Sind Festanstellungen ein Auslaufmodell?
Temporärarbeit ist auf dem Vormarsch. Doch haben Festanstellungen deshalb keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft? Eine Debatte.
Sind Festanstellungen überhaupt noch modern? (Bild: Ryan Tang/Unsplash)
Heinrich Hempel, Rechtsanwalt und Partner bei Schiller Rechtsanwälte AG: «Ein Arbeitsvertrag kann auch für ein kleines Pensum abgeschlossen werden.»
So werden Aufträge mit Freelancern aus sozialversicherungs- und zivilrechtlicher Sicht regelmässig als Arbeitsverträge qualifiziert. Auch Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten wie Uber müssen damit rechnen, rechtlich als Arbeitgeber behandelt zu werden. Den rechtlichen Möglichkeiten, freie Mitarbeiter zu beschäftigen, sind damit Grenzen gesetzt. Das Arbeitsrecht erlaubt zwar eine flexible Ausgestaltung von Arbeitsverträgen wie flexible Arbeitszeiten oder eine Befristung von Arbeitsverträgen.
Der Sozialschutz setzt dem aber Grenzen. So können Kündigungsschutzbestimmungen beispielsweise meist nicht durch eine Aneinanderreihung von kurzen Festanstellungen (sogenannte Kettenarbeitsverträge) ausgehebelt werden. Wer als Arbeitgeber also eine Festanstellung vermeiden will, ist gut beraten, die rechtliche Ausgestaltung des Vertrags und die Risiken genau zu prüfen. Ein Arbeitsvertrag kann aber auch für ein kleines Pensum abgeschlossen werden. Arbeitnehmenden der Generation Z, die sich nicht binden wollen, lässt das Arbeitsrecht demgegenüber viele Freiheiten. Die Arbeitnehmenden sind frei, einen unbefristeten Vertrag unter Einhaltung der vereinbarten oder gesetzlichen Fristen zu kündigen. Und wenn sie die Stelle vorzeitig verlassen, müssen sie – zum Leidwesen der Arbeitgebenden – mit keinen drakonischen Sanktionen rechnen.
Monika Bütikofer, Senior HR-Manager, Webhelp Schweiz AG: «Menschen mit einer Festanstellung räumen ständig den Schaden der neuzeitlichen Wirbelstürme auf.»
Solange Arbeitgebende händeringend nach Mitarbeitenden suchen und Letztere eine grosse Auswahl an Auftraggebern haben, ist es für beide Seiten einfacher, sich die Rosinen aus dem Kuchen zu picken. Wieso sich «auf ewig» binden, wenn es auch anders geht. Projektbezogene Einsätze, temporäre Arbeitsstellen, befristete Anstellungen, Freelance- und Stundenlohneinsätze und viele weitere Arbeitsformen. Alles ist möglich, ohne dass es anrüchig wirkt. Grösstmögliche Freiheit also, man ist einander nicht mehr verpflichtet und macht nur das, was einem Spass macht und dem anderen gerade nützt. Kurzfristig gesehen kann man das als Win-win-Situation bezeichnen, aber langfristig? Was, wenn der Arbeitsmarkt wieder eine Kehrtwende macht? Das wird die Zeit der Rückkehr, der altgedienten Festanstellung sein, in der beide Parteien sich einig sind, «wir wissen, was wir aneinander haben – in guten und in schlechten Zeiten». Arbeitnehmende mögen das Job-Hopping in den CVs später mit der schwierigen Zeit sowie jener des Umbruchs wegdiskutieren.
Wo aber bleibt die Nachhaltigkeit, die Qualitätssicherheit und der berühmte Fussabdruck in den Firmen bei ständigem Mitarbeiterwechsel? Jährlich neue Innovationen, Highspeed und Change Management am laufenden Band hinterlassen Spuren – Spuren der Verwüstung, des Verschleisses am Menschen, der länger an einer Stelle verbleibt. Diese Menschen mit einer traditionellen Festanstellung räumen ständig den Schaden der neuzeitlichen Wirbelstürme auf, die über eine Firma hinwegfegen. Kosten klar kalkulieren und planen sind hingegen Grundmauern, die eine Festanstellung auch in Zukunft für beide Seiten befürworten. Nichts ist beständiger als die Veränderung.
Michael Egger, Unternehmensberater bei erfolgszeiten.at: «Wer sagt, die Festanstellung sei ein Auslaufmodell, glaubt vermutlich auch, dass alle jungen Menschen nur Teilzeit arbeiten wollen.»
Allerdings ist das nur möglich, wenn die Bereitschaft und das Vertrauen des Vorgesetzten vorhanden sind und kein Mikro-Management betrieben wird. Was sich verändert hat, ist die Frage, ob und in welcher Form jemand angestellt sein möchte. Homeoffice, wenn ja, an festen oder flexibel wählbaren Tagen oder eine Teilzeitstelle? Nebenberuflich selbstständig und angestellt? Die Corona-Pandemie eröffnete eine enorme Anzahl an Chancen. Trotzdem wird es weiterhin Menschen geben, die im Gesundheitsbereich, in der Industrie oder in der Verkehrs- und Gastgewerbebranche vollzeitangestellt bleiben müssen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Meine Erfahrung zeigt zudem, dass es 24-Jährige gibt, die ein Unternehmen erfolgreich führen können, wie auch 40-Jährige, welche die Selbstständigkeit für ein sicheres Angestelltenverhältnis eintauschen.
Wer sagt, die Festanstellung sei ein Auslaufmodell, glaubt vermutlich auch, dass alle jungen Menschen nur Teilzeit arbeiten wollen und in einer volatilen Welt kein Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit haben. Fakt ist, viele Menschen kündigen zurzeit, wechseln in andere Branchen oder machen sich selbstständig. Etwa, weil das Gehalt zu gering war oder die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit verloren ging. Deshalb sind «Bleibegespräche» genauso wichtig wie das Recruiting. Unternehmen, die sich keine Gedanken zu flexiblen Arbeitszeiten, neuen Zielgruppen, Quereinsteigenden oder schnelleren Time-to-Hire-Zeiten machen, laufen Gefahr, vom Markt gedrängt zu werden, weil sie keine Angestellten mehr finden.