Checkliste

Selbstgefährdung am Arbeitsplatz: Warnsignale

Um ihre Arbeitsziele zu erreichen, nehmen Mitarbeitende mitunter die Gefährdung ihrer Gesundheit in Kauf. Welche Verhaltensweisen auf die sogenannte interessierte Selbstgefährdung hinweisen und auf welche Warnsignale HR-Verantwortliche und Betroffene achten müssen, erfahren Sie in unserer Checkliste.

Eine angemessene Balance aus Anstrengung und Erholung ist bedeutsam, um die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Zunehmend berichten Führungskräfte und Mitarbeitende von Schwierigkeiten, diese Balance zu erreichen. Selbst wenn eine fehlende Balance erkannt und Erschöpfung berichtet wird, sehen sich viele Personen nicht in der Lage, dies zu ändern. Der Ansatz der indirekten Steuerung des Philosophen Dr. Klaus Peters hilft zu verstehen, woran dies liegen kann. In wenigen Worten zusammengefasst geht Peters davon aus, dass ein Wandel der Managementprinzipien die Zunahme solcher Schwierigkeiten erklären kann: Dort, wo früher eine begründete Arbeits- und Personalplanung erfolgte und klare Anweisungen gegeben wurden, wird nun über Ziele geführt und die Mitarbeitenden sollen nachweisen, dass sich ihre Arbeit für den Bereich lohnt.

Diese an ökonomischen Zielen ausgerichtete Unternehmensführung kann auch Vorteile mit sich bringen: Mitarbeitende erleben ein hohes Mass an Autonomie und Flexibilität in der Gestaltung der Zielerreichung und nehmen ihre Aufgaben als herausfordernd und sinnstiftend wahr. Angesichts wachsender Zielvorgaben müssen die Mitarbeitenden jedoch auch ihre Verhaltensstrategien anpassen, um mit den gestiegenen Anforderungen umgehen zu können.

Verhaltensweisen, die auf die Bewältigung von Arbeitsanforderungen abzielen, können als Bewältigungsverhalten oder Coping zusammengefasst werden. Üblicherweise wird Bewältigungsverhalten im Arbeitskontext als positiv bewertet, wenn die Zielerreichung unterstützt wird, etwa aktives Problemlösen im Kontrast zu passivem Sich-Zurückziehen. Der alleinige Fokus auf die Zielerreichung greift allerdings zu kurz, da auch vermeintlich erfolgreiche Bewältigungsverhaltensweisen gleichzeitig mit Kosten hinsichtlich Befinden und Gesundheit verbunden sein können. Gerade im Rahmen zielorientierter Steuerung gehen Führungskräfte wie auch Mitarbeitende vielfach über ihre Leistungsgrenzen hinaus, um erfolgreich zu sein – was wir mit Peters als interessierte Selbstgefährdung bezeichnen: Mitarbeitende sind interessiert an der Zielerreichung und nehmen eine Gefährdung ihrer Gesundheit dafür in Kauf.

In den letzten Jahren haben wir in Zusammenarbeit mit Praxispartnerinnen und -partnern in Unternehmen selbstgefährdende Verhaltensweisen untersuchen und ausdifferenzieren können. Ein besonderes Anliegen war uns dabei, die Vielfalt typischer Phänomene der Selbstgefährdung, die in Betrieben auftreten, zu erfassen und in eine handhabbare Anzahl von Facetten zu kategorisieren. Entstanden sind sieben messbare Facetten der  Selbstgefährdung:

  1. Ausdehnen der eigenen Arbeitszeit im Sinne einer zeitlichen und örtlichen Entgrenzung der Arbeit. Private und familiäre Zeit wird zugunsten der Arbeitszeit reduziert, man ist auch in der privaten Zeit erreichbar.
  2. Intensivieren der Arbeitszeit beinhaltet eine bewusste Erhöhung der eigenen Arbeitsgeschwindigkeit, welche jedoch negative Auswirkungen hat und nicht dauerhaft fortgesetzt werden kann. Durch die damit verbundene Arbeitsverdichtung werden soziale Unterstützungs- und Austauschprozesse unter den Mitarbeitenden erschwert und sozialer Rückzug begünstigt.
  3. Vortäuschen falscher Fakten und Verschweigen von Problemen. In ergebnisorientierten Unternehmen kann es heikel sein, reale Schwierigkeiten anzusprechen. Die Beschäftigten täuschen eine hohe Leistungsfähigkeit vor, indem zusätzliche Arbeitsaufgaben trotz bestehender Überlast angenommen, eigene Schwächen und Ängste verschwiegen oder in Statistiken und Berichten falsche Angaben gemacht werden.
  4. Präsentismus beinhaltet das Arbeiten trotz Krankheit bzw. der Verzicht auf Regeneration bei Krankheiten. Die Stressstudie 2010 brachte zum Vorschein, dass fast jede zweite erwerbstätige Person in der Schweiz angibt, in den letzten zwölf Monaten trotz Krankheit gearbeitet zu haben.
  5. Einnahme stimulierender Substanzen zum Erhalt bzw. zur Steigerung der Leistungsfähigkeit.
  6. Einnahme von Substanzen zum Erholen, mit dem Ziel, Entspannung, Abschalten nach der Arbeit sowie Ein- und Durchschlafen zu erleichtern.
  7. Senken der Qualität, indem zum Beispiel fachlich wichtige aber für das Erreichen ökonomischer Zielvorgaben vordergründig nicht zentrale Aspekte der Arbeit vernachlässigt werden, im Wissen, dass dies negative Konsequenzen nach sich ziehen kann (etwa wenn ein Softwareprodukt trotz bestehender Mängel frühzeitig freigegeben wird und dies zu Kundenreklamationen führt). Werden die Ansprüche an die Qualität entgegen persönlicher Überzeugungen reduziert, so läuft das dem eigenen Professionalitätsanspruch zuwider.

Auf der Basis dieser sieben Facetten der Selbstgefährdung entwickeln wir Instrumente zur Messung von selbstgefährdendem Verhalten in Unternehmen. Neben einer Langversion, in der jede Facette mit mehreren Fragen (Items) zuverlässig erhoben wird, haben wir einen praxistauglichen und leicht in Mitarbeiterbefragungen zu integrierenden Kurz-Index entwickelt (siehe Kasten). Jede Facette der Selbstgefährdung wird dabei durch eine einzelne Frage abgedeckt, welche das jeweilige Phänomen besonders treffend beschreibt. Es sei angemerkt, dass zukünftig noch zusätzliche Facetten integriert werden sollen.

Kurz-Index zur Selbstgefährdung

Wie häufig ist es in den vergangenen 3 Monaten vorgekommen, dass Sie ...

  1. zusätzlich in Ihrer Freizeit (Feierabend, Urlaub, Wochenende, Feiertage) gearbeitet haben?
  2. in einem Arbeitstempo gearbeitet haben, das Sie langfristig nicht durchhalten können?
  3. gegenüber Vorgesetzten, Arbeitskollegen und/oder Kunden vorgegeben haben, die Arbeit zu schaffen, auch wenn Fristen nicht eingehalten werden konnten?
  4. trotz Krankheit am Arbeitsplatz erschienen sind?
  5. Genussmittel/Substanzen (z.B. Alkohol, Koffein, Nikotin oder Medikamente) konsumiert haben, um bei der Arbeit leistungsfähiger zu sein?
  6. Genussmittel/Substanzen (z.B. Alkohol, Nikotin oder Medikamente) konsumiert haben, um nach der Arbeit besser abschalten zu können?
  7. sich mit einem weniger guten Ergebnis zufrieden geben mussten, als Sie es normalerweise tun?

Die Erhebung von Selbstgefährdung kann im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements ein wertvoller Ansatzpunkt sein, speziell zur Prävention von Erschöpfungszuständen. Mit Hilfe des Indexes kann mit nur wenigen Fragen auf eine ökonomische Art und Weise eine Standortbestimmung erfolgen, welche erlaubt, kritische Entwicklungen im Unternehmen frühzeitig wahrzunehmen und in der Folge gegenzusteuern.

 

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Sophie Baeriswyl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und erforscht indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung sowie speziell Belastungen und Ressourcen im Lehrerberuf.

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Dr. Martial Berset ist an der Fachhochschule Nordwestschweiz als wissenschaftliche Mitarbeiter und in der Aus- und Weiterbildung tätig.

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Prof. Dr. Andreas Krause ist Studiengangsleiter des CAS Betriebliches Gesundheitsmanagement und Dozent für Angewandte Psychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

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