«Unsere Lernenden sind die Fachkräfte von morgen»
Seit 100 Jahren bildet das Ostschweizer Familienunternehmen Bühler Lehrlinge aus. Heute arbeiten die Auszubildenden auch im Ausland und nehmen im virtuellen Klassenzimmer am Unterricht teil. Andreas Bischof, Head of Apprenticeship, verrät das Erfolgsrezept des globalen Technologiekonzerns.
Andreas Bischof leitet seit 2009 die Berufsbildung von Bühler und ist damit für die 300 Lernenden in der Schweiz verantwortlich. Er hat das multimediale Klassenzimmer-Konzept «Class Unlimited» mitenwickelt. Bischof ist diplomierter Ausbildungsleiter und hat 2015 den Masterlehrgang Ausbildungsmanagement an der Fachhochschule in Zürich abgeschlossen. (Foto: zVg)
Es ist der 2. Mai 1915. Albert Bürkler, 16 Jahre alt, macht sich auf den Weg zur Firma Bühler Uzwil. Er bekommt einen Platz an einer Werkbank zugewiesen und beginnt seine Lehre als Schlosser. Er ist der erste Lehrling, den Bühler ausbildet. 100 Jahre später wird das Unternehmen in der Schweiz 7500 Fachkräfte ausgebildet haben. Aktuell beschäftigt der Technologiekonzern 300 Lehrlinge in zehn verschiedenen Berufen. Das sind zehn Prozent der Belegschaft. Die beliebtesten Ausbildungen sind Konstrukteur, Anlagen- und Apparatebauer, Polymechaniker und Automatiker.
Da Bühler heute international tätig ist, wurde 2008 auch die Lehre internationalisiert: Damals wurden fünf Lernende für zwei Monate nach China geschickt. Heute verbringt ein Viertel aller Lernenden zwei bis sechs Monate an einem Standort im Ausland – in Indien, China, Brasilien, England, Südafrika oder den USA.
Damit die Lernenden im Ausland nichts vom Unterricht verpassen, hat Bühler 2012 zusammen mit dem Berufs- und Weiterbildungszentrum Wil-Uzwil das Konzept «Class Unlimited» entwickelt: Ein Teil der Schüler sitzt wie gewohnt im Klassenzimmer, während die Bühler-Lernenden im Ausland virtuell zugeschaltet sind. Für dieses Ausbildungskonzept wurde das Unternehmen 2014 mit dem Leonardo European Corporate Learning Award ausgezeichnet.
Doch auch in anderen Bereichen schlägt Bühler neue Wege ein: Ebenfalls seit 2012 können potenzielle Spitzensportler und musisch Begabte mit der Sportlerlehre ihr sportliches und musisches Talent verfeinern und gleichzeitig eine Berufslehre abschliessen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels zahlt sich diese Investition in die Jungen aus. So bleiben denn auch zwei Drittel der Lehrabgänger nach der Lehre bei Bühler.
Bühlers Umsetzung der Schweizer Berufslehre ist auch im Ausland auf Interesse gestossen: Im Herbst 2014 liess sich Jill Biden, Gattin des US-Vizepräsidenten, das System persönlich vor Ort in Uzwil vorführen. Grund genug für ein Gespräch mit Andreas Bischof, dem Leiter der Berufsbildung bei Bühler.
Herr Bischof, viele Firmen haben Mühe, ihre Lehrstellen zu besetzen. Wie sieht das bei Bühler aus?
Andreas Bischof: Wir haben keine Probleme damit. Dieses Jahr haben wir etwa 450 Bewerbungen für 82 Stellen erhalten und haben alle besetzt.
Was tun Sie, um auf dem Lehrlingsmarkt für Bühler die besten Lernenden zu bekommen?
Wir stellen den Menschen ins Zentrum der Auswahl. Bei uns kann jeder schnuppern, unabhängig vom schulischen Hintergrund. Erst danach wird er auf der menschlichen und der Talentebene beurteilt; so garantieren wir Offenheit und Fairness. Zeugnisse sind bei uns weniger wichtig. Uns kommt es darauf an, ob uns eine Person menschlich überzeugt, ob sie begeisterungsfähig und lernwillig ist.
Was sind weitere Massnahmen?
Wir bieten eine breite Ausbildung an, und während der Lehre haben die Lernenden die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten. Das macht uns für Schülerinnen und Schüler attraktiv. An Messen machen wir ebenfalls auf Bühler als Arbeitgeber aufmerksam. Nicht zuletzt führen wir pro Jahr etwa 500 Schüler durch den Betrieb. Auch Lehrer laden wir ein; diese wirken als Multiplikatoren.
Seit 2008 gehört der Auslandeinsatz zur Berufsbildung bei Bühler. Haben Sie seither mehr Bewerbungen erhalten?
Nicht mehr, sondern gezieltere Bewerbungen, zum Beispiel von Schülern in der Schweiz, die ursprünglich aus Brasilien kommen und dort im Rahmen ihrer Lehre bei Bühler ihren Auslandeinsatz verbringen wollen. Oder wir hatten den Fall eines jungen Mannes aus den USA: Er lebte noch in den USA, plante aber einen Umzug in die Schweiz. Er hat sich von den USA aus beworben und absolviert nun eine Lehre als Automatiker bei uns.
Haben Sie Mühe, gute Lehrabgänger im Unternehmen zu halten?
Zwei Drittel unserer Lernenden behalten wir im Unternehmen. Allerdings haben wir für High Performer, die Bühler verlassen, weil sie die Welt entdecken oder eine Weiterbildung machen wollen, noch kein vollumfängliches Programm entwickelt. Das heisst, sie werden noch nicht aktiv begleitet und wissen darum auch nicht, dass sie bei Bühler etwa ihre Bachelorarbeit schreiben oder während ihrer Weiterbildung bei uns im Sommer arbeiten können. Unser Ziel ist, mit den High Performern künftig in Kontakt zu bleiben und eventuell eine Austauschplattform zu generieren, um ihnen ihre Karriereoptionen bei Bühler aufzuzeigen.
Warum investieren Sie in Lehrlinge?
Aus Gründen der Nachhaltigkeit. Unsere Lernenden können vier Jahre lang die Firmenkultur kennenlernen, und wir die jungen Menschen. Es ist ein Geben und Nehmen. Die heutigen Lernenden sind die Fachkräfte von morgen.
Wo orten Sie noch Verbesserungspotenzial?
Jetzt sind wir gut, aber für Exzellenz braucht es noch mehr: Bis 2020 wollen wir die vier Felder Karriere- und Laufbahnplanung, die Allrounder-Ausbildung, die internationale Berufsbildung und den Bereich digitale Medien ausbauen.
Was heisst das konkret?
Mit der Karriere- und Laufbahnplanung wollen wir den Lernenden Optionen nach der Lehre aufzeigen. Im ersten Lehrjahr bilden wir extrem breit aus, erst danach erfolgt die Spezialisierung. Wir wollen noch weitere Module anbieten, um die jungen Menschen optimal für die Zeit nach der Lehre vorzubereiten. In Bezug auf die internationale Berufsbildung wollen wir noch mehr Jugendliche aus dem Ausland in die Schweiz holen. Ein weiteres Ziel ist die Digitalisierung der Lernmedien, sodass die Lehrlinge sich zeit- und ortsunabhängig weiterbilden können.
Lehrmeister-Legende Karl Tischer
Einer der ersten Lehrlinge bei Bühler in Uzwil war
Karl Tischer. 1920 geboren, begann er 1936 eine dreieinhalbjährige Lehre als Blechschlosser und absolvierte im Anschluss die Meisterschule. «Ich war damals der einzige Lehrbub als Blechschlosser», erzählt Tischer an einer Medienkonferenz von Bühler. Im ersten Lehrjahr erhielt er einen Stundenlohn von 15 Rappen, im zweiten Lehrjahr waren es 20 Rappen. Nach der Lehre betrug sein Stundenlohn 80 Rappen. Er erinnert sich noch gut an seinen allerersten Lohn, den er nach 14 Tagen bei Bühler bar auf die Hand erhielt: CHF 5.25.
1940 wurde Tischer im Zuge der Mobilmachung als Soldat einberufen und gehörte bis zum Kriegsende 1945 der Artillerie in der Schweizer Armee an. Im gleichen Jahr wurde er bei der Firma Schweizer als Meister unter Vertrag genommen. Fünf Jahre später rief ihn Bühler zurück. Von da an leitete er die Werkstatt mit bis zu 70 Mitarbeitenden. Insgesamt arbeitete er 43 Jahre bei Bühler und bildete rund 2500 Lernende aus, die alle ausnahmslos ihre Prüfung bestanden.