Warum altes Eisen nicht zwingend rostet
«Wir gehören zum alten Eisen», eröffnet mir ein gleichaltriger Freund beim Lunch resigniert und überlegt sich, ob er mit Gabel und Messer oder Stäbchen weiteressen soll. Natürlich ist mir das mit meinen 57 Jahren bewusst. Da sind wir doppelt gestraft, geht es mir durch den Kopf. Denn was geschieht mit altem Eisen, wenn es rastet? Es rostet. Schon seit einiger Zeit überlege ich immer wieder, welche konkreten Gründe dieser Denkhaltung in der Wirtschaft zugrunde liegen.
Unser Gastautor bekennt Farbe. Rostige Farbe. (Bild: 123RF)
Die Alten sind teurer, krankheitsanfälliger, lernresistenter und halten der Gewohnheit die Treue. Im Team stehen sie während der Kaffeepause im Abseits, weil sie den «Move» der Y Generation nicht packen … Ach ja, und da ist auch noch die Ausbildung: Zu wenig spezifisch im Gegensatz zu heute, von der Technologiewelle überrollt, reicht es gerade noch zur fehlerfreien Handhabung der Fernbedienung für TV und Videogerät.
Wenn ich diese Argumente richtig betrachte, muss ich Farbe bekennen. Rostige Farbe. ABER: Eine generationenübergreifende Tatsache ist auch, dass Rost dort ansetzt, wo man aufgrund mangelnder Einsicht in der vorstellungsgebundenen Welt der Vorurteile steckenbleibt.
Nein, diese Zeilen sind kein glühendes Plädoyer für die «Alten». Ja, es gibt sie durchaus, diese Menschen, die dreissig Jahre lang dieselben Fehler machen und es am Schluss Erfahrung nennen. Ja, es ändert sich vieles über die Zeit und es gibt Erfahrung, die veraltet. Es gibt allerdings auch Erfahrung, die zeitlos ist. Lassen Sie mich dies mit einem Beispiel illustrieren.
Die Erfahrung eines alten Eisens
Die Präsentation des jungen Projektleiters war methodisch einwandfrei. Tolle Bilder, Emotionen und rhetorisch in einem bemerkenswerten «Flow». Kein Zweifel, vielfach geübt und im Thema sattelfest. Zugegeben, das Didaktische zeigte Verbesserungspotential. Am Schluss kamen die Fragen, die Einwände, die Zweifel, eine zynische Bemerkung und dann war es geschehen um den jungen dynamischen Mann. Mit einer unglaublichen Präzision erwischte er gegenüber den Teilnehmenden zum schlechtesten Zeitpunkt die falsche Wortwahl. Das Projekt war begraben, das Selbstbewusstsein im Keller. Als ich am Ende alleine im Raum war, lehnte ich mich zurück und kaute an meinem Bleistift. Die Idee war gut, echt gut, sagte ich mir. Was fehlte? Ganz einfach, die Erfahrung eines alten Eisens. Viele der Fehler des jungen Projektleiters habe ich auch gemacht, mehrfach. Als Teil seines Teams hätte ich ihn im Vorfeld auf mögliche Gefahren sensibilisieren können. Und darum finde ich keine rationale Erklärung dafür, warum unsere Generation nach dem frühzeitigen Auschecken im Vorgarten der Rente die Zeit mit «Mensch ärgere dich nicht» verbringen soll!
Die jungen Führungskräfte fordern ein Umdenken, jede Art von Konformität und Gewohnheit wird in Frage gestellt, Vorurteile durch neue Gedankenmodelle entkräftet. Einzig das «heisse Eisen» wird nicht angefasst. Warum nicht?
Fünf Thesen – und ihr «Aber»
- Alte sind häufiger krank, sagen sie. Es mag sein, dass ich als älterer Mitarbeitender krankheitsanfälliger bin, vielleicht sogar statistisch belegbar. Aber: Eine Studie, wie gesundheitsschädlich sich eine destruktive Unternehmenskultur auf die altersunabhängige Belegschaft niederschlägt, konnte ich leider bisher nicht finden …
- Das hohe Arbeitstempo gäbe mir zu schaffen, sagen sie. Aber: Ein aufmerksamer Blick zeigt, dass sich heute Vieles an verbreiteter Dynamik am Ende als Hektik erweist. Durch meine Erfahrung habe ich gelernt, auch einmal ein geduldiges Warten auszuhalten. Das Leben hat mich nicht erst seit Pareto gelehrt, dass Präsenz und hohes Arbeitsvolumen nicht die zwingende Logik für gute Leistungen ist.
- Mein Vorgesetzter ist möglicherweise viele Jahre jünger als ich, sagen sie. Aber: Warum sollte mich dies stören? Ich habe mir nichts zu beweisen, bin ich doch der Wankelmütigkeit einer Karriereleiter entwachsen. Meine Motivation besteht darin, am Ende des Tages eine gute Arbeit abzuliefern.
- Die Flexibilität von heute ist man sich in einem gewissen Alter nicht mehr gewohnt, sagen sie. Teilweise mag das stimmen. Aber: Meine Kinder sind aus dem Haus. Von Schulferien und gebundenen Urlauben, starren Familienstrukturen und 0815-Arbeitszeitmodellen bin ich befreit.
- Die Gewohnheit schläfert ein und verhindert neue Ideen, sagen sie. Auch diese These ist korrekt. Aber: Sie hängt wesentlich davon ab, wie sich das eigene Leben in den letzten Jahren entwickelt hat. Und: Ich bin berechenbar. Das Risiko durch ein Angebot von der Konkurrenz abgeworben zu werden entfällt aufgrund meiner Loyalität zum aktuellen Arbeitgeber.
Später sitze ich mit dem Vorgesetzten des jungen Projektleiters bei einer Tasse Kaffee. Niedergeschlagen sagt er: «Durch seinen Misserfolg habe ich versagt, ich bin doch der Vorgesetzte, ich habe den Anspruch, alles zu können und frühzeitig zu erkennen.» Und, schon wieder im Netz meiner Generation verfangen, denke ich mir: «Nein, du trägst die Verantwortung und deine Kunst ist es, die Synergie von Alt und Jung in Deinem Team zum gemeinsamen Erfolg zu nutzen und aus Fehlern die Schlüsse zu ziehen.» Eine Erkenntnis, wie mir scheint, welche die Generationenfrage überdauern könnte.