Sieg über die Angst, loszulassen
Mitarbeitende ab 50 Jahren haben es nicht leicht, eine neue Stelle zu finden. So auch die Geschäftsleitungsassistentin L.H.* (57), die mit 55 eine neue berufliche Richtung eingeschlagen hat. Ein anonymes Interview über Träume, Enttäuschungen und ein neues Berufsziel.
Geschäftsleitungsassistentin E.H. (57) berichtet über ihren Stellenfindungsprozess. (Bild: 123RF)
Frau H., Sie haben sich mit 55 Jahren entschieden, einen neuen Karrierepfad zu verfolgen. Weshalb?
L.H.: Ich hatte sechs Jahre als Geschäftsleitungsassistentin in einem Grosskonzern gearbeitet, als das Unternehmen umstrukturiert wurde. Damit veränderten sich auch meine Aufgaben. Während ich vor der Umstrukturierung selbst ein Team geleitet hatte, das mich administrativ und fachlich unterstützte, entfiel dies mit der strategischen Neuausrichtung. Ich hatte nur noch klassische Assistenzaufgaben zu erfüllen. Zudem verschlechterte sich die Stimmung im Unternehmen zusehends. Die Mitarbeitenden waren verunsichert und trauten sich nicht mehr, Stellung zu beziehen. Ich hingegen habe gerne klare Verhältnisse und fühlte mich in diesem Umfeld zusehends unwohl.
Wie haben Sie den Arbeitsmarkt wahrgenommen?
Es werden vor allem junge und gut ausgebildete Mitarbeitende gesucht. Daher war für mich klar, dass ich Positionen finden musste, wo das Alter weniger ein Thema und Erfahrung gefragt ist. Ich habe mir überlegt, zu welchen Firmen ich passen könnte, welche Personen diese Unternehmen führen und welche Geschichte und welche Visionen das Unternehmen hat. Natürlich hat es mich getroffen und verunsichert, wenn meine Bewerbungen aufgrund meines Alters nicht berücksichtigt wurden. Dennoch war ich immer davon überzeugt, dass meine Leistung und meine Erfahrung wichtiger sind als mein Alter. Diese Einstellung hat mir sehr geholfen, die Situation zu bewältigen.
Inwiefern haben Sie sich Unterstützung gesucht?
Mein ehemaliger Arbeitgeber hat mir einen Laufbahn-Coach empfohlen, der sich auf Über 50-Jährige spezialisiert hatte. Dieser hat mich in dieser schwierigen Phase begleitet, so habe ich wieder zu mir selbst gefunden und gelernt, meinen Stärken zu vertrauen. Über das mit ihm zusammen entwickelte Bewerbungskonzept konnte ich mich gleich mehrmals vorstellen und war immer gut vorbereitet. Letztendlich habe ich meine neue Position sogar über sein Netzwerk gefunden.
Was haben Sie für sich gelernt?
Wenn man älter wird, muss man vermehrt darauf achten, wie man mit seinen Ressourcen umgeht. Bis dahin war ich turbomässig unterwegs. Das hatte ich bisher nie hinterfragt. Es wurde an meinen bisherigen Stellen einfach erwartet, Überstunden zu machen. Ich merkte mit der Zeit, dass sich auch viele meiner Kollegen damit schwer taten. Sie trauten sich aber nicht, sich zu wehren oder eine neue Aufgabe zu suchen. Es braucht eben Mut, einen neuen Weg zu beschreiten. Wenn man es tut, ist es ein Sieg über die Angst, loszulassen und etwas Neues zu beginnen.
Wo stehen Sie heute?
Heute arbeite ich in einem kleinen Betrieb als Assistentin der Geschäftsleitung. Die Arbeitsatmosphäre ist deutlich besser und es entstehen weniger stressige Situationen. Auch meine Work-Life-Balance hat sich massiv verbessert, denn es fallen keine Überstunden mehr an.
*Name ist der Redaktion bekannt.