Stress und die Macht der Gedanken
Für viele gehört Stress zum Arbeitsalltag. Doch die Langzeitfolgen von chronischem Stress wiegen schwer – auf Körper, Psyche und Gesellschaft. Was mit dem Körper unter Stress passiert und wie «Gedankenhygiene» dabei helfen kann.
Gefangen in negativen Gedanken: Die Folgen von Stress wiegen schwer auf Körper und Psyche. (Bild: Anthony Tran/Unsplash)
Der Job-Stress-Index der Gesundheitsförderung verdeutlicht, dass Stress bei der Arbeit für viele alltäglich geworden ist: Arbeitsstress betrifft schweizweit rund ein Drittel aller Arbeitskräfte. Die Hälfte davon fühlt sich emotional erschöpft. Burnout ist dabei wohl der prominenteste Vertreter der Folgeerkrankungen von Stress und die Häufigkeit dieser Form extremer Erschöpfung hat im Laufe der letzten Jahre stetig zugenommen. Weit weniger bekannt ist, dass auch andere mentale und körperliche Erkrankungen eng mit chronischem Stress in Verbindung stehen: Herz-Kreislauf-Krankheiten, Schlafstörungen, Diabetes, Adipositas, Depressionen oder Angststörungen sind gleichermassen verbreitete Folgen von langanhaltender Stressbelastung.
Stressbedingte Erkrankungen sind daher längst zu Volkskrankheiten aufgestiegen und belasten nicht nur Betroffene, sondern treffen durch Produktivitätsausfälle auch die Volkswirtschaft empfindlich. Doch wieso leiden so viele Menschen unter Stress?
Typische Stressoren im Arbeitskontext: Von Arbeit 4.0 bis zu den eigenen Gedanken
Tiefgreifende, strukturelle Veränderungen der Arbeitswelt, die als Arbeit 4.0 oder unter dem Schlagwort VUKA-Welt beschrieben werden, befeuern Stressbelastungen im Arbeitsleben. Äussere Stressore zeigen sich beispielsweise in zu grosser Arbeitslast, Arbeitsplatzunsicherheit, wenig Autonomie, oder dem «Technostress» der entsteht, wenn neue technische Geräte oder Systeme Mitarbeitende überfordern.
Dabei wird oft vergessen, dass innere Stressoren eine zentrale Rolle spielen. Weit verbreitet sind etwa die Glaubenssätze, dass «Zähne zusammenbeissen» zu erfolgreichem Arbeiten dazugehört oder dass unser «Wert» als Mensch von der erbrachten Leistung abhängt. Sich selbst mit derartigen Gedanken unter Druck zu setzen, kann dieselben verheerenden Folgen haben wie äussere Stressoren.
Was passiert im Körper, wenn Stressoren auftauchen?
Die Stressreaktion bezeichnet die körperliche oder psychische Reaktion auf innere oder äussere Stressoren, bei der Kräfte mobilisiert werden, die Höchstleistungen ermöglichen. Evolutionsbiologisch diente diese Reaktion dazu, realen Gefahren zu entgehen: Sie half dem Neandertaler, schneller vor dem Säbelzahntiger zu flüchten. Obwohl die Gefahrenlage sich deutlich verändert hat, ist die körperliche Stressreaktion heute dieselbe wie beim Steinzeitmenschen. Doch was geschieht bei Stress im Körper und weshalb kann chronischer Stress gefährlich werden?
Die Stressreaktion wird vom Gehirn ausgelöst und aktiviert zwei Stressachsen:
- eine schnelle, neuronale Stressreaktion über das autonome Nervensystem,
- eine langsamere, hormonelle Stressreaktion über den Hypothalamus.
Vereinfacht gesagt bewirkt die Aktivierung beider Stressachsen, dass bestimmte Körperfunktionen hochfahren, während andere gedrosselt werden, um möglichst viel Energie zur Bewältigung der Gefahrensituation bereit zu stellen. Die Verdauungsvorgänge verlangsamen sich, während die Herzfrequenz sowie der Blutdruck steigen und die Atmung schneller und flacher wird. Durch die Fokussierung auf die Gefahrensituation, wird das Denken zudem unflexibler und weniger kreativ.
Stressreduktion durch Gedankenhygiene: Wie geht das?
Unser Denken, Fühlen und Handeln werden in hohem Ausmass von unbewussten Wahrnehmungsmustern und Glaubenssätzen geprägt. Glaubenssätze über unsere Person sind prägnante Überzeugungen von uns selbst, die wir im Laufe des Lebens von Bezugspersonen und persönlichen Erfahrungen übernahmen und die wir als wahr betrachten. Entscheidend in der Entstehung von Stress ist, dass gewisse Glaubenssätze als Stressverstärker wirken. Beispiele:
- Die unbewusste Überzeugung, dass Leistung uns wertvoll macht,
- wenig Vertrauen in unsere Fähigkeiten,
- das permanente Gefühl, nicht zu genügen oder die Überzeugung,
- dass alles im Leben hart verdient werden muss und Self-care egoistisch ist.
Solche stressverstärkenden Gedankenmuster können körperliche Stressreaktionen triggern und schaden dem Körper und der Psyche langfristig.
Die gute Nachricht ist, dass wir vieles in der Hand haben und ungünstige Gedankenmuster durch förderliche, stressmindernde Glaubenssätze ersetzen können.
Tipps gegen Stress
Folgende drei Schritte können helfen, den Alltagsstress durch Gedankenhygiene zu reduzieren:
Schritt 1: Stressverstärkende Glaubenssätze erkennen
Beobachten Sie während mehreren Tagen achtsam und wertefrei, was Sie über sich selbst denken. Da Glaubenssätze oft unbewusst sind, braucht es etwas Zeit, sie aufzuspüren. Sie werden in herausfordernden Situationen merken, welche beschränkenden Gedanken sich immer wieder aufdrängen. Führen Sie Tagebuch über alle Glaubenssätze, die sich zeigen, und wählen Sie 2-3 Überzeugungen aus, die Sie wirklich verändern möchten.
Schritt 2: Förderliche Glaubenssätze formulieren
Nehmen Sie sich die ausgewählten Glaubenssätze einzeln vor und finden Sie zu jeder Überzeugung einen förderlichen Gedanken, mit dem die blockierende Überzeugung überschrieben werden soll. Neue Glaubenssätze sollen Ihrem inneren Wunsch entsprechen, wie Sie sein möchten. Lassen Sie sich bei der Wahl der neuen Glaubenssätze nicht durch weitere Glaubenssätze einschränken (z.B. «Das steht mir nicht zu»).
Schritt 3: Transfer in den Alltag
Gedankenmuster zu verändern, braucht naturgemäss Zeit, da sich neue neuronale Netzwerke im Gehirn etablieren müssen. Halten Sie in herausfordernden Situationen immer wieder inne und lenken Sie Ihre Gedanken bewusst in die Richtung, die Sie in Schritt 2 festgehalten haben. Verankern Sie die neuen Glaubenssätze mit Geduld, Selbstmitgefühl und Optimismus, bis sich neue Reaktionsmuster zeigen.
Wie Führungskräfte das «less-stress» Denken der Mitarbeitenden unterstützen können
Achtsamkeit ist das Zauberwort! Führungskräfte, die ihren Mitarbeitenden achtsam begegnen merken schnell, wenn diese von stressverstärkenden Gedankenmustern getrieben sind und sich zu stark unter Druck setzen, nicht an sich glauben oder sich übermässig verausgaben.
Vermutet eine Führungsperson bei Mitarbeitenden, dass stressverstärkende Gedankenmuster im Spiel sein könnten, sollten sie das offen ansprechen. Das zeigt Mitarbeitende, dass sie wahrgenommen werden und kann einen wichtigen Prozess der Selbstreflexion anstossen. Dafür muss sich die Führungskraft ebenfalls kritisch mit eigenen Stressverstärkern auseinandersetzen und als gesundes Vorbild agieren. Wichtig ist zudem, dass die Unternehmenskultur die Rahmenbedingungen für gesundes Arbeiten bietet und eine zwischenmenschliche Vertrauensbasis besteht.