Termin mehr für ein Bewerbungsgespräch erhalten, sondern nur noch einen Link: die Einladung für ein virtuelles Bewerbungsgespräch. Im Prozess werden automatisiert Fragen gestellt und je nach Einstellung hat man ein bis zwei Minuten Zeit zu antworten. Alles wird per Audio und Video aufgenommen. Man spricht also zu seinem Computer. Ist das Interview abgeschlossen, erhält die HR-Abteilung die Aufzeichnung und kann diese dann effizient auswerten.

«Der Mitarbeiter ist im Mittelpunkt. Mit ihm möchten wir gemeinsam wachsen und Erfolge erzielen.» So oder so ähnlich steht es in tausenden Leitbildern, die in den Unternehmen hängen. Bemerken Sie den Irrsinn? Wir sprechen davon, dass man «auf Augenhöhe» kommuniziere und Werte wichtig seien. Und auf der anderen Seite lassen wir Big-Data entscheiden, wer als potentieller Mitarbeiter in Frage kommt.

Warum sollte ich hier arbeiten wollen?

Die Standardfrage «Warum sollten wir gerade Sie einstellen?» wird in Bewerbungsgesprächen immer noch gerne gestellt. Immer mehr wird die gleiche Frage inzwischen aber vom Bewerber gestellt: «Warum sollte ich meine wertvolle Lebenszeit gerade in Ihrem Unternehmen verbringen?» Jetzt mal ehrlich: Fällt Ihnen als HR-Verantwortlicher, Führungskraft oder Unternehmer die richtig «coole» und sinnvolle Antwort jenseits der abgedroschenen Floskeln – tolles Team, anspruchsvolle Arbeit, gute Bezahlung, kostenloser Kaffee, eigenes Fitnesscenter, Schlafnischen und natürlich Möglichkeit für Homeoffice – ein?

Der Arbeitgebermarkt hat sich schon lange zu einem Bewerbermarkt entwickelt. Die junge Generation fragt vermehrt nach dem Sinn der Arbeit und dem Sinn des Unternehmens. Ändern wir in den Unternehmen die Denkhaltung nicht, wird die Bewerberin oder der Bewerber dieses «alte Mindset» bereits am Empfang des Unternehmens spüren und die eigene Wahl entsprechend treffen.

Ideen jenseits der ISO-Prozesse …

Entsprechend gross ist die Ratlosigkeit in vielen Unternehmen. «Wir haben kostenlosen Kaffee, ein extrem vergünstigtes und hochwertigstes Essen in unserer Kantine und ein eigenes Fitnesscenter nur für die Angestellten, sogar mit einem eigenen Fitnesstrainer. Und wissen Sie was? Jetzt beschweren sich die Mitarbeiter über die Qualitäten des Fitnesstrainers. Der letzte sei viel besser gewesen», so dies Aussage eines CEO. Er kam mit der Frage auf mich zu, wie man Mitarbeiter auf «seine Seite» bringen kann. Meine Antwort: Nicht mit Goodies! Klar gehören eine gute und faire Bezahlung sowie weitere Annehmlichkeiten heute dazu. Aber dies ist längst nicht mehr der einzige Grund, um bei einem Unternehmen zu arbeiten.

Als ich diesen CEO nach dem Grund gefragt habe, warum er jeden Tag ins Unternehmen komme, konnte er mir dies nicht in wenigen Sätzen erklären. Und genau das ist der Punkt. Man kann das gewünschte und geforderte «Mitarbeiter auf seine Seite bringen» schlecht in starre Prozesse packen, weil die Lösung so individuell ist wie jedes Unternehmen.

Positionierung aushalten – und sich daran messen lassen

Der Bewerber möchte sehr schnell verstehen können, wie das Unternehmen tickt. Er möchte erkennen, dass hier Menschen anpacken, die ihren Job mögen und die vielleicht sogar einen Sinn darin sehen, genau hier und in dieser Position zu arbeiten. Um dies alles einem Bewerber kommunizieren zu können, muss das Unternehmen erst einmal Antworten auf diese Fragen kennen. Es wird nichts helfen, eine coole Agentur zu beauftragen und einen kreativen Wurf zu bestellen. Den teuren Text könnte man dann gleich neben das nicht gelebte Leitbild hängen.

Ein Unternehmen braucht «Persönlichkeit». Und diese Persönlichkeit entwickelt sich ständig weiter. Sie lebt die Werte, die für sie wichtig sind. Sie wird Standpunkte einnehmen, sich zu wichtigen Themen darstellen und offene Fragen beantworten. Nicht mit möglichst weichgespülten und schwammigen Worten, sondern mit einer klaren, unmissverständlichen Positionierung. Damit wird man in einigen Situationen anecken, allerdings auch greif- und begreifbarer.

Wenn die Mission eines Unternehmens für jeden Menschen, der darin arbeitet, greifbar und erlebbar ist, muss man sich selten noch den Kopf zerbrechen über das Thema Motivation. Wenn, ja wenn man das alles wirklich ernst meint. Dient die Wandlung nur als PR-Massnahme, wird sie heute schnell enttarnt und entsprechendes Feedback kann man dann auf Bewertungsportalen wie Kununu.com oder in Social-Media deutlich lesen.

Fazit

Jedes Unternehmen sollte sich heute bewusst machen, dass es nicht nur darum geht, die richtigen Menschen anzuziehen, sondern auch die wichtigen Mitarbeiter halten zu können. Dies bedingt echte, gelebte Wertschätzung, viel ernstgemeinte Kommunikation, Empathie und Energie. Klingt vielleicht langweilig und wenig Business-like, spielt aber keine Rolle. Denn die Anzeichen, was in Zukunft wichtig ist, sind ziemlich klar: Der Sinn im Tun. Getunte Imagebroschüren und überdrehtes «busyness-Getue» spielen da keine Rolle mehr.

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Stefan Dudas ist Business-Experte für Sinngebung. Der Keynote-Speaker, Coach und Autor «VOLL SINN – Nur was Sinn macht, kann uns erfüllen» legt humorvoll und tiefsinnig das Fundament für neue Denk-Ansätze. Sein Suxess-System für sinnbasiertes Management vermittelt Sinnhaftigkeit in Führung, Kommunikation sowie Motivation.

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