Schlechte Führung macht krank
Gesundheit ist Privatsache – dieser Meinung sind immer noch viele Führungskräfte in der Schweiz. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn der Führungsstil hat erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden.
Eine schwere Grippe dauert ein bis zwei Wochen. Gravierender und langfristiger können aber Ausfälle sein, die aufgrund von Stress, mangelnder Wertschätzung sowie Über- oder Unterforderung entstehen. Dass sich schlechte Arbeitsbedingungen und mangelnde Wertschätzung auf die Gesundheit auswirken, ist durch zahlreiche Studien belegt.
«Studien zeigen, dass Über- und Unterforderung in dieser Hinsicht zentral sind. Es wirkt sich zudem ungünstig auf die Gesundheit eines Mitarbeiters aus, wenn der Entscheidungsspielraum unter eine gewisse Grenze fällt», weiss auch der Gesundheits- und Arbeitswissenschaftler Georg Bauer, Leiter der Abteilung Gesundheitsforschung und betriebliches Gesundheitsmanagement an der Universität und ETH Zürich.
Schlechte Chefs führen zu Produktivitätsverlust
Wenn jemand seine Arbeit nicht selbst einteilen kann und ständig kontrolliert wird, steigt das Herzinfarktrisiko um das Zwei- bis Dreifache. Andere Studien zeigen, dass Mitarbeitende, die sich stark engagieren und dafür die nötige Anerkennung erhalten, besser auf Stress reagieren. «Positive Anerkennung und Lob, Entwicklungsmöglichkeiten und ein fairer Lohn gehören zu den wichtigsten gesundheitserhaltenden Punkten», so Bauer. Fehlen diese Faktoren eines mitarbeiterorientierten Führungsstils in einer Unternehmung, treten vermehrt psychische und physische Krankheiten auf.
Führungsstil und Unternehmenskultur wirken sich auch auf die Produktivität aus. «Eine Studie aus Deutschland mit 300 Firmen zeigte, dass mit dem Grad der Mitarbeiterorientierung im Unternehmen 30 Prozent des Produktivitätsunterschieds erklärt werden konnte.» Der Grund ist für Bauer plausibel: «Wenn man ein positives Arbeitsklima schafft, entstehen weniger Konflikte und Probleme, die die Produktivität bremsen könnten.»
Das Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit fehlt bis heute in vielen Unternehmen. «Wichtig wäre nur schon die Erkenntnis, dass man als Vorgesetzter etwas tun kann, um die Mitarbeitenden gesund zu halten», sagt Yvonne Bollag, Geschäftsführerin der Academy of Swiss Insurance Medicine der Universität Basel. «Nach neuesten Forschungsergebnissen, unter anderem aus Finnland, gehört es auch zu den Aufgaben von Führungskräften, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden zu erhalten.
Gesündere Mitarbeiter dank strukturierter Mitarbeitergespräche
Auf diesem Gebiet habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden: «Nach zehn Jahren Fokus auf das Absenzenmanagement orientiert man sich zunehmend nicht am Kranken, sondern am Gesunden.» Das Thema sei in den HR-Etagen bekannt, doch fehle es oft an der Umsetzung. In anderen Ländern, etwa skandinavischen, sei man in dieser Hinsicht einen Schritt weiter als in der Schweiz. «In finnischen und deutschen Unternehmen haben sich strukturierte Mitarbeitergespräche zum Thema Führung und Arbeitsbewältigung besser durchgesetzt als bei uns.»
Das Universitätsspital Basel gehört hierzulande zu den ersten Unternehmen, die als gesundheitsförderndes Führungsinstrument diesen so genannten anerkennenden Erfahrungsaustausch anwenden. «Ein Ziel dabei ist, das Feedback des Mitarbeiters zu erhalten, wie die Gesundheit gefördert werden kann», so Bollag. Dieser erfahre sich dadurch als kompetenter Partner, der Auskunft geben kann zu Fragen wie «Was tut das Unternehmen bereits für die Gesundheit der Mitarbeitenden? Wie kann ich mit den wechselnden Anforderungen Schritt halten?» Diese Art von Gesprächen, die den Mitarbeitenden stark einbezieht, führt auch dazu, dass sich zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden eine Vertrauensbeziehung entwickeln kann.
«Wenn Mitarbeiter in Prozesse eingebunden sind, fördert dies das Gefühl, dazuzugehören, was wiederum die Motivation fördert», sagt Joe Studer, Geschäftsleiter der Max Schweizer AG. Das Malergeschäft hat vor zwei Jahren den Zürcher Preis für Gesundheitsförderung im Betrieb gewonnen. Viel Wert legt Joe Studer beim Führungsstil auf Selbständigkeit in der Ausführung der Arbeiten. Es sei wichtig, den rund 200 Mitarbeitern einen möglichst grossen Spielraum zu geben, in dem sie sich entfalten und entwickeln können. «Zu unserem Führungsstil gehört es auch, Fehler zu tolerieren und als Chancen wahrzunehmen, die Aus- und Weiterbildung zur Kultur zu machen und Themen anzusprechen sowie Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen.»
Georg Bauer räumt ein, dass viele Führungsverantwortliche heute wissen, wie wichtig der Führungsstil für die Mitarbeiterzufriedenheit ist. «Wenn wir in Seminaren aber zusätzlich den grossen Einfluss der Führung auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit aufzeigen, gibt es oft einen zusätzlichen Motivationsschub, das eigene Führungsverhalten zu verbessern.» Georg Bauer würde es begrüssen, wenn in der Schweiz Standards für die regelmässige Überprüfung der psychosozialen Arbeitsbedingungen eingeführt würden, wie dies für traditionelle Arbeitsplatzrisiken der Fall ist. «Dies würde Firmen gezielt ihr Verbesserungspotenzial aufzeigen und somit einen Beitrag zur Leistungsfähigkeit der Wirtschaft sowie der öffentlichen Gesundheit leisten.»