HR Today Nr. 6&7/2022: Arbeit&Recht

Sämtliche Haupt- und Nebentätigkeiten beim gleichen Arbeitgebenden unterstehen dem BVG-Obligatorium

BGE 9C_31/2021, Urteil vom 14. April 2022 (zur Publikation vorgesehen)

Das Urteil

Arbeitnehmer A. war von 2011 bis 2017 als Sozialarbeiter in einem 100-Prozent-Pensum tätig und bei der BVK Personalvorsorge des Kantons Zürich in der beruflichen Vorsorge ­versichert. In den Jahren 2013 bis 2015 arbeitete er zugleich in einem geringen Pensum als sozialpädagogischer Familienbegleiter. Für diese Nebentätigkeit wurden ihm vom Lohn keine BVG-Beiträge abgezogen. Für beide Tätigkeiten war A. beim Kanton Zürich angestellt.

A. klagte beim Sozialversichersicherungsgericht des Kantons Zürich auf Entrichtung der ordentlichen BVG-Beiträge auf seinem Nebenverdienst. Das Sozialversicherungsgericht wies die Klage gestützt auf Art. 1j Abs. 1 lit. c BVV2 ab. Nach dieser Bestimmung sind Arbeitnehmende, die nebenberuflich tätig und für eine hauptberufliche Erwerbstätigkeit obligatorisch versichert sind, oder im Hauptberuf eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, der obligatorischen Versicherung gemäss BVG nicht unterstellt. Das Sozialversicherungsgericht befand, diese Regelung gelte auch im Fall von Mehrfachbeschäftigungen beim gleichen Arbeitgebenden, die in keinem Zusammenhang zueinander stünden.

Das Bundesgericht wiederum hiess die von A. gegen den Entscheid erhobene Beschwerde gut. Grund für den Erlass von Art. 1j Abs. 1 lit. c BVV2 sei es gewesen, so weit wie möglich zu verhindern, dass Arbeitnehmende, die im Dienste mehrerer Arbeitgebenden stehen, für jede Tätigkeit der obligatorischen beruflichen Vorsorge unterstellt würden. Das würde bei den beteiligten Vorsorgeeinrichtungen einen nicht unerheblichen administrativen Aufwand verursachen, der bei geringfügigen Nebenerwerbstätigkeiten in keinem Verhältnis zum verbesserten Vorsorgeschutz des Arbeitnehmenden stünde. Dieser Zweckgedanke komme jedoch nicht zum ­Tragen, wenn ein Arbeitnehmender beim gleichen Arbeitgebenden mehrere Tätigkeiten ausübe. In diesen Fällen sei jeweils dieselbe Vorsorgeeinrichtung zuständig, womit der Mehraufwand für die Versicherung kaum ins Gewicht falle.

Weiter sei auch auf die nicht unerhebliche Missbrauchsgefahr hinzuweisen, die bestünde, wenn die aus verschiedenen Tätigkeiten erzielten Löhne beim gleichen Arbeitgebenden nicht kumuliert würden. Ein Arbeitgebender könnte damit durch Abschluss mehrerer Arbeitsverträge mit demselben Arbeitnehmenden Arbeitsverhältnisse schaffen, die den Mindestlohn für die obligatorische Versicherung gemäss BVG nicht erreichen, und auf diese Weise das BVG-Obligatorium ganz oder teilweise umgehen.

Daraus folgt gemäss Bundesgericht, dass in Fällen, in denen ein Arbeitnehmender beim gleichen Arbeitgebenden sowohl im Haupt- als auch im Nebenerwerb tätig ist, Art. 1j Abs. 1 lit. c BVV2 keine Anwendung findet. Vielmehr sind in diesen Fällen die erzielten Löhne in Anwendung von Art. 2 Abs. 1 BVG zusammenzurechnen.

Konsequenz für die Praxis

Soweit ein Arbeitnehmender für seine hauptberufliche Tätigkeit obligatorisch in der beruflichen Vorsorge versichert ist, unterstehen allfällige Nebentätigkeiten nicht dem BVG-Obligatorium (Art. 1j Abs. 1 lit. c BVV2). Falls für die Nebentätigkeit keine freiwillige Versicherung gemäss Art. 46 BVG abgeschlossen wird, ist der erzielte Nebenverdienst deshalb nicht BVG-beitragspflichtig. Das Bundesgericht stellte mit dem vorliegenden Entscheid jedoch klar, dass das nicht gilt, wenn die Mehrfachbeschäftigung durch den gleichen Arbeitgebenden erfolgt. In diesem Fall sind BVG-Beiträge auf dem gesamten Verdienst zu entrichten. Arbeitgebende, die mehr als ein Arbeitsverhältnis mit dem gleichen Arbeitnehmenden eingehen, sollten deshalb sicherstellen, dass die BVG-Beiträge auf dem gesamten Lohn entrichtet werden, um spätere Nachforderungen zu vermeiden.

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Sonja Stark-Traber, lic. iur., LL.M., ist als Rechtsanwältin in der Wirtschaftsanwaltskanzlei Suter Howald Rechtsanwälte in Zürich tätig, mit Schwerpunkten im Bereich Prozessführung, Arbeits- und Vertragsrecht. Kontakt: sonja.stark@suterhowald.ch

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