Redaktion von Arbeitsverträgen – Grundregeln
Gerichte urteilen über Fälle, bei denen die Fakten im Detail bekannt oder wenigstens behauptet worden sind. In Verträgen hingegen werden hypothetische künftige Szenarien gestaltet. Immer geht es (auch) um Haftung. Wer gekonnt an arbeitsrechtlichen Vertragswelten feilt, beachtet gewisse Grundprinzipien. Allerdings finden sich in der Schweizer Arbeitsrechts- und HR-Literatur kaum Publikationen zur Redaktion von Arbeitsverträgen.
Heinz Heller's Vertragswerkstatt: Teil 6. (Bild: Jonas Raeber)
Vertragsredaktion ist Konfliktmanagement
Ein Vertrag soll selbsterklärend sein. Für einen unbefristeten Arbeitsvertrag schreibt Art. 330b OR beispielsweise vor, Arbeitnehmer müssten von der Arbeitgeberin mindestens informiert werden über «die Namen der Vertragsparteien; das Datum des Beginns des Arbeitsverhältnisses; die Funktion des Arbeitnehmers; den Lohn und allfällige Lohnzuschläge; die wöchentliche Arbeitszeit».
Komplexere Zusammenarbeitsmodelle erfordern die notwendige Detailtiefe im Vertrag. Die Kunst besteht darin, trotz Komplexität nicht kompliziert und widersprüchlich zu werden. Da helfen a) klar definierte Begriffe und b) eine strikt logisch strukturierte und genau durchdachte Vertragsmechanik. Je knapper und konziser der Vertrag, desto mehr Denkarbeit, Zeit- und Abklärungsaufwand steckt dahinter. Wesentlich ist, möglichst an alles, was absehbar zu Konflikten führen kann, gedacht zu haben: Was gilt bei einem Geschäftsreisenden beispielsweise als Arbeitszeit? Müssen für ihn die allgemeinen Geschäftswagen- und Spesenreglemente individuell präzisiert werden? Was gilt als eigenaquiriertes Geschäft? Und wird (unter dem Aspekt des Inkassorisikos) die Provision auf verrechnete oder auf vereinnahmte Gelder fällig?
Zurückhaltung, wo nötig
Aber Achtung: Nicht jedes Vertragsthema bedarf der Abhandlung in gleicher Ausführlichkeit. Über die «Essentials» hinaus können einfache Arbeitsverträge durchaus knapp ausfallen. Schliesslich greift daneben das dispositive Gesetzesrecht. Also lieber nichts regeln, als scheinbar harmlose Vertragsformulierungen wählen, die dann ungewollt (und ungeahnt) schwierige Fragen aufwerfen.
Peter Böhringer empfiehlt für die berufliche Vorsorge beispielsweise folgende Vertragsformulierung: «Die obligatorische berufliche Vorsorge (sog. Zweite Säule) erfolgt via [Namen der Personalvorsorgestiftung]. Für die Einzelheiten gelten die Bestimmungen des [Namen des betreffenden Reglements], das [dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin] beim Abschluss des Arbeitsvertrags ausgehändigt worden ist.»¹ Sichert die Arbeitgeberin hier vertraglich eine bestimmte Vorsorgeeinrichtung zu, oder darf sie die Vorsorgeeinrichtung ohne Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers (und ohne Änderungskündigungen) wechseln? Und garantiert die Arbeitgeberin ein Vorsorgereglement, wie es zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags bestand, oder gilt trotzdem das jeweils gültige Vorsorgereglement? Diese Fragen sind keineswegs akademischer Natur.
Die AXA-Versicherung kündigte 2018 an, sich aus dem BVG-Vollversicherungsgeschäft zurückziehen. Sogenannte «BVG-Vollversicherungen» garantieren den Versicherten das angesparte Alterskapital. Anlageverluste für diese Gelder trägt also der Versicherer, nicht der Versicherte. Zahllose bei AXA versicherte KMU wechselten zu den verbliebenen vier anderen Schweizer Anbietern. Arbeitgeberinnen, die die Vorsorgeeinrichtung einzelvertraglich vereinbart und damit zugesichert haben, könnten sich in dieser Situation mit Arbeitnehmern konfrontiert sehen, die auf der alten Vorsorgeeinrichtung bestehen. Denn mit einem Wechsel ändern sich auch die von der neuen Vorsorgeeinrichtung angebotenen Vorsorge- und Risikoleistungen.²
Der Vertragstypus
Je genauer die Vertragsmechanik durchdacht wurde, desto eindeutiger wird die Antwort auf die Frage ausfallen, welcher Vertragstypus gegeben und was dazu zu beachten ist. Angenommen, mit einem Arbeitnehmer wird per Handschlag vereinbart, er werde je nach Arbeitsanfall stundenweise eingesetzt. Der Arbeitgeberin geht die Arbeit aus und sie glaubt, ihre Lohnzahlungspflichten hätten sich damit erledigt. Der Arbeitnehmer prozessiert und das Gericht qualifiziert die Handschlagsvereinbarung als unbefristeten Anstellungsvertrag für Arbeit auf Abruf. Das Gericht entscheidet, unter diesen Umständen sei eine ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Jetzt wird Lohn für mehrere Monate Kündigungsfrist fällig, in denen der Arbeitnehmer nie gearbeitet hat. Denn aus der Handschlagsvereinbarung «folgt, dass der auf Abruf tätige Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Arbeitsvertrags mit einem bestimmten Beschäftigungsgrad rechnen darf, ohne vom Wohlwollen des Arbeitgebers in Bezug auf seinen durchschnittlichen Lohn abhängig zu sein», so das Bundesgericht.³
Die Präambel
Verträge können an sich selbsterklärend sein, und dennoch fragt man sich: Warum haben die Parteien genau diesen Vertrag und genau mit dieser Vertragsmechanik geschlossen? Im Konfliktfall kann die Antwort auf diese Frage von entscheidender Bedeutung sein, damit die Vereinbarung ihrem Zweck gemäss ausgelegt werden kann. Oft stellt man sinnvollerweise den eigentlichen vertraglichen Absprachen eine Präambel voran – mit einem prägnanten Abriss der Vorgeschichte und/oder der Interessenlage der Parteien.
Wenn beispielsweise einem Arbeitnehmer gekündigt und er anschliessend langfristig krankgeschrieben wird, sieht sich die Arbeitgeberin stets mit erheblicher Planungsunsicherheit konfrontiert: Soll sie einen festen Ersatz anstellen, «nur» einen Temporären, oder soll sie die Absenz anderweitig auffangen? Viele Arbeitgeberinnen schlagen Arbeitnehmern in dieser Situation eine Aufhebungsvereinbarung vor. Bei einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer bekanntlich aber nicht auf zwingende Arbeitnehmerrechte verzichten, bevor nach rechtlichem Ende des Arbeitsverhältnisses ein Monat verstrichen ist (Art. 341 OR). Sperrfristen und Lohnfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall sind genau solche zwingenden Rechte. Zudem erachtet die Arbeitslosenversicherung Aufhebungsvereinbarungen regelmässig als selbstverschuldete Arbeitslosigkeit, was zu eingeschränkten Versicherungsleistungen («Einstelltage») führen kann.
Es empfehlen sich also Aufhebungsvereinbarungen, in denen zwischen den Parteien ein echtes «Geben und Nehmen» ausbalanciert wird. Die Nachteile, die der Arbeitnehmer in Kauf nimmt, sollen durch substantielle Arbeitgeberkonzessionen oder überwiegende Arbeitnehmerinteressen aufgewogen werden. Gerne übersehen wird dabei: Im Streitfall wird letztlich die Arbeitgeberin beweisen müssen, dem Arbeitnehmer seien die ihn treffenden negativen Rechtsfolgen bekannt gewesen.
Das Gericht würde also prüfen, ob die Unterschrift des Arbeitnehmers vom entsprechenden «Rechtsfolgewillen» getragen war. Genau für diesen Nachweis eignet sich die Präambel bestens: Hier lässt sich darlegen, von welchen negativen Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer konkret die Rede ist, warum die Vereinbarung dennoch im Interesse des Arbeitnehmers liegt, oder warum die Vereinbarung trotz Arbeitnehmernachteilen gut ausgewogen ist. In meiner Praxis als Fachanwalt SAV Arbeitsrecht gehört eine Präambel zur bestmöglichen «Arbeitgeberversicherung» gegen eine nachträgliche Anfechtung der Aufhebungsvereinbarung durch den Arbeitnehmer.
Was ist Weisungssphäre, was Vertragssphäre?
Arbeitgeberinnen verfügen über ein gesetzliches Weisungsrecht (Art. 321d Abs. 1 OR). Sie können beispielsweise innerhalb gewisser Grenzen die tägliche Lage der Arbeitszeit einseitig festlegen – soweit nichts anderes im Arbeitsvertrag oder durch gefestigte betriebliche Praxis festgelegt ist.⁴ Arbeitgeberinnen, die einzelarbeitsvertraglich die tägliche Lage der Arbeitszeit fix festgelegt haben (beispielsweise «08:00 bis 12:00 Uhr, 13:30 bis 17:30 Uhr»), geben dieses einseitige Weisungsrecht in aller Form aus der Hand. Sie können somit – dem Grundsatz nach – ohne Einverständnis der Arbeitnehmer keine anderen Arbeitszeiten einführen. Arbeitgeberinnen sollten sich bei der Gestaltung von Arbeitsverträgen also Regelungsbereich für Regelungsbereich immer wieder fragen: Was darf und will ich einseitig abändern können (Weisungssphäre), und für welche denkbaren künftigen Änderungen muss oder will ich das Einverständnis der Arbeitnehmer einholen (Vertragssphäre)? Das Unterlassen dieser Unterscheidung ist (gefühlt) der wohl häufigste Fehler bei der Redaktion von Arbeitsverträgen durch juristische Laien. Dazu zwei Anregungen eines Praktikers:
- Arbeitgeberinnen können einseitige Abänderungsvorbehalte in ihren Vertragswelten platzieren, die theoretisch sogar über das gesetzliche Weisungsrecht hinausgehen können – stets im Bewusstsein, dass Gerichte solchen Vorbehalten immer wieder Grenzen setzen.
- Oder die Arbeitgeberinnen achten darauf, Mitteilungen mit Weisungscharakter in Merkblätter zu fassen, die sich auf ein Thema pro Merkblatt beschränken. Das Merkblatt wird dann von den Arbeitnehmern – wenn überhaupt – nach ausdrücklich vorformuliertem Text «zum Zeichen der Kenntnisnahme», nicht jedoch zum Zeichen des Einverständnisses unterzeichnet. Ein sachdienliches Set von Merkblättern vermag im Einzelfall ein Personalreglement durchaus zu ersetzen.
Für ein gut strukturiertes Vertragswesen ist auch überlegenswert, was individuell-konkret, also einzelvertraglich vereinbart werden muss, und was man (generell-abstrakt) unternehmensweit in starren Formularen, Merkblättern und Reglementen abhandeln kann. Konkurrenzverbote (Art. 340 Abs. 1 OR) oder überhaupt die Ausdehnung nachvertraglicher Treuepflichten bedürfen beispielsweise oft einer ausgeklügelten individuell-spezifischen Regelung. Andere, unternehmensweit greifende Lösungen – wie beispielsweise Geschäftswagen- und Spesenregelungen – trifft man hingegen öfters in Form von allgemeinen Reglementen.
Quellen:
- ¹ PETER BÖHRINGER, in: Peter Münch et al. (Hrsg.), Schweizerisches Vertragshandbuch – Musterverträge für die Praxis, 2018, S. 607
- ² Vgl. die Erläuterungen des Bundesgerichts zur Regelung der beruflichen Vorsorge in Arbeitsverträgen in BGE 129 III 305 E. 2.3.
- ³ BGer 4A_534/2017 v. 27.8.2019 E. 4.3 = Pra 2019 Nr. 107 S. 1091.
- ⁴ Vgl. BGer 4A_690/2012 v. 13.3.2013 E. 3.2.2.