Stellenmeldepflicht: Bremsklotz für die Rekrutierung
Jedes vierte Unternehmen ist durch die Stellenmeldepflicht eingeschränkt. Dies zeigt eine Befragung von 650 Geschäftsführenden und Personalverantwortlichen, die das Markt- und Sozialforschungsinstitut gfs-zürich für swissstaffing und den Schweizerischen Gewerbeverband durchgeführt hat.
Ein halbes Jahr nach der Einführung der Stellenmeldepflicht ist die Bilanz ernüchternd. Jedes vierte Unternehmen sieht sich in der Rekrutierung stark eingeschränkt. Der Anteil der Unternehmen, die sich durch die administrative Mehrbelastung stark betroffen fühlen, liegt mit 39 Prozent noch höher. Der Grund: Bei jeder Vakanz muss die Meldepflicht geprüft und allenfalls eine Meldung gemacht werden.
Ausgebremste Rekrutierung
Leif Agnéus, Präsident von swissstaffing und General Manager von Manpower Schweiz, findet klare Worte: «Viele Unternehmen sind bei Auftragsspitzen und unvorhergesehenen Ereignissen wie Unfällen und Krankheiten kurzfristig auf Personal angewiesen.
Um die Vakanzen rasch besetzen zu können, ist die Ausschreibungssperre von fünf Arbeitstagen viel zu lang. Viele Kunden von Temporärunternehmen benötigen die gesuchten Mitarbeitenden innert 24 Stunden.» Die Folgen seien Verzögerungen, geringere Qualität, Überstunden beim bestehenden Personal und verlorene Aufträge.
Gelungener Meldeprozess
Die Unternehmen wurden zum gesamten Prozess der Stellenmeldepflicht befragt. Die Resultate zeigen: Gute Arbeit wird von der Wirtschaft wahrgenommen und gewürdigt. Der Fokus von Bund und Kantonen auf die ersten Schritte der Meldung hat sich somit bezahlt gemacht. Knapp 80 Prozent der Personalverantwortlichen empfinden die Prüfung einer Unterstellung und den Meldeprozess als einfach. Auch die schnelle Aufschaltung der Stellen im Jobroom – relevant für die mit der Meldung verbundenen Fristen – überzeugt 80 Prozent der Befragten.
Dass die Einfachheit oder Komplexität relevant ist, zeigen auch diese Ergebnisse: Empfinden Personalverantwortliche den Meldeprozess als kompliziert, sehen sich gut 70 Prozent der Befragten durch die Stellenmeldepflicht eingeschränkt. Wird der Prozess indes als einfach empfunden, sinkt die Rate auf 34 Prozent. Kritik üben die Personalverantwortlichen an den uneinheitlichen Definitionen meldepflichtiger Berufe, dem geeigneten Umgang mit englischsprachigen Jobtiteln sowie am Aufwand allgemein.
Mangelhafte Kandidatenvorschläge
Grosser Nachholbedarf besteht bei den Kandidatenvorschlägen der RAV. In Anbetracht der Zahlen bezieht Nationalrat Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, Stellung: «Solange die Dossierqualität der RAV nicht besser wird, ist eine Ausdehnung der Meldepflicht auf Berufe mit einer Arbeitslosenquote von über fünf Prozent nicht sinnvoll. Sie würde die KMU nur zusätzlich in der Administration belasten.»
Lediglich 31 Prozent der befragten Unternehmen beurteilen die Qualität der Kandidatenvorschläge als gut. Immerhin 57 Prozent der Befragten erhielten die versprochenen Kandidatenvorschläge innert drei Tagen. Diese Ergebnisse zeigen: Bis 2020 stehen Bund und Kantone in der Bringschuld. Eine weitere Belastung der Wirtschaft durch eine ausgedehnte Meldepflicht ist nur angebracht, wenn Unternehmen nach einer Stellenmeldung Dossiers in guter Qualität erwarten dürfen.
Stellenmeldepflicht trifft die Romandie besonders stark
Eine Auswertung der Umfrage nach Kantonen zeigt zudem: Die Stellenmeldepflicht trifft vor allem die Romandie. In den Kantonen Genf und Waadt geben 72 beziehungsweise 60 Prozent der Unternehmen an, von der Stellenmeldepflicht stark betroffen zu sein.
Im Kanton Genf fühlen sich gar 44 Prozent stark in der Rekrutierung eingeschränkt, weil es dort mehr Arbeitsplätze als Einwohner im erwerbsfähigen Alter gibt. Unkomplizierte Rekrutierungsmöglichkeiten sind deshalb besonders wichtig. In Anbetracht des Fachkräftemangels und des internationalen Wettbewerbs ist ein transparenterer Stellenmarkt zu schaffen und der liberale Arbeitsmarkt zu erhalten.
Gemeinsame Anstrengungen nötig
Die Stellenmeldepflicht kann für die Wirtschaft zu einer zunehmenden Belastung werden. Ab 2020 sind Berufe mit einer Arbeitslosenquote über fünf Prozent meldepflichtig. Bis dahin liegt die Schwelle bei acht Prozent. Zudem wird das Kontrollsystem zur Durchsetzung der Stellenmeldepflicht nach und nach eingeführt und kantonal unterschiedlich geregelt.
Dabei sind ein administrativer Mehraufwand und Doppelspurigkeiten bei der Kontrolle nahezu unvermeidbar. Bei einer konjunkturellen Schwächephase droht die Zahl der meldepflichtigen Berufe stark anzusteigen. Dann würden sowohl die HR-Abteilungen als auch die RAV eine zusätzliche Belastung spüren.
Wirtschaft, Bund und Kantone können durch gemeinsame Anstrengungen dafür sorgen, dass aus der Stellenmeldepflicht kein Papiertiger wird, sondern ein wirtschaftsfreundlich umgesetzter Schweizer Kompromiss. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft zu einem ergebnisoffenen Dialog.
Die Tabelle zeigt den Anteil stark eingeschränkter bzw. betroffener Unternehmen durch die Stellenmeldepflicht. Kantone mit weniger als 20 Beobachtungen wurden weggelassen. Kantone mit weniger als 40 Beobachtungen sind in Klammern gesetzt.
Die Grafik zeigt drei Ergebnisse der Studie: Den Anteil der Personalverantwortlichen, die bereits persönlich eine Stelle gemeldet haben, den Anteil der Befragten, deren Unternehmen durch die Stellenmeldepflicht administrativ stark betroffen sind, und den Anteil der Unternehmen, die sich in der Rekrutierung durch die Stellenmeldepflicht stark eingeschränkt fühlen. Der Grad der administrativen Belastung, beziehungsweise der Einschränkung in der Rekrutierung wurde auf einer Skala von 1 «keine Auswirkung» bis 5 «sehr starke Auswirkung» abgefragt. Die Skalenwerte 4 und 5 wurden für die
Anteilsberechnung zusammengefasst. Beobachtungen je nach Variable: 588 und 648.
Die Grafik zeigt den Ja-Anteil der Befragten, die der jeweiligen Aussage zugestimmt haben. Beobachtungszahl je nach Variable: 188 bis 238.