Risiko Lohngleichheitsklagen
Arbeitgeber könnten in Zukunft vermehrt mit Klagen konfrontiert sein, in denen Frauen den gleichen Lohn einfordern, den ihre männlichen Kollegen für gleichwertige Arbeit erhalten.
«Arbeitgebende sollten ihr Lohnsystem regelmässig überprüfen – auch wenn sie nicht dazu verpflichtet sind», empfiehlt Rechtsanwalt Philipp Meier Schleich. (Illustration: Jonas Raeber)
«Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.» Das steht zwar in der schweizerischen Bundesverfassung, ist aber keineswegs vollständig umgesetzt. So gibt es auch heute noch viele Frauen, die beim Lohn gegenüber Männern diskriminiert werden. Gemäss den jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik beträgt die Lohndifferenz zu Lasten der Frauen, die nicht durch objektive Umstände erklärt werden kann, im Durchschnitt rund 640 Franken pro Monat. Dies gilt für die Gesamtwirtschaft, also für den öffentlichen und den privaten Sektor zusammen. Das Bundesamt schätzt, dass sich die Gesamtsumme der potenziellen Lohndiskriminierung von Frauen auf mehrere Milliarden Franken pro Jahr beläuft.
In Anbetracht dieser Zahlen ist klar: Arbeitgeber, die allfällige Geschlechterdiskriminierungen beim Lohn noch nicht beseitigt haben, laufen ein erhebliches Risiko. Dies umso mehr, als die Nachzahlung des Lohns für die letzten fünf Jahre vor Einleitung der Klage geltend gemacht werden kann. Damit können auch für den einzelnen Arbeitgeber namhafte Beträge auf dem Spiel stehen.
Kriterien der Gleichwertigkeit
Hinzu kommt die Revision des Gleichstellungsgesetzes, die am 1. Juli 2020 in Kraft treten wird, und die neu eine Pflicht zur Durchführung einer Lohngleichheitsanalyse schafft (siehe dazu HR Today 1/2/2020, S. 44). Auch wenn diese Pflicht nur bei einem Teil der Arbeitgeber zum Tragen kommen wird, dürfte die Bereitschaft von betroffenen Frauen im Allgemeinen zunehmen, eine Lohndiskriminierung geltend zu machen. Arbeitgebern ist in jedem Fall umso dringender zu empfehlen, ihr Lohnsystem auf Geschlechterdiskriminierungen zu überprüfen und allenfalls bestehende Diskriminierungen so schnell wie möglich zu beseitigen.
Ob eine Lohndiskriminierung vorliegt, bemisst sich durch den Vergleich mit der Entlöhnung für «gleichwertige» Arbeit beim gleichen Arbeitgeber. Das Kriterium der Gleichwertigkeit kann allerdings schwierig zu beurteilen sein und bildet häufig einen Streitpunkt. In der Praxis ist es daher nicht selten, dass hierzu Gutachten von Experten eingeholt werden. Klar ist, dass es sich nicht zwingend um eine gleichartige (oder sogar gleiche) Arbeit handeln muss. Gleichwertigkeit ist dann gegeben, wenn die Tätigkeiten, die Anforderungen und der Verantwortungsgrad vergleichbar sind. Entsprechend kann der Begriff der Gleichwertigkeit auch unterschiedliche Berufe abdecken. Zum Beispiel ist es möglich, die Arbeit eines Polizisten und diejenige einer Krankenschwester als gleichwertig anzusehen. Nicht von Bedeutung ist übrigens, ob dem Arbeitgeber bewusst war, dass er beim Lohn diskriminiert, oder ob ihm dies nicht bewusst war (was nicht selten der Fall ist).
Ferner sind Lohnunterschiede von Frau und Mann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven Umständen beruhen. Gemeint sind Umstände, die normalerweise auch zwischen Arbeitnehmenden des gleichen Geschlechts zu Lohnunterschieden führen, wie Ausbildung, Dienstalter, Berufserfahrung, Aufgabenbereich oder Leistung. Demgegenüber sind Lohnunterschiede, die auf der unterschiedlichen Lage auf dem Arbeitsmarkt beruhen, gemäss Bundesgericht zwar nicht diskriminierend, müssen aber in der Regel innerhalb eines Jahres ausgeglichen werden.
Schlichtungsstelle kann helfen
Bei einer Lohngleichheitsklage nach Gleichstellungsgesetz gibt es eine Reihe von prozessualen Besonderheiten, die den Entschluss zur Einleitung einer solchen Klage begünstigen. So kann die Klage zwar durch ein Schlichtungsgesuch eingeleitet werden. Die Klägerseite ist aber auch berechtigt, von der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens abzusehen und die Klage direkt beim Gericht einzureichen. In einem allfälligen Schlichtungsverfahren muss die Schlichtungsbehörde sowohl mit Bezug auf die Arbeitgeber- beziehungsweise Arbeitnehmerseite als auch mit Bezug auf die Geschlechter paritätisch zusammengesetzt sein. Zudem werden Schlichtungsverfahren vor solchen paritätischen Schlichtungsbehörden an vielen Orten aufwendiger geführt als «normale» Schlichtungsverfahren. Landet eine Klage vor Gericht, wird diese unabhängig vom Streitwert im sogenannten vereinfachten Verfahren behandelt, um formell-prozessuale Hürden gering zu halten. Ebenfalls unabhängig vom Streitwert gilt, dass keine Gerichtskosten anfallen.
In der Praxis von grosser Bedeutung ist zudem die Besonderheit, dass eine Beweislasterleichterung für die Klägerseite vorgesehen ist. Diese muss für die Tatsache der Geschlechterdiskriminierung keinen strikten Beweis erbringen, sprich das Gericht nicht vom Vorliegen der Tatsache überzeugen. Vielmehr genügt es, die Diskriminierung glaubhaft zu machen. «Glaubhaft machen» bedeutet, dem Gericht aufgrund objektiver Anhaltspunkte den Eindruck zu vermitteln, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von der behaupteten Diskriminierung auszugehen ist. Hierfür kann schon der Vergleich mit einem einzigen Arbeitskollegen und dessen Lohn genügen. Ist die Diskriminierung glaubhaft gemacht, liegt der Ball beim beklagten Arbeitgeber. Es obliegt dann dem Arbeitgeber, den strikten Beweis zu liefern, dass die Diskriminierung in Wirklichkeit nicht existiert, oder aber, dass die Ungleichbehandlung objektiv gerechtfertigt ist.
Ferner kann nicht nur die Nachzahlung der Lohndifferenz für die letzten fünf Jahre vor Klageeinleitung verlangt werden, sondern auch eine entsprechende Anpassung der künftigen Lohnzahlungen. Indes erfolgt die Einleitung der Klage in der Praxis meist erst nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses, womit eine Lohnanpassung für die Zukunft ausser Betracht fällt.
Klagen können im Übrigen auch Organisationen oder Verbände, die nach ihren Statuten die Gleichstellung der Geschlechter fördern oder die Interessen der Arbeitnehmenden wahren, sofern sie seit mindestens zwei Jahren bestehen. In Frage kommen zum Beispiel Berufsverbände, Gewerkschaften oder Frauenorganisationen. Sie können auf die Feststellung einer Lohndiskriminierung klagen, um den Weg zu ebnen für Lohnklagen der betroffenen Arbeitnehmerinnen.
Selber auf Lohnnachzahlung klagen können die Organisationen und Verbände aber nicht. Ebenso wenig unterbricht deren Klage die Verjährung allfälliger Forderungen der einzelnen Arbeitnehmerinnen.
Klagen von Organisationen und Verbänden dürften daher weiterhin selten bleiben. Dagegen dürfte das Risiko von Lohngleichheitsklagen von Arbeitnehmerinnen eher zunehmen und sollte von Arbeitgebern ernst genommen werden.
Arbeitgebende sollten zur Vorbeugung gegen solche Klagen daher in Betracht ziehen, ihr Lohnsystem auch dann periodisch auf Geschlechterdiskriminierungen zu überprüfen, wenn sie nach dem revidierten Gleichstellungsgesetz nicht zu einer solchen Analyse verpflichtet sind.