Es herrscht konzentrierte Stille in der Kreativwerkstätte des WTL. Sechs Köpfe beugen sich über ihre Textilarbeiten und lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen und auch nicht durch die spektakuläre Aussicht auf die Glarner Berge ablenken. Hin und wieder durchbricht das Surren einer Nähmaschine die geschäftige Stille. Im Hintergrund plätschert die Musik eines Lokalsenders. Männer und Frauen jeden Alters arbeiten Tisch an Tisch zusammen. Im Werkbereich sind unterschiedlichste Materialien in transparenten Plastikkisten nach Farbe getrennt in den Wandgestellen verstaut. Beim Verkaufstresen türmen sich die fertigen Produkte: Taschen, Etuis, Stofftiere und Weihnachtskarten.
Sabrina Sottocorna ist ein Mensch, der viel und gerne Leistung erbringt und ungeduldig wird, wenn sie etwas daran hindert: «Einfach ohne Vorgaben etwas machen, hat mich anfänglich schon etwas überfordert», sagt Sabrina Sottocorna, die im «wirklichen Leben» bei der Swisscom ein Team mit 17 Mitgliedern führt. «Gleichzeitig habe ich mich gefragt, wie es wohl den Menschen geht, die psychische Schwierigkeiten haben, wenn bereits mich der offene Auftrag so viel Überwindung kostet.» Weil es am einfachsten schien, habe sie sich für die Produktion von Weihnachtskarten entschieden, erklärt sie und zeigt auf eine Serie von Karten, an denen man ihre zunehmende Experimentierfreudigkeit aber auch Expertise ablesen kann.
Trotz ihrer Fortschritte hatte sie nach einem Tag Bedenken: «Ich wollte etwas Konstruktives machen und produktiv sein – so wie ich das von meinem Beruf her kenne. Vor meinem inneren Auge habe ich mir vorgestellt, dass ich nun die ganze Woche Weihnachtskärtli produziere, was mich sehr frustrierte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich Taschen und Etuis herstellen könnte. Das schien mir einfach zu komplex.» Kurzum: Eine andere Aufgabe war gefragt. Am zweiten Tag stand deshalb eine Stippvisite in der Montageabteilung auf dem Programm. Dort wurden gerade Bienenhäuschen gezimmert. Den ganzen Tag Rohre in einem Gehäuse anbringen? Nicht wirklich eine attraktive Alternative. Also zurück in die Kreativwerkstatt.
... zum Praxistransfer
«Erst bei einem Gespräch mit Abteilungsleiterin Sibylle Baumann fand ich heraus, welches Lernpotenzial im offen formulierten Auftrag steckt.» Da habe sie gelernt, dass man um Hilfe bitten und diese auch annehmen können müsse, sagt sie etwas nachdenklich. Endgültig sei das Eis aber erst gebrochen, als eine andere Teilnehmerin ihr gezeigt habe, wie man Etuis und Handtaschen herstellt. «Von allein hätte ich nicht gefragt. Ich wollte mit meinen Fragen ja keine negative Gedankenspirale auslösen.»
Apropos Learnings: Mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und ihre Talente zu nutzen, das wünscht sich Sabrina Sottocorna auch für ihre Mitarbeitenden: «Ich möchte meine Mitarbeitenden stärker dort einsetzen, wo sie wirklich gut sind. Meist kennen diese ihre Talente zu wenig gut und es bereitet ihnen erstaunlich grosse Mühe, im Zielvereinbarungsgespräch ihre Stärken zu nennen. Eher zählen sie viele Schwächen auf. Mir liegt jedoch daran, das Positive hervorzuheben, denn dort, wo sie ihre Stärken haben, sind sie auch gut. Davon profitiert das ganze Unternehmen.»
Im WTL sind die Menschen nicht immer gewillt, mitzumachen. So bleiben manche der Programmteilnehmer von heute auf morgen ganz einfach der Arbeit fern. So auch in der Kreativwerkstätte. Da gelte es manchmal auch, Tacheles zu reden und Konsequenzen aufzuzeigen, sagt die Leiterin. Das hat sich auch Sabrina Sottocorna für ihren Berufsalltag vorgenommen: «Ich führe ein grosses Team an drei verschiedenen Standorten in Luzern, Weinfelden und Zürich. Da bekomme ich nicht immer alles direkt mit. Wenn sich aber Probleme zeigen, möchte ich diese künftig direkter ansprechen und die Mitarbeitenden auch damit konfrontieren, damit sie aus ihrem Fehlverhalten lernen, ihre Stärken entdecken und sich weiterentwickeln können.»
Während sie spricht, merkt man ihr an, dass ihr noch etwas ganz anderes unter den Nägeln brennt: nämlich ihr letztes Projekt zu Ende zu bringen. «Es hat mich nun mal gepackt», sagt sie lachend und deutet auf die stattlich angewachsene Etui-Kollektion an ihrem Arbeitsplatz. «Ich möchte mein dunkelblaues Etui unbedingt noch fertig machen», erklärt sie und setzt sich zwischen zwei Fotoaufnahmen wieder an die Nähmaschine, um ihr Projekt fertigzustellen.
Interview
Petra Ewald, Leiterin Talentmanagement, Swisscom, über die Beweggründe am Seitenwechsel-Programm teilzunehmen.
Frau Ewald, weshalb arbeiten Sie mit dem Seitenwechsel zusammen?
Petra Ewald: Wir schätzen die Professionalität dieser Organisation und des Konzepts, das sich schon seit zwanzig Jahren bewährt hat. Wir von Swisscom sind seit 2003 beim Seitenwechsel dabei. Überzeugt haben uns die Argumente, wie die Führungskräfte ihre Erlebnisse konkret im Führungsalltag einbetten können.
Wem steht der Seitenwechsel offen?
Grundsätzlich handelt es sich um ein Angebot für Führungskräfte aller Stufen, das als Entwicklungsmassnahme mit einer konkreten Zielsetzung in Absprache mit den zuständigen Personen absolviert werden kann. Dieses Jahr verzeichnete das Seitenwechsel-Programm bei uns bereits 24 Teilnehmer, etwa dreimal so viel wie in den vergangenen Jahren, weil wir dieses Angebot aktiver beworben haben, aber auch, weil intern über den Seitenwechsel gesprochen wird.
Was sind die Vorteile für die Swisscom?
Grundsätzlich geht es darum, die Führungskräfte in einen für sie fremden Kontext zu versetzen, damit sie ihre Werte hinterfragen und sich persönlich weiterentwickeln. So müssen sie in einem völlig ungewohnten Umfeld Sozialkompetenz und Leadership-Fähigkeiten beweisen, Unvertrautes zulassen und ihre eigenen Grenzen kennenlernen.
Was sind Ihre Erfahrungen betreffend Transfer in die Praxis?
Wie die Führungskräfte den Transfer des Erlebten in ihren Berufsalltag machen, liegt in ihrer Verantwortung und jener ihres Vorgesetzten. Neben dem Abschlussworkshop des Seitenwechsels, in welchem die gemachten Erfahrungen von den Teilnehmenden nochmals reflektiert werden, wäre künftig auch eine Art Alumni-Netzwerk denkbar, in dem sich Ehemalige austauschen oder als «Ambassadoren» das Programm neuen Führungskräften vorstellen können.