So heben Unternehmen in Zukunft ab

Rasante technologische, ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen zwingen die Unternehmen zum raschen Handeln. Bremsende Strukturen kann sich kein einziger Anbieter noch länger leisten. Auf alte Weise kommt man in neuen Zeiten nicht weit. Neue Organisationsformen sind heute ein Muss. Das HR spielt dabei eine ganz besondere Rolle.

Natürlich haben die meisten Unternehmen inzwischen damit begonnen, moderne Führungstools einzuführen. Doch selbst da, wo sich Pilotteams neuartig ausrichten und selbstorganisiert arbeiten dürfen, verpufft deren Transformationsenergie, sobald sie auf althergebrachte Strukturen treffen. Der Hauptgrund, weshalb sich tradierte Unternehmen mit dem Sprung in die Zukunft so schwer tun ist nämlich der, dass sie ihr organisationales Grundgerüst nicht wirklich verändern wollen.

Es reicht nicht mehr nur ein paar Spielwiesen freizugeben, um etwas agiler zu werden. Die neuen Methoden sind alle da. Doch bei unzeitgemässen «Betriebssystemen» bringen sie wenig. Mit Flickschusterei kuriert man höchstens Symptome. Besser, man geht an die Wurzel des Übels und kümmert sich um die Gesamtkonstitution. Gegen die quirligen Netzwerkorganismen der Jungunternehmen haben klassische Topdown-Formationen sonst nicht den Hauch einer Chance.

Im Kern ist das Wettrennen zwischen herkömmlichen Unternehmen und den neuen Top-Playern der Wirtschaft keins um das bessere Produkt, sondern eins um das bessere Organisationsmodell. In einer Umgebung von gestern kann man nicht auf Gedanken für morgen kommen. Passende organisationale Strukturen machen bahnbrechend neue Geschäftsideen ja überhaupt erst möglich. Zu diesem Zweck wurde das Orbit-Modell entwickelt. Im Rahmen von neun Aktionsfeldern propagiert es den Übergang von einer aus der Zeit gefallenen pyramidalen zu einer zirkulären Organisation.

Die neun Aktionsfelder

Das Orbit-Modell zeigt ein organisationales Re-Design. Neu daran sind folgende Punkte:

  • Der Purpose: Im Zentrum der Organisation steht ein kraftvoller Purpose – der Daseinssinn eines Unternehmens. Er ist ökonomisch, ökologisch und sozial relevant und zugleich attraktiv für die Kunden und alle Mitarbeitenden. Wie der Kern einer Frucht sichert dieser Purpose das Überleben am Markt.
  • Die Stellung der Kunden: Die vielbeschworene Kundenzentrierung wird in diesem Modell sofort sichtbar. Die Kunden scharen sich um den Purpose, weil dieser für sie anziehend und unterstützenswert ist. Alle Mitarbeitenden, Führungskräfte und Partner kreisen um die Kunden – auf Augenhöhe und in dynamischer Interaktion.
  • Die Stellung der Mitarbeitenden: Sie stehen nicht länger unten in einer Topdown-Hierarchie, sondern agieren gleichrangig im Kreis mit den Führungskräften und Partnern des Unternehmens auf das Kundenwohl hin. Operative Entscheidungen treffen die Mitarbeitenden dezentral, crossfunktional und zumeist selbstorganisiert.
  • Die Stellung der Führungskräfte: Die Führungskräfte sind nicht von den Kunden separiert. So wird Kundenähe in Orbit-Organisationen nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch tatsächlich gelebt. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden und Partnern des Unternehmens funktioniert gleichberechtigt und Hand in Hand.
  • Die Bedeutung der Partner: Längst bringen die Schwächen, die sich bei herkömmlichen Organisationen in Bezug auf den transformativen Wandel zeigen, immer mehr Unternehmen dazu, an Innovationszentren anzudocken, eigene Innovation Labs aufzubauen, digitale Einheiten auszugründen und/oder mit passenden Startups zu kooperieren. Solche strategischen Alliierten sind die neuen Innovationshelfer und Wachstumstreiber.
  • Die Brückenbauer: Wenn sich in der Aussenwelt alles vernetzt, muss das auch drinnen im Unternehmen passieren. Hierzu werden Brückenbauer gebraucht, die interdisziplinäre Verbindungen schaffen und das «Sowohl-als-auch» moderieren. Sie schliessen die Kluft zwischen innen und aussen, zwischen oben und unten, zwischen Menschen und (Denk-)Maschinen. Zudem werden externe Fürsprecher und Influencer benötigt, die dafür sorgen, dass neue Kunden kommen und kaufen.
  • Die Stellung der Geschäftsleitung: Die GL symbolisiert nicht länger die Spitze, sondern das Fundament einer Firma und sorgt für die notwendige Stabilität. Sie ist verantwortlich für die Transformationsstrategie und setzt sich vehement für sie ein. Zudem agiert sie als Bindeglied mit der Öffentlichkeit. Und sie ist Brückenbauer in Richtung Zukunft.
  • Die eingebaute Dynamik: Kreise sind ein typisches Merkmal sich dezentralisierender Organisationen. Doch auch Kreise brauchen Dynamik, indem sie sich miteinander verbinden. So entsteht ein System, in dem Aspekte der Erneuerung von jedem an jeder Stelle und jederzeit initiiert werden können.

So ermöglicht dieses Modell den schnellen Wandel zu einem Unternehmen, das sich adaptiv und antizipativ auf die Erfordernisse der neuen Zeit einstellen kann. Und das Ergebnis: Eine Organisation, die für die digitale Zukunft hervorragend aufgestellt ist: zugleich hochrentierlich – und zutiefst human.

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Voraussetzungen, damit die Umsetzung gelingt

Es gibt kein Patentrezept für den Wandlungsprozess im Verlauf eines organisationalen Re-Designs. Business-Situationen sind verschieden, also müssen es auch die Methoden sein. Damit Akzeptanz und hohes Engagement entstehen, muss jede Firma ihren eigenen Weg finden, experimentieren und ausprobieren. Standardrezepte sind sogar höchst gefährlich. Denn keine zwei Unternehmen sind gleich. Branchen und Märkte sind genauso individuell wie Geschäftsmodelle, Kundenstrukturen und kulturelle Besonderheiten. Was bei dem einen grossartig funktioniert, wird anderswo grandios scheitern.

In wenigen Fällen kann der organisationale Erneuerungsschalter in einem Ruck umgelegt werden. Doch normalerweise – das sagen alle die Transformationsprozesse hinter sich haben – sollte das Pendel nicht gleich komplett in Richtung Hierarchiefreiheit und Selbstorganisation schwingen. Wer alle Wände gleichzeitig einreisst, dem fällt das Dach auf den Kopf. Eine entscheidende Frage ist somit diese:

Was ist die minimal notwendige Machthierarchie, die minimal notwendige Ordnungsstruktur und die maximal mögliche Form der Selbstorganisation?

Der wichtigste Schritt ist der Grundsatzentscheid, den Umbau als solchen loszutreten. Denn ohne einen ausdrücklich bekundeten Willen, der von der Führungsspitze ausgehen muss, wird jede organisationale Metamorphose zum Rohrkrepierer. Anstatt sich nun in monströsen Transformationsprojekten zu vertrödeln, die ewig dauern, ist zu empfehlen, mit Trittsteinen rasch zu beginnen. Das Neue darf jedoch, wie in klassischen Change-Prozessen leider üblich, nicht zwangsweise auf alles und jeden «ausgerollt» werden. Reines Abkommandieren schürt bei strukturellen Veränderungen nur Widerstand.

Die Vorreiter sollen sich vielmehr freiwillig melden, über Organisationsstruktur und Arbeitsmethodik gemeinsam entscheiden und dann mit Vollgas losstarten können. Alle im Management müssen das zulassen und mittragen. Schrittweise wird die ganze Organisation durch den Struktur- und Kulturwandel gehen. Von den Ersterfolgen der Vorreiter inspiriert rücken weitere Einheiten nach. Es bringt einfach nichts, gleich alle von Anfang an mitnehmen zu wollen. Vielmehr beruhigt man die Zaudernden, indem sie zunächst an den Veränderungen noch nicht teilnehmen müssen.

HR als Vorreiter

Wenn das HR seine strategische Bedeutung im Unternehmen untermauern und ausbauen will, sollte es beim organisationalen Re-Design Vorreiter sein, sich also zunächst selbst strukturell neu aufstellen und in entscheidenden Punkten wandeln. Ein möglicher Vorschlag dazu: die systematische Trennung in einen verwaltenden und einen bereichsübergreifend gestaltenden Bereich. Denn meiner Meinung nach war ein Fehler der klassischen Organisationsentwicklung, die gestaltende und die verwaltende Personalarbeit zusammenzupferchen. Dabei herausgekommen ist vor allem Bürokratie. Sie macht den HR-Bereich zum Administrator – und eben nicht zum Strategen.

Zudem müsste jede Menge HR-Bürokratie aussortiert werden. Ausufernde Verfahren und langatmige Vorgehensweisen halten die Kader und Mitarbeitenden bei ihren eigentlichen Aufgaben auf und machen die Unternehmen langsam. Am besten arbeitet man zunächst in einem interdisziplinären Workshop daran, was zu bewahren ist, was komplett gestrichen werden kann und wo dringend ein Update benötigt wird.

Bevor man sich um das Neue kümmert, müssen die Altlasten weg. So kann sich ein Bürokratie-Disruptionsteam um überholte Abläufe im HR und quer durch das gesamte Unternehmen kümmern. Zum Beispiel so: «Bisher dauert Abwicklung B eine Woche. Wie schaffen wir das in einem Tag?» Oder so: «Bisher brauchte Vorgang A 10 Seiten. Wie gelingt das in 10 Sätzen?» So kann man Verfahren digitalisieren, Komplexität reduzieren, Tempo machen und mithilfe agiler Methoden die Effizienz deutlich steigern.

Buchtipp

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Anne M. Schüller, Alex T. Steffen: Die Orbit-Organisation – In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft.

Gabal Verlag 2019, 312 Seiten. ISBN: 978-3869368993

 

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Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017 gekürt. www.anneschueller.de

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