Unternehmerisches Denken von Mitarbeitenden verlangen?
Viele Erwerbstätige lassen sich in einer Firma anstellen, um keine unternehmerischen Risiken einzugehen. Doch entbindet sie das davon, unternehmerisch zu denken?
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Nadine Schlegel, Human Resources Director, Unic AG: «Unternehmerisch zu denken, dient nicht nur dem Unternehmen, sondern erweitert auch die persönlichen Kompetenzen.»
Doch wie können wir Mitarbeitende befähigen, in unternehmerisches Denken hineinzuwachsen? Dies ist nicht eindeutig zu beantworten und liegt an der Herausforderung, Mitarbeitende zu ermuntern, Ideen und Vorschläge einzubringen.
Unternehmerisch zu denken, dient nicht nur dem Unternehmen, sondern erweitert auch die persönlichen Kompetenzen jedes Einzelnen in der Organisation. Dadurch wird Innovation erst möglich. Unternehmerisches Denken bedeutet, Neues auszutesten, ungewohnte Pfade zu beschreiten, hin und wieder Fehler zu machen, zu scheitern und daraus zu lernen. Das motiviert Menschen und verschafft ihnen die Energie, zum Unternehmenserfolg beizutragen.
Unternehmerisches Denken kann allerdings nur gelebt werden, wenn wir eine Vertrauens- und Wertschätzungskultur im Betrieb schaffen. Das können wir aber nicht auf Knopfdruck einfordern. Wir können jedoch ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeitende befähigt werden, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Mitarbeitende sollen ihre Kompetenzen einbringen und Eigenverantwortung übernehmen. Unic folgt hierzu einem positiven Menschenbild. Im Fokus stehen der Austausch und der gemeinsame Dialog. Wir nutzen unterschiedliche Meinungen, um Strukturen zu verbessern und Lösungen zu erarbeiten. Das funktioniert, weil alle Mitarbeitenden respektvoll und selbstverantwortlich handeln.
Samuel Horner, Rechtsanwalt und Notar, Advokatur 107: «Unternehmerisches Denken stärkt die Identifikation der Mitarbeitenden.»
Gemäss arbeitsrechtlichen Grundlagen sind Mitarbeitende dazu verpflichtet, die ihnen übertragenen Aufgaben sorgfältig und in eigener Person zu leisten. Weiter ist gesetzlich eine Treuepflicht definiert, welche primär eine Unterlassung jeglicher Handlungen, die der Arbeitgeberin wirtschaftlich schaden kann, umfasst. Unternehmerisches Handeln gehört damit nicht – zumindest nicht direkt – zu den (gesetzlichen) Pflichten von Mitarbeitenden.
Auch wenn das Gesetz keine direkte Grundlage für unternehmerisches Denken und Handeln vorsieht, zählt das nach meiner Meinung je länger je mehr zu den wichtigsten Fähigkeiten eines Mitarbeitenden. Im Arbeitsvertrag sowie im Stellenbeschrieb können die entsprechenden Anforderungen definiert und verbindlich festgelegt werden. Klar ist, dass an einen frisch ausgebildeten Sachbearbeiter nicht dieselben Erwartungen gestellt werden können wie an eine stellvertretende Geschäftsführerin. So sollten pro Funktion realistische Ziele an das unternehmerische Denken definiert werden. In Stellenbeschrieben zum Beispiel mit Aufgaben («Pflichtenheft») und Zielvereinbarungen. Anreize können auch durch erfolgsgekoppelte, variable Lohnbestandteile gesetzt werden. Werden solche Ziele regelmässig überprüft und bei Bedarf angepasst, besteht aus rechtlicher Sicht ein vielversprechender Rahmen, das unternehmerische Denken der Mitarbeitenden erfolgreich zu fördern.
Esmir Davorovic, HR Strategies, HR Campus: «Unternehmerisches Denken kann nicht von jeder Person in gleichem Masse gefordert werden.»
Ja, wenn Unternehmen die geeigneten Rahmenbedingungen bieten, können wir es zumindest anbieten und sollten es fördern. Das Streben nach (unternehmerischer) Autonomie ist ein wichtiges menschliches Bedürfnis und dem Glück eines Menschen so zuträglich, dass er dafür auch weniger Geld und Sicherheit in Kauf nimmt. Arbeit kann mehr sein als ein Kosten-Nutzen-Kalkül, wenn wir unternehmerisches Denken fordern und fördern. So können Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten und ihre Arbeit sinnvoll gestalten. Für Unternehmen sind die Kreativität und das Engagement intrinsisch motivierter und glücklicher Mitarbeitender deshalb in vielerlei Hinsicht von Vorteil. Die gewonnene Flexibilität ist nicht zuletzt der richtige Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Das grosse Aber: Unternehmerisches Denken kann nicht von jeder Person in gleichem Masse gefordert werden. Die damit einhergehende Freiheit kann auch negativ erlebt werden. Erich Fromm schrieb in diesem Zusammenhang von der «Furcht vor der Freiheit». Wen ständig Status- und Existenzängste plagen oder wer diese Freiheit gar nicht will, wird kaum glücklich oder langfristig produktiv. Das Gefühl, den Anforderungen gerecht werden zu müssen, führt zu einer Aufweichung zwischen Privatem und Geschäftlichem und endet nicht selten in einer psychischen Überforderung. Unternehmen dürfen die Verantwortung deshalb nicht so weit von sich weisen und Mitarbeitende in die Selbstausbeutung treiben.