Generationenmix

«Unabhängig vom Alter zählt letztlich bei jedem nur die erbrachte Leistung»

Mit 31 Jahren übernahm Boris Collardi einen der strategisch wichtigsten Jobs bei der Bank Julius Bär. Auf welche anfänglichen Schwierigkeiten der heutige COO traf, wie er als Jüngster sein Team führt, wie er mit seinem um 20 Jahre älteren Vorgesetzten zusammenarbeitet und wie er seine Rolle sieht, erläuterte er HR Today. Das Porträt eines Senkrechtstarters.

Mit nur ein paar Minuten Verspätung – wegen einer zu langen Sitzung – empfängt uns Boris F.J. Collardi in seinem geräumigen Büro. Der junge Manager im klassischen dunkelblauen Anzug mit passender Krawatte spricht fliessend Hochdeutsch mit schweizerdeutschen Einschlägen, ab und zu einem englischen Ausdruck, und wer gut hinhört, bemerkt einen charmanten französischen Akzent. Tatsächlich steht im Lebenslauf von Collardi: Muttersprache Französisch und Italienisch. Weiter entnimmt man dem Lebenslauf eine steile Karriere. Sie begann bei der Credit 
Suisse mit einem 16-monatigen Einsteigerprogramm und führte über verschiedene, auch internationale Funktionen nach zwölf Jahren zur Bank Julius Bär. Am 1. Januar 2006 übernahm Collardi die neu geschaffene Funktion des Chief Operating Officer (COO) der Divi-sion Private Banking und seit Mitte November 2007 die COO-Funktion für die gesamte Bank Julius Bär. Im COO-Bereich sind alle wichtigen Managementfunktionen der Bank vereint (Strategy & Finance, Human Resources, Marketing & Communications, Shared Services, IT & Operations, Legal, Compliance & Risk 
Management) und er ist zudem eine bedeutende Schnittstelle zwischen den regionalen Einheiten.Collardi unterstehen somit über 1550 Mitarbeitende, 15 Leute führt er direkt. In seinem Team ist das Durchschnittsalter 40 Jahre, Collardi selber ist mit seinen heute 33 Jahren der Jüngste.

Die ersten drei bis vier Monate an der neuen Arbeitsstelle seien sehr anstrengend gewesen – wohl für alle, erzählt Collardi. «Ich wurde äussert kritisch beobachtet, nicht nur weil ich von aussen kam, sondern weil ich sehr jung bin und man an meinen Erfahrungen zweifelte.» Selbstkritisch erzählt er offen über weitere Gründe, die zu den Anfangsschwierigkeiten beigetragen haben: «Mein angelsächsisch beinflusster Führungsstil, meine Direktheit, das hat bei einigen zuerst eine gewisse Gewöhnungszeit benötigt. Zudem habe ich alles hinterfragt, suchte nach Alternativen, wollte wissen, was man wie anders machen könnte, und habe selber viele neue Ideen eingebracht. Das war für viele Mitarbeitende ein richtiger Kulturschock. Ich wollte positive Kritik üben, die Leute zum Nachdenken bringen und habe deshalb manchmal Konflikte provoziert, damit auch die unterschwelligen Themen ausgesprochen werden. Auch das kam nicht überall gut an, weil die Schweizer Kultur eher auf Kompromiss als auf Konflikt ausgerichtet ist.»

«It’s possible» – Erfolgserlebnisse überzeugen Mitarbeitende

Seine dynamische und fordernde Art, das hohe Tempo und sein Auftrag, mit der Abteilung eine neue Strategie zu verfolgen, dürfte bei manchen Mitarbeitenden Fragen über ihre Zukunft aufgeworfen haben. Darauf angesprochen, ob viele Leute abgesprungen seien, sagt Collardi: «Gewisse Mitarbeitende waren für das alte Mandat, die alte Strategie sehr gut geeignet. Für die neue Ausrichtung wären sie wohl mit der Zeit nicht mehr die Richtigen gewesen. Aber ich habe allen eine faire Chance gegeben und eine sehr offene Kommunikation mit ihnen gepflegt. Wer sich für den Challenge nicht fit genug fühlte, der hat sich dann für eine andere Variante entschieden.» Der junge Manager fordert jedoch nicht nur viel von seinen Mitarbeitenden, sondern auch von sich selber. Hart arbeiten und klar kommunizieren gehören denn auch zu seinen bewährten Strategien, ebenso wie Vorbild zu sein: «Wie kann ich fordern, wenn ich nicht die gemeinsame Sache an erster Stelle setze?» Dafür nehme er auch lange Arbeitstage auf sich, erklärt Collardi. Die ersten erfolgreichen Ergebnisse nach ein paar Monaten im neuen Job haben seine Strategie bestätigt – und viele Leute von der neuen Richtung und dem jungen Chef überzeugt. «Es gibt nichts Besseres als Erfolg, um die Leute zu motivieren», sagt Collardi.

Von seinem Glauben an die Machbarkeit zeugen auch zwei Bilder in seinem Büro. Auf dem einen prangen auf gelbem Untergrund in schwarzer Schrift die Worte «It’s possible», auf dem anderen steht auf schwarzem Untergrund in gelber Schrift dasselbe in Russisch, Arabisch und Chinesisch. Um den Führungsmitarbeitenden der ersten zwei Stufen die Erfolge des Jahres 2007 konkret zu zeigen, wurden anlässlich eines Jahrestreffens die Ergebnisse in Ausstellungsräumen dreidimensional und wenn möglich physisch dargestellt. «Sie waren beeindruckt», sagt Collardi. «Viele haben auch realisiert, dass die meisten Entscheide richtig waren. Für mich war das sehr befriedigend, gerade weil ich anfangs bei jeder Entscheidung hören musste: ‹Dies geht nicht, jenes können wir nicht machen›.»

Collardi selber sieht sich als einen Chef, der nicht hierarchisch führt, alle gleich behandelt und für alle eine offene Tür hat, vom ausländischen Mitarbeitenden über die Trainees bis zum CEO. Ebenso versuche er, jede E-Mail eines Mitarbeitenden persönlich zu beantworten – «ich möchte für alle erreichbar sein». Zudem legt er Wert auf die Feststellung, dass er immer authentisch sei. «Es gibt keinen Boris Collardi innerhalb der Bank und einen ausserhalb. Ich bin immer ich selber.»

Gefragt, welche Charaktereigenschaften ein so junger Chef brauche, zählt Collardi, ohne gross überlegen zu müssen, fünf Kriterien auf: «Man muss – auch in schlechten Situationen – optimistisch sein, denn nur so kann man Leute motivieren. Eine eigene Meinung ist unabdingbar, das bedeutet aber nicht, dass man aufgrund von neuen Fakten eine solche nicht revidieren kann. Es gibt für einen Chef nichts Schlimmeres, als keine Meinung zu haben. Man muss zuverlässig und kritikfähig sein und gut mit Konflikten umgehen können. Eine weitere wichtige Komponente ist der Humor. Wir verbringen so viel Zeit miteinander, da sollte ein gewisser Funfaktor schon vorhanden sein.» Mit einem Schmunzeln fügt Collardi an, er habe vergessen zu sagen, wie wichtig es sei, dass man vom Geschäft ziemlich viel verstehe.

Zwar macht der Jungmanager den Eindruck, für alles eine Lösung parat zu haben, doch er gesteht unumwunden ein: «Bei Zweifeln oder Unsicherheiten hole ich mir Ratschläge von Kollegen oder vom Chef.» Gerade der Chef sei ja dafür da, zu helfen. Überhaupt arbeite er sehr gerne und gut mit seinem rund zwanzig Jahre älteren Vorgesetzten zusammen: «Wir sind komplementär. Er hat ein paar Eigenschaften, von denen ich noch lernen kann. Etwa sein Umgang mit Kunden ist wirklich hervorragend. Ich hingegen bin sehr gut organisiert, und so ergänzen wir uns gegenseitig.» Der Jungmanager betrachtet seinen Chef durchaus als Vorbild. Der Altersunterschied zwischen ihnen macht sich gemäss Collardi nur in einem Punkt bemerkbar: «Ich bin ungeduldiger und möchte oft gleich eine Entscheidung treffen, während er aufgrund seiner Erfahrung gelassener reagiert.»

Generell schätzt Collardi die Zusammenarbeit mit älteren Mitarbeitenden, weil sie qualitativ gute Inputs liefern. «Manchmal muss man sie einfach etwas provozieren, damit sie sich getrauen. Ich tue das, indem ich beispielsweise sage, dieses Projekt machen wir nun total anders als bisher. Dann müssen sie sich etwas überlegen und aus ihrem üblichen Trott ausbrechen. Und ich übertrage jemandem die Verantwortung. Mit dieser Vorgehensweise habe ich tolle Erfahrungen gemacht.» So werde nicht nur die Innovation, der Ideenreichtum gefördert, sondern auch das Selbstvertrauen gestärkt. «Ich betrachte es als eine meiner wichtigsten Funktionen, eine Umgebung zu schaffen, in der die Leute mit Selbstvertrauen arbeiten können, in der sie wissen, dass sie gut sind, und sich gleichzeitig fragen, was sie noch besser machen können», erklärt Collardi. Er ist überzeugt, dass Stolz und Selbstvertrauen der Mitarbeitenden im Jahr 2007 enorm gestiegen sind. Ebenfalls schätzt der Jungmanager an den älteren Arbeitnehmenden die Ruhe, die sie sozusagen an den Tisch bringen. «Allerdings», schränkt er gleich ein, «zu viel Ruhe darf es auch nicht sein, weil man sonst nichts mehr verändert, vorwärtsbringt.»

Bei Auslandsaufenthalten hat Collardi gelernt, wie wichtig es ist, älteren Mitarbeitenden Respekt zu zollen, sie stolz zu machen – «to give them face», wie er sich ausdrückt –, gerade weil sie älter sind. «Zwar haben ältere Mitarbeitende hier nicht den Status wie beispielsweise in Asien, wo junge Leute explizit bei älteren Kollegen vorbeischauen, um mit ihnen ihre Probleme zu besprechen und Ratschläge zu holen. Aber auch bei uns können sie mit ihren Erfahrungen Vorbild und Mentor sein. Ich versuche daher, ältere Mitarbeitende, die oft sehr zurückhaltend sind, mit der Leitung eines Projekts zu beauftragen – obwohl sich genügend Jüngere freiwillig melden. Jüngere profilieren sich eben gerne.»

Graue Haare allein zählen nicht

Der 33-Jährige ist überzeugt, dass eine junge Führungskraft mehr leisten muss, um sich zu beweisen, als eine ältere. «Ich glaube, den Vorteil der grauen Haare gibt es tatsächlich», sagt Collardi. «Aber nur über die ersten sechs Monate. Dann zeigen die ersten Resultate die wahren Kompetenzen.»

Nach seinen grössten Fehlern zu Beginn der neuen Arbeit gefragt, erinnert sich Collardi an die Mühe mit seinem Timemanagement. Einerseits weil er sich für die Leute Zeit nehmen und auch kurzfristig irgendwo eine Lücke in seinem übervollen Kalender finden wollte. Andererseits weil er einen sehr grossen Bereich übernommen hat, in dem er «möglichst rasch die Leute kennenlernen wollte, um die Know-how-Träger zu identifizieren und ein Gefühl dafür zu bekommen, wer der richtige Leader für ein Team ist.» Nach einem Jahr Zusammenarbeit seien sie zu einem super Management-Team gewachsen und er und seine Kollegen arbeiteten gut und gerne zusammen, sagt Collardi. «Diesen positiven Spirit wollen wir nun auf die Stufe der Mitarbeitenden transportieren. Das ist unsere Zielsetzung für 2008.» Eine gute Atmosphäre lasse sich nur schaffen, wenn die Leute sehen, dass die Kommunikation offen und direkt ist, dass eine Vertrauensbasis herrscht und dass geliefert und nicht nur versprochen wird. Dies ist wohl mitunter der Grund, weshalb für Collardi vor allem eines zählt: « Delivery, delivery und delivery. Ich kann die Leute nicht messen an dem, was sie alles versprechen, sondern nur an dem, was sie liefern», sagt der Jungmanager.

Und dann fällt Collardi noch ein weiterer Fehler seiner Anfangszeit ein: «Ich wollte innerhalb der ersten zwölf Monate wohl zu vieles erledigt haben, ich bin ambitiös.» Sofort fügt er hinzu: «Ambitiöse Leute wollen in kürzester Zeit extrem viel erreichen. Ich sehe das durchaus auch positiv.»

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