HR Today Nr. 4/2019: Recruiting – Bewerber sind auch Kunden

Recruitingtrends: Kaffee trinken und 
Google for Jobs abwarten

Im Recruiting wird immer mehr automatisiert, digitalisiert und gespielt. Kreative Köpfe 
haben diese Trends aus anderen Bereichen übernommen und für die Talentsuche adaptiert. Ihre Methoden haben nicht mehr viel mit dem klassischen Recruiting gemeinsam.

Noch ist Google for Jobs in der Schweiz nicht aktiv. Aber das dürfte sich ändern. Seit ihrem Start in den USA vor zwei Jahren ist die Suchfunktion weltweit in bald 100 Staaten eingeführt worden. In Nord- und Südamerika, in Asien, Arabien, Afrika – und zuletzt im Vereinigten Königreich und in Spanien. Früher oder später dürfte die Schweiz folgen, auch wenn es keine offizielle Stellungnahme dazu gibt. Google for Jobs ist keine Suchmaschine im eigentlichen Sinn, sondern ergänzt die Suchfunktion. Wenn ein Kandidat beispielsweise «Portfolio Manager» googelt, erscheint auf der Seite mit den Suchergebnissen ein Kasten mit Enriched Search Results – Suchergebnissen mit Mehrwert.

Dort kann der Kandidat seine Suche mit Parametern verfeinern und Benachrichtigungen bei neuen Ausschreibungen abonnieren. Google for Jobs zieht die Stellenausschreibungen aus Unternehmenswebsites und Jobportalen zusammen und verknüpft maschinelles Lernen mit künstlicher Intelligenz. Das Ergebnis: Der Algorithmus lernt die Stellensuchenden und ihre Anforderungen immer besser kennen und schlägt ihnen immer genauer passende Stellen vor.

In den USA gehört Google for Jobs schon zu den fünf grössten Stellenportalen. Die Nachfrage ist gross, besonders in Südamerika. Wann Google for Jobs in den deutschsprachigen Raum kommt, ist unklar. Die Verzögerung dürfte mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu tun haben, einem der weltweit strengsten Datenschutzgesetze. Trotzdem ist es sinnvoll, jetzt alle Stellenausschreibungen auf der Unternehmenswebsite Google-for-Jobs-kompatibel zu machen, statt auf die Einführung zu warten. Ganz besonders für Unternehmen, die nicht nur in der Schweiz Kandidatinnen und Kandidaten rekrutieren.

Damit eine Stellenausschreibung in den Suchergebnissen als Enriched Search Result erscheint, muss ihr Inhalt für Google und die anderen Suchmaschinen aufbereitet sein: Die Auszeichnungssprache HTML (Hypertext Markup Language) muss lesbar und die URL-Struktur logisch sein, während die Seite mit der Ausschreibung Meta-Tags braucht. Sobald alle Auflagen erfüllt sind, erscheint eine Stellenausschreibung als Enriched Search Result. Je besser sie die Bedingungen von Google for Jobs erfüllt, desto höher oben steht sie in den Suchergebnissen.

Künstliche Intelligenz und Social Recruiting

Nicht nur Google for Jobs setzt auf künstliche Intelligenz. KI unterstützt das Social Recruiting, zum Beispiel mit Chatbots, und entlastet die HR-Abteilung. Doch die Technik steckt noch in den Kinderschuhen. Die meisten Bots sind nicht ausgereift und schaffen keinen echten Mehrwert. Das wird sich ändern, sobald die Roboter-Recruiter sinnvoll programmiert und mit genügend Daten gefüttert sind, um ein Gespräch führen und Fragen beantworten zu können. Dann entlasten sie die menschlichen Recruiter, die mehr Zeit für ihre Kandidatinnen und Kandidaten haben werden.

Das gilt auch für andere KI-Applikationen wie die Textanalyse von Bewerbungsschreiben. Auf der Grundlage von Wortwahl und Themen kann die künstliche Intelligenz herausfinden, ob eine Bewerberin, ein Bewerber fleissig, motiviert oder karriereorientiert ist. Sie könnte auch Stellenausschreibungen schreiben, regional anpassen, auf dem richtigen Kanal zur richtigen Zeit ausspielen und auf der Basis der Bewerbungen laufend optimieren. Die Technik ist weiter als der Mensch. Noch fehlt vielen das Verständnis, wie sie künstliche Intelligenz sinnvoll im Recruitingprozess einsetzen können.

Social Recruiting nutzt verschiedene Social-Media-Plattformen. Welche, hängt von der Zielgruppe ab. Ein Muss sind Linkedin und in der Deutschschweiz Xing, sinnvoll sind Facebook für die Reichweite oder Twitter für bestimmte Berufe, zum Beispiel, um Marketingfachleute zu gewinnen. Ein Post oder Tweet besetzt aber noch keine Stelle. Unternehmen machen jedoch passive Kandidatinnen und Kandidaten so auf sich aufmerksam, bauen eine persönliche Beziehung mit interessierten Talenten auf und werden mit einem Klick anderen Talenten empfohlen.

Recruiting und Employer Branding

Wer Fachfrauen und -männer mit Ambitionen und Perspektiven auf sich aufmerksam machen will, muss ihnen mehr als Geld, Karriere oder einen Fussballkasten im Pausenraum bieten. Unternehmen müssen sich als Arbeitgeber positionieren, für die vielversprechende Talente lieber früher als später arbeiten wollen. Zum Beispiel, weil ein Unternehmen Werte lebt, nachhaltig und zukunftsorientiert wirtschaftet, sich für die Gesellschaft engagiert, innovative Produkte oder Dienstleistungen entwickelt, Trends setzt, Mitarbeitende aus- und weiterbildet oder ihnen individuelle Arbeitsmodelle anbietet. Darum müssen Unternehmen in Blogbeiträgen, Fachartikeln, Referaten oder Videos erzählen, was sie von anderen Arbeitgebern unterscheidet. Wer das überzeugend tut, weckt das Interesse von Talenten.

Recruiting ist wie Marketing, aber für Kandidatinnen und Kandidaten, statt für Kundinnen und Kunden. Anders als bei einer Kampagne ist Recruiting ein Prozess und lebt von regelmässigen Beiträgen. Das bedingt ein Konzept, jede Menge interessante Themen und genügend Kapazitäten.

Recruiting hat einen direkten Einfluss auf das Employer Branding. Das ist zwar nicht neu, wird aber immer wichtiger. Laut einer Linkedin-Studie informieren sich drei von vier Kandidatinnen oder Kandidaten über ein Unternehmen, bevor sie sich bewerben. Das tun sie immer häufiger online. Unter anderem auf Plattformen wie Kununu, wo Mitarbeitende Arbeitgeber bewerten. Dieses Feedback ist wichtig für die Arbeitgebermarke. Wenn es positiv ist, spricht es für sich. Falls es negativ ist, verraten die Antworten der HR-Verantwortlichen mehr über die Feedbackkultur im Unternehmen als jede Hochglanzbroschüre.

Umso überraschender, dass nur wenige Arbeitgeber den Dialog suchen. Die Antworten – oder das Schweigen – sind öffentlich und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Meist steckt kein 
böser Wille dahinter, wenn eine HR-Abteilung schweigt. Häufig fehlt es an der Social-Media-Kompetenz, an den Ressourcen oder an beidem. Übrigens: Fünf von sechs Unternehmen sind überzeugt, dass Employer Branding entscheidend ist, um Talente zu rekrutieren. Die Unternehmenskultur kann ein Wettbewerbsvorteil sein.

Escape-Room-Spiele

Im Recruitainment geht es darum, Informationen über ein Unternehmen spielerisch zu vermitteln. Das können Spiele sein, zum Beispiel ein Quiz über Kultur und Werte, aber auch interaktive Animationen oder Videos. Im Januar 2019 hat Eismann in Deutschland eine grosse Kampagne gestartet, die stark auf Recruitainment setzt. So können sich Kandidatinnen und Kandidaten auf dubistmehr.de als Verkaufsfahrer beim Tiefkühlspezialisten bewerben. Dort können sie unter anderem den Calli-Test machen und in einem interaktiven Gespräch mit dem ehemaligen Fussballmanager Reiner Calmund herausfinden, ob sie bereit sind, für Eismann eingewechselt zu werden.

o eine teure Kampagne können sich nicht alle leisten. Müssen sie auch gar nicht. Im Recrutainment geht es um die Idee. Die Antworten auf häufig gestellte Fragen im Bewerbungsprozess können auf der Karrierewebsite mit animierten Grafiken beantwortet werden. Das fällt auf, kostet wenig, macht viel Spass, bleibt in Erinnerung – und entlastet die HR-Abteilung. Wichtig: Die Idee muss zum Unternehmen und zu den Kandidatinnen und Kandidaten passen.

Noch stärker auf den menschlichen Spieltrieb setzen Unternehmen, die ihre Kandidatinnen und Kandidaten in Escape-Room-Spielen prüfen. Die Bewerberinnen und Bewerber werden in kleinen Gruppen in einen Fluchtraum (Escape Room) gesperrt. Dort müssen sie gemeinsam in Rollenspielen einen Schatz finden oder eine Bombe entschärfen. Um ihre Aufgaben zu lösen, müssen sie zusammenarbeiten, miteinander reden und sich unterstützen. Letztlich geht es darum herauszufinden, wer in einer Stresssituation teamfähig ist und analytisch denken kann – und wer nicht. Die Kandidatinnen und Kandidaten werden von einem Recruiter und einem Organisationspsychologen beobachtet, der ihr Verhalten analysiert. Das kann sehr aufschlussreich sein, weil die Bewerberinnen und Bewerber spontan und intuitiv entscheiden.

Vor allem IT- und Finanzunternehmen versuchen so herauszufinden, ob ein Kandidat ein Macher, Denker oder Lenker ist. Die Unternehmen wollen mit Escape-Room-Spielen das Gesamtbild ihrer Kandidatinnen und Kandidaten abrunden und sich als innovative Arbeitgeber (Stichwort Employer Branding) positionieren.

Das «d» für «divers»

Bei einer Tasse Kaffee spricht es sich leichter. Auf dieser einleuchtenden Idee baut Café Pro auf: eine Job-Dating-Veranstaltung aus Frankreich, die sich seit 2017 in der Westschweiz etabliert hat. Kandidatinnen und Kandidaten treffen Recruiter oder Personalvermittler und unterhalten sich ungezwungen bei einer Tasse Kaffee oder Tee mit ihnen. Weil sie vorher weder ein Motivationsschreiben noch einen Lebenslauf einreichen mussten, zählen ihre Persönlichkeit, ihr Interesse und ihre Motivation mehr als ihre Vergangenheit. Die Recruiter und Personalverantwortlichen lernen den Menschen unvoreingenommen kennen und haben so die Chance, ein Talent zu entdecken, das im traditionellen Bewerbungsprozess möglicherweise durch ihr Raster gefallen wäre.

Die Veranstaltungen finden regelmässig in Biel, Freiburg, Genf, La Chaux-de-Fonds, Lausanne sowie Neuenburg statt und bald auch im Wallis und im Berner Jura. Die Idee macht Schule: Im März 2019 hat in Biel das JobCafé sein erstes Job Dating veranstaltet. Ob sich Kaffee trinken mit Kandidatinnen und Kandidaten auch in der Deutschschweiz durchsetzen wird?

In der Deutschschweiz wird dafür das «d» zum Thema. Gemeint ist das «d» für «divers» in Stellenausschreibungen. Seit Anfang Jahr gibt es in Deutschland offiziell ein drittes Geschlecht. Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, können im Geburtenregister «divers» als Geschlecht eintragen lassen. Deutsche Unternehmen müssen ihre Stellenausschreibungen anpassen, sonst diskriminieren sie intersexuelle Menschen. Das ist noch nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber die Arbeitsrechtler sind sich 
einig, dass sich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und damit die Stellenausschreibungen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beziehen müssen. Darum suchen deutsche Unternehmen einen Produktionsleiter (m/w/d) und keinen Produktionsleiter (m/w) mehr.

Auch immer mehr Schweizer Unternehmen nehmen das «d» in ihre Stellenausschreibungen auf. Vor allem Unternehmen in Grenznähe oder mit Hauptsitz in Deutschland – obwohl es hierzulande ebenfalls keine Pflicht ist. Anfang März waren auf jobs.ch mehr als 1800 Stellen mit dem Zusatz (m/w/d) ausgeschrieben, Tendenz steigend.

Trends kommen und gehen

Die grössten Chancen sich durchzusetzen haben jene, welche die Arbeitgebermarke stärken, die Recruitingprozesse digitalisieren und automatisieren und so die Recruiter unterstützen und entlasten. Trotz aller Technik, Technologien und Trends dürfen Recruiter aber eines nie vergessen: Es geht auch bei einer ausgeklügelten und KI-unterstützen Social-Recruiting-Kampagne mit Ausflug in den Escape Room immer um Menschen.

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