Syntegration: Vernetztes Wissen in komplexer Ausgangssituation
Strategieentwicklung, Unternehmenszusammenschlüsse, der Start von Schlüsselprojekten, das Steigern der Produktivität, die richtige Antwort auf die Kundenbedürfnisse, das Lösen von Konflikten – all dies sind für Führungskräfte keine neuen Herausforderungen. Dennoch scheinen sie in der heutigen Zeit um ein Vielfaches schwerer zu lösen als vor Jahrzehnten.
Oftmals scheitert die Umsetzung strategischer Entscheidungen bereits an der Formulierung klarer und eindeutiger Ziele. Aus unpräzisen Zielen lassen sich aber in der Regel kaum strategierelevante Massnahmen ableiten, geschweige denn deren Umsetzung erfolgreich gestalten. Bei Innovationen konkurrieren nicht selten innerhalb von Unternehmen gegensätzliche Interessen, die sich nur schwer unter einen Hut bringen lassen. Im Falle von Fusionen und Integrationen fällt die Bilanz noch düsterer aus. Experten sprechen nicht selten von einer Hochzeit und vier Todesfällen statt von vier Hochzeiten und einem Todesfall. In der Tat liegt die Misserfolgsrate bei Fusionen und Zukäufen zwischen 45 und 85 Prozent. Ein wesentlicher Baustein ihres Erfolges ist, das im Unternehmen vorhandene Wissen nicht weiter zu zerlegen, sondern es zu integrieren. Die zielgerichtete Nutzung des vorhandenen Wissens erfordert jedoch einen strukturierten Wissensaustausch. Die Schlüsselpersonen und Know-how-Träger müssen aktiv beteiligt werden, ihre unterschiedlichen Blickwinkel integriert und ihr vorhandenes, aber «unsichtbares» Wissen aktiviert werden.
Wirksame Kommunikation nach dem Vorbild der Natur
Eine Methode, die aktiv Brücken baut, d.h. das Wissen vieler Personen über relevante Themen und die Sichtweisen der beteiligten Akteure wirksam verbindet, ist die Syntegration. Der Management-Kybernetiker und Erfinder der Syntegration, Prof. Stafford Beer, nutzte das Vorbild der Natur und fand inspiriert von den Arbeiten des amerikanischen Architekten R. Buckminster Fuller, den – wie er es nannte – genetischen Code wirksamer Kommunikation. Fuller verwendete die in der Natur sehr häufig vorkommenden und für ihre Stabilität sowie Robustheit bekannten Dreieckskonstruktionen zum Bau seiner riesigen, als geodätische Dome bekannt gewordenen Kuppelbauten. Beer übertrug das Prinzip auf die Strukturierung der Kommunikation in grossen Gruppen. Als Grundlage diente ihm das Ikosaeder, der komplexeste der fünf platonischen Körper. Eine Struktur, die zwölf Ecken und dreissig Kanten aufweist. Entlang dieser Kanten wird ein mehrstufiger Kommunikationsprozess in Gang gesetzt, in dem Menschen Themen und Themen Menschen verbinden.
Man beginnt mit einer Eröffnungsfrage, zum Beispiel: Was müssen wir tun, um innerhalb der nächsten drei Jahre unseren Umsatz um zehn Prozent zu steigern und nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben? Die Teilnehmenden selbst definieren, was im Zusammenhang mit dieser Frage wirklich relevant ist. Diese Aspekte werden als Diskussionsthemen den zwölf Ecken des Ikosaeders zugeordnet. Die Teilnehmenden werden nun stärkenkonform auf die Kanten des Ikosaeders verteilt. Damit verbindet jeder Teilnehmende zwei Themen, die er als jeweils eines von fünf Themenmitgliedern bearbeitet, da immer fünf Kanten in einer Ecke zusammenlaufen. Bei zwei weiteren Themen ist er Kritiker und bei vier weiteren Beobachter. Dadurch entstehen Verbindungen im Innern der Struktur, die zusätzliche Themen miteinander vernetzen.
So angeordnet, diskutieren die Teilnehmenden in einem hierarchiefreien, aber dennoch geordneten Prozess die Aspekte der Eröffnungsfrage. Die Struktur bewirkt, dass die Personen maximal miteinander vernetzt werden und die Themen minimale Informationsdistanz zueinander aufweisen. Die strukturbedingte Vernetzung aller Gruppen erzeugt ein Fliessen von Information und einen Austausch von Wissen von einem Thema zum anderen. Die Themen befruchten sich damit gegenseitig und koordinieren sich inhaltlich – wie von Geisterhand gesteuert. Durch die Gruppengrösse von fünf Personen und die institutionalisierte Kritikerfunktion entsteht in den einzelnen Gruppen eine Produktivität ohne Oberflächlichkeit – langes Verweilen bei irrelevanten Aspekten wird nahezu ausgeschlossen. Das Resultat besteht in einem dokumentierten Massnahmenplan zu jedem der zwölf Themen, die sich aufgrund der Selbstkoordination wie Puzzle-Teile zu einem schlüssigen Gesamtbild, einer wirkungsvollen Strategie zusammenfügen.
Bestmögliche Integration von Wissen und Erfahrung
Für das systematische Wissensmanagement, die Integration verschiedener Sichtweisen und die schnelle Erarbeitung umsetzungsstarker Lösungen steht also ein bewährtes Management-Werkzeug zur Verfügung. Die Syntegration hat sich in rund 180 Anwendungen durch das Malik Management Zentrum St. Gallen (weltweit rund 350) in den unterschiedlichsten Umfeldern als sehr robust erwiesen. Das Verfahren kombiniert erfolgreich Kreativität, direkte Verantwortlichkeit und Einbindung kleiner Gruppen mit dem gesammelten Wissen vieler Teilnehmer.
Die erarbeiteten Lösungen sind aufgrund der bestmöglichen Integration von Wissen und Erfahrung der wichtigsten Schlüsselpersonen entstanden. Der iterative Prozess sorgt dabei dafür, dass alle relevanten Aspekte berücksichtigt werden und das Problem bereichsübergreifend aus allen Perspektiven diskutiert wird. Wie bereits dargestellt, ermöglichen die hohe Themendurchdringung und die Integration verschiedener Sichtweisen eine ganzheitliche Sicht der Problemlage. Mindestens ebenso erfolgsentscheidend ist jedoch der Aspekt, dass alle Teilnehmenden – und damit auch die Umsetzungsverantwortlichen – die erarbeiteten Lösungen verstehen und wollen. Da alle Teilnehmer die zwölf zu diskutierenden Themen selbst festgelegt und anschliessend intensiv diskutiert haben, kann sich niemand dem Ergebnis entziehen und seine persönliche Verantwortlichkeit von sich weisen.
Einstellungen und Sichtweisen von Personen verändern sich im Laufe des Prozesses ebenso. Nicht mehr nur der kleinste gemeinsame Nenner wird gefunden, vielmehr entsteht Konsens auf einer breiten Basis. Jeder zweite Teilnehmer hat durch die Veranstaltung eine deutlich positive Veränderung der Beziehungen wahrgenommen. Neben dem Teambildungseffekt und den persönlich geknüpften Kontakten bewirkte die Syntegration vor allem durch ihre Vernetzung ein besseres wechselseitiges Verständnis.
Ihre besondere Wirksamkeit stellt die Syntegration dann unter Beweis, wenn es im Rahmen eines Unternehmenszukaufs gilt, unterschiedlichste Produkte, Strategien und Kulturen zu vereinen und daraus etwas zu formen, das mehr beziehungsweise etwas anderes ist als die Summe seiner Teile. Praktisch alle Studien, die sich mit Fusionen und Übernahmen befassen, kommen zum Ergebnis, dass ein Grossteil ihres wirtschaftlichen Werts in den ersten sechs Monaten geschaffen oder verloren wird. Entweder sind beide Partner auf dem Weg zur Normalität und konzentrieren sich wieder auf Markt und Kunden oder sie finden sich in einem kaum noch entwirrbaren Schlamassel wieder. Wenn zwei also eine Integration bewältigen wollen, brauchen sie nicht nur guten Willen, sondern auch eine gemeinsame Sprache und Ausrichtung.