Temporärbranche im Umbruch
Temporärfirmen sind von der Wirtschaftskrise stark betroffen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, reduziert ein Teil der Anbieter den Personalbestand. Andere erweitern das Angebot ihrer Dienstleistungen.
(Bild: Ulrike Kobelius)
Nach Jahren des Wachstums ist die Temporärarbeit in der Schweiz unter Druck. Gemäss swissstaffing, dem Verband der Personaldienstleister der Schweiz, ist von Januar bis Mai 2009 im Vergleich zur Vorjahresperiode 24 Prozent weniger Temporärarbeit geleistet worden. Die Temporärfirmen reagieren unterschiedlich auf die aktuelle wirtschaftliche Situation.
Schwierige Zeiten bis 2010 prognostiziert
Wie Myra Fischer-Rosinger von swissstaffing betont, geht es in der Branche nun ans Kostensenken. «Die Temporärfirmen sind gezwungen, ihre Kostenstruktur anzupassen. Allerdings in einer Weise, dass sie beim Aufschwung so rasch wie möglich wieder in der Lage sind, der sicherlich wieder stark steigenden Nachfrage zu entsprechen.» Weil die Einbrüche momentan massiv sind, kann es durch die Krise gemäss Fischer-Rosinger zu einer gewissen Flurbereinigung kommen. «Möglicherweise auch erst, wenn die Wirtschaftslage anzieht und die Temporärfirmen wegen plötzlich steigender Nachfrage in Liquiditätsengpässe geraten.»
Für viele Anbieter geht es jetzt aber erst einmal ums Überleben. Um zu sparen, beginnen viele bei den Personalkosten. Auch der weltweit grösste Anbieter, Adecco, arbeitet in diesen Zeiten speziell kostenbewusst. «Einige der Massnahmen, die wir getroffen haben, sind: Verlängerung von Mutterschaftsurlauben, freiwillige Sabbaticals und Bildungsurlaube, freiwillige Beschäftigungsgradreduktionen», gibt José M. San José, Director Marketing & Business Development Adecco Switzerland, Auskunft.
Dabei gelte es jedoch stets darauf zu achten, für die Zeit des Aufschwungs gut gerüstet zu bleiben. «Als führender Personaldienstleister reagieren wir schnell auf wechselnde Bedürfnisse und Ansprüche unserer Kunden», so San José. In der Vergangenheit habe Adecco mit der Einführung der zwei neuen Business-Lines Watch Technology und Engineering rasch auf die Bedürfnisse des Marktes reagiert. Über Projekte der Zukunft werde Adecco zum gegebenen Zeitpunkt informieren.
Bei Manpower wurden natürliche Abgänge nicht ersetzt, Arbeitspensen teilweise reduziert oder die Mitarbeitenden ermuntert, unbezahlte Ferien zu nehmen. «Für unsere Branche wird es bis Anfang oder Mitte 2010 schwierig bleiben», erklärt Marc Winiger, Leiter Manpower Deutschschweiz. Umso wichtiger sei es, weiterhin marktorientiert zu bleiben und bei den Kunden präsent zu sein.
Besserer Service mit spezialisiertem Kandidatenpool
«Ich denke, es hat mit der Krise zu tun, dass try and hire zurzeit sehr beliebt ist. Heute ist man vorsichtiger mit Festanstellungen», beurteilt Winiger. Manpower bietet den Kunden auch Personaldienstleistungen wie Outplacement an, und zwar nicht nur im Kaderbereich. «Wenn Stellen abgebaut werden, suchen Firmen nach Lösungen und nehmen die Dienstleistung in Anspruch, ganze Mitarbeitergruppen wieder an den Markt zu bringen.» An Bedeutung gewonnen haben bei Manpower zudem Food-Pool-Lösungen: Firmen mit grosser Nachfrage nach qualifizierten Leuten im Foodbereich können auf einen spezialisierten Kandidatenpool zurückgreifen.
Auch Kelly Services Schweiz hat jüngst die Servicelinien «Kelly Food» sowie «Kelly Watch» lanciert, die auf die Personalbedürfnisse der Lebensmittel- beziehungsweise der Uhrenbranche zugeschnitten sind. Caroline Kälin, Kommunikationsverantwortliche bei Kelly Services Schweiz: «Am häufigsten werden bei Kelly Services Spezialisten und HR-Lösungen in Branchen wie zum Beispiel der Pharma-Industrie, dem Gesundheitswesen, in der IT und der Lebensmittelindustrie gesucht.» Caroline Kälin schätzt, dass sich der Trend bei den Temporärfirmen auch künftig in Richtung Spezialisierung auf bestimmte Märkte und Fachbereiche bewegen wird. «Unsere Branche wächst seit Jahren und wird auch nach der heutigen schwierigen Wirtschaftslage wieder an Fahrt gewinnen und zulegen.»
Branche erwartet weiteres Wachstum nach der Krise
Swissstaffing geht ebenfalls davon aus, dass sich der mittelfristig deutlich erkennbare, starke Wachstumstrend noch fortsetzen wird. Denn die unter Druck stehenden Unternehmen sind aufgrund der Globalisierung und demografischen Alterung zusehends auf flexible Arbeitsformen angewiesen. In den Jahren von 1999 bis 2008 ist die Temporärbranche gemäss swissstaffing jedes Jahr um durchschnittlich 9,8 Prozent gewachsen. 2007 nutzten 23 Prozent der Unternehmen Temporärarbeit, wie eine Untersuchung des Verbandes zeigt. Unter den Grossunternehmen waren es sogar 70 Prozent.
Insbesondere im handwerklichen Bereich sind temporäre Fachleute zurzeit gefragt. Diese Erfahrung macht auch Christoph Neuenschwander, Geschäftsführer des Personaldienstleisters MBT AG in Zürich, der seit fast 20 Jahren im Geschäft ist. Am stärksten gefragt sind gegenwärtig Berufe im Baunebengewerbe wie Sanitäre oder Elektromonteure; rückläufig sind die Bereiche IT und Industrie. Neue Dienstleistungen wird MBT nicht lancieren, da Christoph Neuenschwander Wert auf eine Konstanz legt. Die künftige Entwicklung der Branche schätzt er positiv ein: «Die Projekte in Bau, Gastgewerbe und Hotellerie werden in Zukunft immer kurzfristiger. Daher wird es mehr temporäres Personal brauchen.»
Zusatzdienstleistungen weniger nachgefragt
Auch der international tätige Temporäranbieter Randstad mit 40 Filialen in der Schweiz muss die Kosten im Auge behalten. Trotzdem sieht man die Situation auch positiv. «Unternehmungen können mit Hilfe von temporärem Personal auf Produktionsschwankungen schneller reagieren», sagt Kommunikationsfachfrau Susanne Weiss. Mit dem Inhouse-Service für Grosskunden bietet Randstad zudem Dienstleistungen an, die über das reine Vermitteln hinausgehen: Ein Spezialist von Randstad übernimmt Rekrutierung, Auswahl, Einarbeitung und Beurteilung der Mitarbeiter vor Ort im Unternehmen.
Eine Umfrage von swissstaffing bei rund 1000 Schweizer Unternehmen im Herbst 2008 hat jedoch ergeben, dass diese weniger an zusätzlichen Rekrutierungs- und Selektionsdienstleistungen der Temporärfirmen interessiert sind. «Vielmehr greifen Schweizer Unternehmen vor allem aus einem Grund auf Temporärfirmen zurück: um an flexible Arbeiter zu gelangen», stellt Myra Fischer-Rosinger fest. Wie die swissstaffing-Studie zeigte, setzten Schweizer Unternehmungen Temporärarbeit in erster Linie ein, um Spitzen abzubauen und die Belegschaft zu flexibilisieren.
Myra Fischer-Rosinger ist der Meinung, dass Temporärfirmen künftig eher auf andere Qualifikationssegmente setzen sollten, um den Anschluss nicht zu verpassen. Heute sei die Temporärbranche stark auf das mittlere bis tiefe Qualifikationssegment fokussiert. «Die Temporärbranche wird sich nach meiner Ansicht in Zukunft vermehrt auf die Rekrutierung und Platzierung von mittel bis höher Qualifizierten spezialisieren müssen, denn da liegt eine bedeutende Nachfrage», so Myra Fischer-Rosinger. Auch alternative Formen der Temporärarbeit seien denkbar, die höher Qualifizierte ansprechen, beispielsweise temporäre Projekt- oder Regiearbeit. «Diese Bedürfnisse abzudecken, könnte eine zukunftsträchtige Herausforderung für Temporärfirmen darstellen.»
GAV für Temporärbranche
Am 1. Januar 2010 soll voraussichtlich der erste Gesamtarbeitsvertrag für Temporärarbeitende in Kraft treten. Neu am GAV für Temporärarbeitende ist, dass er für die Temporärarbeitenden aller Branchen gilt. Die bereits in Branchen-GAVs festgelegten Mindestlöhne werden übernommen. Für Temporärarbeitende, die in Branchen ohne GAV arbeiten, werden regionalisierte und nach Qualifikation differenzierte Mindestlöhne eingeführt.