Personalentwicklung

Stille Revolution im Workplace Learning

Neue Formen informellen Lernens mit 
Social Media halten Einzug in die Arbeitswelt. Diese Innovation ist ein zweischneidiges Schwert. Nebenwirkungen sind 
Arbeitsverdichtung, Informationsüberflutung und laufende Unterbrechung – und nicht wirklich lernförderlich. Dennoch: Die neuartige Symbiose von Lernen und Arbeiten birgt das Versprechen von effektiverem und effizienterem Lernen.

Kaum haben die Unternehmen den Wandel zu Blended Learning verinnerlicht, beginnt die Ära des Workplace Learning 2.0. Bei den neueren Ausprägungen des arbeitsintegrierten Lernens kommen gewichtige formelle Weiterbildungen wie berufsbegleitendes Online-Fernstudium ebenso wenig vor wie langwierige webbasierte Trainings, in die man von Learning Management Systems hineingezwungen wird. Prägend für die Lernkultur 2.0 ist das Arbeiten mit Social-Media-Tools, insbesondere in kollaborativen Lernsettings: Es wird informell gelernt, man ist weniger von vorgegebenen Lern- und Arbeitsorten abhängig, und es findet eine Loslösung von der Versorgungsmacht durch Corporate Training Services statt.

Haben Sie heute im Arbeitsprozess durch E-Medien gelernt? Wenn ich meine Arbeitstage Revue passieren lasse, dann sage ich klar: ja, praktisch täglich! Nehmen wir die Entstehung dieses Artikels als Beispiel. Texte, die ich dafür gelesen habe, sind alle online verfügbar und das fast ausnahmslos kostenlos. Gefunden habe ich die Beiträge über meine Fachcommunity im Netz, die via Twitter Linkempfehlungen macht und ihr Wissen in Blogposts und Websites veröffentlicht; zusammengestellt und öffentlich einsehbar sind die Links in meinem Social-Bookmarking-Dienst Diigo. Beim verarbeitenden Lesen werden die Contents meiner Fachkontakte zu Netzknoten. Ich klicke ausgewählte Links und wandere noch hierhin und dorthin ab, lese und lerne dazu.

Gelernt wird, was man gerade für die Arbeit braucht

Da ich am Schreibtisch immer online bin, arbeite ich zwischendurch die Mails ab; das Mailprogramm lasse ich offen, denn während der Bearbeitung erteile ich damit Aufträge für Zuarbeiten am Artikel. Wie Harold Jarche formulierte, ist dann Arbeit Lernen und Lernen Arbeit; man lernt, wenn man es für eine Aufgabe gerade braucht, on-demand und just-in-time, wobei das neu Gelernte gleich angewendet wird. Oft geschieht mit der Bearbeitung in einem Zug die Arbeitsvorbereitung für andere, spätere Aufgaben, da ich mir geeignete Arbeitsmaterialien durch entsprechende Tags vormerke.

Schliesslich ist im Arbeitsprozess noch Platz fürs Lehren, denn nicht nur sind meine Bookmarks öffentlich einsehbar, sondern wenn ich eine besonders gute Quelle finde, nehme ich mir auch Zeit, diesen Link zu twittern. Diese Symbiose von Lernen und Arbeiten – und Lehren – beobachte ich auch, wenn ich mir neue Tools oder Softwarefunktionen durch Video-Tutorials erklären lasse. Wer eine Frage oder ein Problem hat, benutzt eine Suchmaschine und findet die Antwort – seien es Websites, PDF-Texte, Video-Clops, Bücher, wissenschaftliche Artikel, Präsentationen – sozusagen als «Knowledge-Snack».

Wenn ich Microcontent lese, verstehe und verarbeite, nennt man das Microlearning, denn so eine Einheit beansprucht selten länger als wenige Minuten. Die höhere Kunst des «Ich-hätte-da-mal-eine-Frage-Lernens» ist, seine Fragen in die Twitter-Community zu geben oder neuerdings das auf Fachfragen spezialisierte Quora zu 
benutzen. Die Erfahrung zeigt: man 
bekommt Antworten schnell, und meist auch aufschlussreiche.

Wie man sieht, ist die Vision von Informationen und Lernen «at your fingertips» wahr geworden. Natürlich gibt es weiter Seminare und Konferenzbesuche, aber Workplace Learning 2.0 wird Alltag und bleibt keine Nischenerscheinung.

Das beschriebene Multitasking beim Workplace Learning in Gestalt von Social Learning  finde ich hochproduktiv. Es sieht fragmentiert aus, fühlt sich aber an, wie kunstfertig mehrere Bälle zu jonglieren; das erfordert hohe Konzentration. Um dahin zu kommen, muss man Kenntnisse über das Zusammenspiel und den Umgang mit den Tools erwerben und natürlich üben.

Heute ist eine höhere 
Selbstkompetenz gefordert

Multitasking ist nicht zu verteufeln; es gibt Gutes und Schlechtes, wie Eustress und Distress. Ist man in der Arbeit laufend verbunden, ist man auch immer erreichbar und läuft Gefahr, dauernd unterbrochen zu werden. Die mobilen Websites und App-Dienste für die Touchscreen-Smartphones schrumpfen den PC ins Handy, sodass der Arbeitsort überall dabei ist. Dann springt man zwischen verschiedenen Arbeitsprozessen hin und her, hat ständige geistige Rüstzeiten und ist negativ gestresst. Das ist nicht lernförderlich.

Unproduktives Multitasking und sich im Cyberspace zu verlaufen sind Verhaltensweisen, die süchtig machen können. Es braucht eine höhere Selbstkompetenz als früher, sich dem zu verweigern: Unternehmen müssen durch Verhaltensnormen und organisatorische Rahmenbedingungen dafür Sorge tragen, dass das Produktivitätspotenzial von vernetztem Arbeiten nicht durch erschöpfende Arbeitsverdichtung und ungute Arbeitspraktiken verschwendet wird.

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Prof. Dr. Andrea Back ist seit 1995 Direktorin an der Universität St. Gallen und leitet die Forschungsbereiche Learning Center und Competence 
Network Business 2.0. 


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