Von der Kraft «innerer Bilder»
Wie gelingt es Führungskräften, Mitarbeiter über sich hinauswachsen zu lassen und damit den wirtschaftlichen Erfolg zu steigern? Sebastian Purps-Pardigol hat basierend auf 150 Interviews mit CEOs und Personalchefs sieben Erfolgsmuster herausgearbeitet. Dabei verknüpfte er Erkenntnisse aus Hirnforschung, Psychologie und Verhaltensökonomie.
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Das grosse Vertrauen des Chefs hat unser Selbstvertrauen wachsen lassen», erzählte mir die Lernende Lisa Timeus des Arzneimittel- und Kosmetikherstellers Weleda aus Arlesheim. Die Geschäftsführung hatte dem Nachwuchs den Vorschlag genehmigt, eine eigene Juniorfirma zu gründen.
Sie entwickelten daraufhin ein eigenes Produkt, verkauften den gesamten Bestand – und verbesserten quasi nebenbei die Geschäftsbeziehung zu einem der wichtigsten Handelspartner. «Ich habe in der Vergangenheit festgestellt, dass Mitarbeitende zu ungeheuren Leistungen fähig sind, wenn man ihnen vertraut und passende Freiräume lässt», erklärte mir CEO Ralph Heinisch seine damalige Entscheidung.
Einige der Erfolgsmuster, die ich in meinem Buch «Führen mit Hirn» beschreibe, lassen sich unter dem Oberbegriff «innere Bilder» zusammenfassen. Den von mir interviewten Chefs und Personalverantwortlichen war es demnach gelungen, die inneren Bilder der Mitarbeiter auf eine positive Art zu verändern. Das geschah auf mehreren Ebenen.
Gute Chefs sind Vorbilder
Man weiss aus der modernen Hirnforschung, dass das menschliche Gehirn durch sogenannte Neuroplastizität selbst in hohem Alter noch neue Strukturen bilden kann. Menschen können also ein Leben lang neue Gedanken, neue Verhaltensweisen und Fähigkeiten entwickeln. Neuroplastizität wird im Gehirn eines Mitarbeiters jedoch nicht durch Dienstanweisung und Zwang möglich, sondern eher durch Einladung, Ermutigung und Inspiration. Denken Sie mal an Ihr Unternehmen: Wie viele Reorganisationen, Change-Projekte oder neue Initiativen gibt es bei Ihnen pro Jahr? Und wie gross ist die Bereitschaft zu weiteren Veränderungen?
Dass Anweisungen aus der Führungsebene noch lange keine Veränderung im Unternehmen mit sich bringen, erlebte Geschäftsführer Bodo Janssen der friesischen Hotelkette Upstalsboom vor einigen Jahren. Kurz nach Beginn seiner Amtszeit initiierte Janssens neuer Personalchef Bernd Gaukler eine Mitarbeiterumfrage. Das Ergebnis fiel desaströs aus. «Es war wie ein Schlag ins Kontor», erinnert sich Janssen. Er wollte etwas verändern – doch wie? «Nur weil Herr Janssen als neuer Chef alles anders machen will, lasse ich mich doch nicht sofort darauf ein», erzählte mir eine leitende Mitarbeiterin.
Janssen entschied, bei sich selbst anzufangen. Er zog sich mehrmals in ein Kloster zurück, setzte sich regelmässig neue Verhaltensziele und arbeitete an seiner Persönlichkeit. «Wir beobachteten, dass Herr Janssen nicht nur redet, sondern es auch so meint», erzählte mir eine Mitarbeiterin aus der Zentrale. Eine Kollegin aus einem seiner Hotels ergänzte: «Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Bodo Janssen wirklich ernsthaft einen neuen Weg einschlägt. Das fällt jedem von uns auf. Deshalb vertrauen wir ihm auch so.» Personalchef Gaukler erklärt: «Als Führungskraft muss man sich bewusst werden, dass man dafür da ist, Menschen zu führen. Das ist kein Privileg, sondern eine Dienstleistung.» In den sechs Jahren, seit Gaukler den HR-Bereich verantwortet, hat sich der Umsatz verdoppelt, die Gewinnmarge ist um 40 Prozent gestiegen, die Krankentage sind um 80 Prozent gesunken und die Bewerberzahlen haben sich verfünffacht.
Ähnliche Ergebnisse konnte ich in vielen Firmen mit aussergewöhnlich erfolgreichen Unternehmenskulturen beobachten, die ich untersuchte. In den fünf Jahren meiner Forschung fiel mir oft eine menschenzugewandte, innere Haltung der HR- und Führungsebenen auf. Sie verhalf den Unternehmen letztlich zu mehr wirtschaftlichem Erfolg.
«Wir haben 84 Jahre gebraucht, um einen Jahresumsatz von einer Milliarde Euro zu erreichen», erzählte mir beispielsweise Prof. Gunther Olesch, Geschäftsführer für Personal des Automatisierungsherstellers Phoenix Contact. Nachdem das Unternehmen das Wohlergehen der 12 000 Mitarbeitenden in den Fokus der Firmenstrategie gestellt hatte, erhöhte sich der Umsatz in nur fünf Jahren um 600 Millionen Euro. Und welche Lehren ziehen wir daraus?
Lektion 1: Authentizität fördern
Als Personalerantwortliche(r) wäre es günstig, bei Neurekrutierungen und internen Beförderungen darauf zu achten, wie veränderungswillig, wie sehr bereit zu eigenem Wachstum die möglichen Kandidaten sind. Oftmals sind es gerade Menschen, die persönlich oder beruflich herausfordernde Phasen gemeistert haben und dadurch die Referenzerfahrung von Veränderung bereits in sich tragen. Diese Qualität verleiht Führungskräften eine authentische Vorbildfunktion.
Gute Chefs glauben an Mitarbeiter
Das Muster der Weleda mit der erfolgreichen Juniorfirma ist nicht unbekannt: In einem Experiment untersuchten Wissenschaftler, welchen Einfluss der Glaube eines Lehrers an seine Schüler hat. Mit Intelligenztests massen sie den Status quo jedes Schülers. Sie wählten zufällig 20 Prozent der Schüler aus und behaupteten gegenüber dem Lehrer: «Diese Schüler sind besonders begabt.» Der Glaube des Lehrers an das geistige Potenzial der Auserwählten liess diese tatsächlich über sich hinauswachsen: Bereits nach einem Jahr erzielten sie signifikant bessere Ergebnisse bei den Intelligenztests als ihre Mitschüler.
Ähnlich erging es den Mitarbeitern des österreichischen Sondermaschinenherstellers Hammerschmid: «Der Glaube unseres Chefs an uns beeinflusste uns so sehr, dass wir selbst irgendwann einen festen Glauben an uns und unsere Fähigkeiten entwickelten.» Firmenchef Hammerschmid ergänzt: «Ich glaube, dass es sich für jedes Unternehmen mehrfach auszahlt, wenn man die Entwicklung der Menschen in den Mittelpunkt stellt.» Seine Belegschaft konstruierte ein Elektromotorrad, das in vielen Aspekten namhaften Produkten technisch überlegen ist – und das zu einem Bruchteil der marktüblichen Entwicklungskosten.
Lektion 2: Mitarbeiter wachsen lassen
Als Personalerantwortliche(r) wäre es günstig, Führungskräfte zu fördern, die es schätzen, wenn Mitarbeiter kompetenter sind als sie selbst. Das lässt sich auf zwei Ebenen unterstützen: Erstens könnten Sie durch Personalentwicklungsmassnahmen die Entwicklung der Führungskraft fördern, damit diese die innere Haltung erwirbt, die eigenen Mitarbeiter über sich (selbst) hinaus wachsen zu lassen. Zweitens könnten Sie mit Organisationsentwicklungsmassnahmen die Rahmenbedingungen und die Kultur des Unternehmens beeinflussen, damit «Glaube und Vertrauen in die eigene Mannschaft» zu einem authentisch gelebten Wert der Firma wird.
Gute Chefs vermitteln Sinn
Die Biobäckerei Märkisches Landbrot aus Berlin hat es leicht: Das Unternehmen ist für seine höchsten ökologischen und sozialen Standards bekannt, von denen sowohl Mitarbeiter als auch Geschäftspartner profitieren. Einem bankrotten Müller überwies Märkisches Landbrot Geld, damit er seine Schulden zurückzahlen konnte. Danach stellte das Unternehmen den Mann ein. Verkaufsleiterin Sabine Jansen erzählt mir begeistert: «Ich verkaufe nicht nur unser Brot, sondern den Geist des Unternehmens». Dem Biobäcker geht es inzwischen so gut, dass er schriftlich verfügt hat, dass sein Gewinn eine bestimmte Grenze nicht überschreiten darf – eher werden die Löhne erhöht.
Doch wie entsteht Sinnhaftigkeit in der Belegschaft eines «normalen» Unternehmens? Die Erkenntnis, dass das durch Wertschätzung gelingt, mag nicht überraschen – die Deutlichkeit, mit der sich das auf die Motivation der Mitarbeiter auswirkt, hingegen schon: In einer Studie wurde einer Testgruppe ein hohes Mass an Anerkennung und Beachtung für das Ergebnis der eigenen Arbeit geschenkt – die Arbeitsergebnisse der Kontrollgruppe wurden hingegen ignoriert. Das Resultat könnte klarer nicht sein: Die Mitarbeiter, die durch Anerkennung und Wertschätzung einen Sinn in ihrer Arbeit sahen, zeigten eine dreimal höhere Leistungsbereitschaft!
Lektion 3: Sinnhaftigkeit fördern
Als Personalerantwortliche(r) sollten Sie aktiv die Feedbackkultur in Ihrem Unternehmen vorantreiben. Dadurch verbessert sich nicht nur die Beziehungsqualität, sondern Anerkennung und Wertschätzung werden zunehmend die Beziehung zwischen Chef und Mitarbeitern prägen – die subjektiv erlebte Sinnhaftigkeit, die eigenen positiven inneren Bilder und die Arbeitsergebnisse verbessern sich.
Buchtipp
Wie gelingt es Unternehmen, Mitarbeiter begeistert über sich hinauswachsen zu lassen und damit wirtschaftlich sehr erfolgreich zu sein? Sebastian Purps-Pardigol hat anhand diverser Firmen-beispiele sieben Erfolgsmuster herausgearbeitet – unter anderem das eines Betriebs, der Glück zur Firmenstrategie machte und damit den Umsatz verdoppelte. Dabei verknüpfte er Erkenntnisse aus Hirnforschung, Psychologie und Verhaltensökonomie mit dem praktischen Wissen aus mehr als 150 tiefgreifenden Interviews.
Sebastian Purps-Pardigol: Führen mit Hirn – Mitarbeiter begeistern und Unternehmenserfolg steigern, Campus, 2015.