Von der HR-Front ins Altersheim
Cornelia Wörle (47), langjährige Personalverantwortliche beim Sozialdepartement der Stadt Winterthur, hat sich vor drei Jahren für einen Quereinstieg in die Pflegebranche entschieden – und es nicht bereut. 2015 wird sie ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau HF abschliessen.
Cornelia Wörle
Nach 16 Jahren Personalwesen wurde mir das HR-Leben zu einseitig. Neben der Rekrutierung neuer Mitarbeitender ging es oft nur noch darum, Ressourcen einzusparen. Die damit verbundenen Probleme wie Kündigungen auszusprechen, Frühinvalidisierungen in die Wege zu leiten und Frühpensionierungen durchzuführen nahmen überhand. Ich hatte immer mehr das Gefühl, dass es nicht mehr um Vermittlung zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten oder der Organisation ging, sondern eher um das «Scherben zusammenkehren». Da ich mich gerne für Menschen einsetze, kam für mich zudem der beratende Teil zu kurz. Logisch, dass Rentabilität und Gewinnoptimierung heutzutage sehr wichtig sind – für mich ist aber der Mensch noch wichtiger. Ich hatte das Gefühl, dass ich meinen Ansprüchen so nicht mehr gerecht werden konnte.
Von der Kaderfrau zum «Stift»
Mir wurde auch klar, dass betriebswirtschaftliche und juristische Spezialkenntnisse immer wichtiger wurden, um längerfristig auf meiner Position bestehen zu können. Da ich beides nicht studiert habe – und dies auch nicht nachholen wollte–, habe ich mich in anderen Berufsfeldern umgeschaut. Ich habe nach einer Aufgabe gesucht, die mich den Menschen wieder näher bringt und wo es nicht nur um Statistiken und Zahlen geht. Ich wollte einen Beruf ausüben, der abwechslungsreich, verantwortungsvoll, zudem aber auch beziehungsgestaltend ist – und wo es auf mich als Person ankommt. Das habe ich im Bereich der Langzeitpflege, als Pflegefachfrau, gefunden.
Bei meinem Quereinstieg in die Pflege hatte ich einige Herausforderungen zu meistern. So waren sowohl Anatomie, die vielen Krankheitsbilder und auch die pflegerischen Grundlagen für mich Neuland. Gegenüber anderen, die bereits eine Ausbildung als Fachangestellte Gesundheit absolviert hatten, musste ich mich deshalb schulisch und auch bei den praktischen Erfahrungen mehr engagieren. Auch rasch wechselnde Patienten und Faktoren wie Organisationsgrösse und Aufgabengebiet galt es erst einmal zu «verarbeiten». Im Pflegeheim konnte ich relativ rasch in die Grundpflege eingeführt werden und mitarbeiten. Im Spital benötigte ich aber von Beginn an umfangreiche Betreuung, musste lernen, rechtzeitig Unterstützung einzufordern und das auch immer wieder klar zu signalisieren.
Es war für mich schon ungewohnt, von einer Kaderstelle wieder in die «Studierenden-Rolle» zu schlüpfen. Während meines Praktikums in einem Akutspital kam ich mir oft wie «der Stift» vor. Denn aufgrund meines Alters glaubten die Ausbildner oft, dass ich dieses und jenes schon könne. Mit einer grossen Portion Offenheit, Mut, Lernbereitschaft, Humor und der Bereitschaft, sich von jungen Menschen anleiten zu lassen, können aber viele Hürden überwunden werden.
HR-Kompetenzen von grossem Nutzen
Anfangs fehlendes Fachwissen konnte ich mit Disziplin und dem Wissen, worauf ich mich einlasse, kompensieren. Es hat mir sehr geholfen, dass ich fünf Jahre in der HR-Erwachsenenbildung als Lehrperson tätig war. So spürte ich rasch, was wichtig zu lernen und wo der «Mut zur Lücke» möglich war. Durch meine Vorbildung bereiteten mir auch die Anamnese-Gespräche keine grossen Probleme. Das Wissen, es auch in einem anderen Beruf «geschafft» zu haben, hilft sicher, die nötige Ruhe zu bewahren, wenn etwas einmal nicht sofort klappt.
Diverse HR-Kompetenzen sind mir auch heute noch von grossem Nutzen. Sei es die Fach-, Methoden- und Führungskompetenz, der wertschätzende Umgang mit Menschen, aber auch eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit. Wie im HR braucht es auch in der Pflege Empathie und Abgrenzung sowie korrektes und genaues Arbeiten. Auch Nachfragen und Beobachten, die interdisziplinäre Zusammenarbeit, gutes Zeitmanagement sowie ethische Aspekte sind in beiden Bereichen wichtig. Als ehemalige Personalverantwortliche kann ich mir jeweils rasch einen guten Überblick verschaffen, indem ich versuche, mich in die verschiedenen Perspektiven von Pflegenden, Vorgesetzten und anderen Bereichen wie Technischer Dienst, Reinigung und Küche hineinzuversetzen.
Herausfordernd, aber bereichernd
Ich habe meinen Hafen gefunden. Die abwechslungsreiche Tätigkeit, die durch die verschiedenen Menschen und ihre Herausforderungen entsteht, macht ganz einfach grossen Spass. Manchmal wünsche ich mir schon, dass wir mehr Zeit für Pflege und Betreuung zur Verfügung hätten. Und die Momente des «Loslassens», wenn jemand stirbt, beschäftigen mich natürlich. Auch wenn es oft eine Erlösung ist, geht es doch um ein bewusstes Verabschieden von einem Menschen. Dafür ist es immer wieder von neuem bereichernd, wenn mir Bewohner ein Lächeln schenken oder sich bei mir für meinen Einsatz und eine qualitativ gute Betreuung bedanken.
Zur Person
Cornelia Wörle (47) startete ihre HR-Laufbahn 1996 in der Maschinenindustrie. 2002 wechselte die gebürtige Deutsche ins HR der Stadt Winterthur, wo sie ab 2006 im Bereich «Alter und Pflege» als Personalverantwortliche tätig war. 2011 wendet sie sich vom HR ab und wagt als Pflegepraktikantin in einem Alterszentrum den Quereinstieg. Wörle lebt mit ihrem Partner in Winterthur.