«Warum seid ihr hier?»
Wie lassen sich Leadership-Transformationsprojekte in der Praxis umsetzen? Das Change-Management-Team der Swisscom-Tochter IT Services hat in nur drei Monaten ein unkonventionelles Leadership-Programm für 800 Fach- und Führungskader konzipiert. Mit Erfolg: Nun wird es auf 1600 Führungskräfte ausgedehnt. Ein Blick hinter die Kulissen.
«Co-Creation» erwies sich als Erfolgsrezept für das «iT Leadership»-Transformations projekt der Swisscom. (Illustration: Thinkstock)
Mit dem Amtsantritt von Andreas König als neuem CEO der Swisscom-Tochter IT Services im Herbst 2012 begann für die Organisation mit ihren rund 3000 Mitarbeitenden ein grundlegender Veränderungsprozess. «Jeder und jede soll unabhängig von der Position ein Leader sein», lautete die verstärkte Botschaft. Die damit einhergehende Selbstverständlichkeit, strategische Zusammenarbeit organisations- und unternehmensübergreifend anzugehen und einzufordern, stellte Mitarbeitende und insbesondere Führungsverantwortliche vor neue Herausforderungen. Ebenso die Art und Weise, grosse Ziele gemeinsam zu setzen und zu formulieren, aber den Weg zu diesen Zielen nicht vorzugeben. Diese Richtungsänderung wurden zwar gefühlmässig verstanden und mehrheitlich freudig aufgenommen. Doch mehr und mehr stellte sich heraus, dass es noch an Praxis mangelte, sich in diesen neuen «grösseren» Schuhen wirksam und souverän zu bewegen.
Der Auftrag: Think big!
Im Juni 2013 kam zum Auftrag an das interne Change-Management-Team: Wir brauchen ein Leadership-Transformationsprogramm. Start in drei Monaten. Alle 800 Fach- und Führungskader sollen daran teilnehmen. Ziel: der Aufbau eines gemeinsamen Leadership-Verständnisses auf den Grundthemen Eigenverantwortung, Offenheit und aktive Verbundenheit (engl. Connectedness).
Die kurze Planungs- und Konzeptionszeit sowie die Gestaltungsfreiheit in der Umsetzung stellten sich in der Folge als zwei massgebende Faktoren heraus. Der sportliche Auftrag verlangte vom Team schnelle und direkte Entscheidungen zu fällen, um die Grundlagen des Programms festzulegen. Durch die Freiheit der knappen Auftragsformulierung waren wir auf uns zurückgeworfen mit der Frage, was uns wirklich wichtig ist und woraus wir selber unsere Inspiration für unsere Aufgaben schöpfen. Die Erkenntnisse aus diesen initialen, offenen Diskussionen förderten die Lust, gemeinsam etwas zu wagen. Innerhalb von zwei Wochen hatten folgende Grundpfeiler Gestalt angenommen:
- Wir möchten die hohe Dynamik von Grossgruppen nutzen.
- Wir wollen das Risiko eingehen, inhaltlich auf Konvergenz zu setzen. Nicht primär erprobte Manager- und LeadershipKonzepte, sondern neueste, sich verstärkende Erkenntnisse aus unterschiedlichsten Bereichen sollten im Programm Platz erhalten.
- Der Durchführungsort soll kein typischer Rückzugsort sein, sondern ein urbaner, weltoffener Treffpunkt. Von allen Seiten gut erreichbar und mit Symbolkraft für die Kernbotschaften.
- Wir müssen gar nicht erst versuchen, das Ding alleine zu schaukeln, die «Kiste» ist zu gross.
Das Prinzip der «Co-Creation»
Nachdem die Fahrtrichtung klar war, wurden rund ein Dutzend Personen, interne wie externe Kollegen sowie künftige Teilnehmende des Programms, eingeladen, das Grundkonzept in einer moderierten «Spinnersitzung» auf Herz und Nieren zu prüfen. Alles war offen, alles war möglich. Die Erkenntnisse, die aus diesem nur halbtägigen Meeting hervorgegangen sind, waren äusserst ergiebig, haben den Rahmen gefestigt und Hinweise auf Methodenwahl und künftiges Trainingsdesign geliefert. Natürlich konnten damit auch wertvolle Verbündete und künftige Botschafter mit ins Boot geholt werden.
Das Experiment der gegenseitigen Inspiration unterschiedlicher Ansprechgruppen haben wir in der Folge konsequent angewendet. Sei es für das Design der einzelnen Workshops, beim Engagement interner und externer Coaches, wie auch bei der Verpflichtung der Gastreferenten. Als gemeinsame Basis stand im Vordergrund, sich mit dem jeweilig unterschiedlichen Wissen auf das gemeinsame Abenteuer der «Co-Creation» einzulassen. Dabei waren immer auch künftige Programmteilnehmende involviert, um das Neue gemeinsam und massgeschneidert zu kreieren.
Dynamisches Programmdesign
Seit Oktober 2013 nun wird das jeweils zweitägige Programm im KKL Luzern durchgeführt. Über 80 Fach- und Führungskräfte nehmen pro Durchführung teil. Sie arbeiten abwechslungsweise in Grossgruppen, 1:1- Situationen und in eigenständigen, vor Ort gebildeten Teams. Parallel laufende Labs mit hoher Dynamik und Interaktion wechseln sich ab mit geführten Plenumssessionen. Die externe Programmmoderatorin bringt einen Hintergrund als Dirigentin und Musikerin mit. Bei jeder Durchführung kommt ein anderer Gastreferent zu Wort. Die Präsentationen werden gefilmt und der ganzen Organisation zur Verfügung gestellt. Eine virtuelle Vernetzungsplattform verstärkt den Informationsaustausch über die Durchführungen hinaus. Als zentrales Element hat sich auch die jeweils persönliche Begrüssung durch den CEO bewährt. Ebenso das aktive Einbinden von Vertretern des Senior Managements in unterschiedliche Gefässe der Veranstaltung.
Positives Echo
Was bleibt bei den Teilnehmenden hängen? Ein paar ausgewählte Stimmen dazu:
- «Das Programm hat in mir Energie geweckt und Vertrauen geschaffen, denn es geht in die richtige Richtung, den Wandel als kontinuierlichen und partizipativen Prozess zu begreifen.»
- «Super spannender Input auf verschiedensten Ebenen sowie die Betonung auf partnerschaftliches Leadership anstelle von Führung.»
- «Starke Erfahrung im Bereich Vergangenheitsbewältigung versus Zukunftsbild.»
- «Fantastische Networking-Möglichkeit über die ganze Gruppengesellschaft. Grossartige Key Notes.»
- «Zum ersten Mal wird einem nicht gesagt, was man zu tun hat.»
Die systematische Erhebung der Rückmeldungen hat ergeben: Über 80 Prozent der Teilnehmenden empfehlen das Programm ihren Kollegen und Kolleginnen mit Begeisterung weiter. Aber noch wichtiger: Zurück im Unternehmen schieben die Teilnehmenden beflügelt von einem neuen Leadership-Selbstverständnis erste Initiativen an. Eigenständig weiterentwickelte Projekte, die sie bereits als erste Ideenskizzen am «iT Leadership» in Luzern in sogenannten «Fast-Prototyping Workshops» erarbeitet und sich gegenseitig präsentiert hatten.
Die Herausforderungen
Eine der Fragen, die uns als Programmgestalterinnen und Trainer seit Beginn im Atem halten, ist die Frage der Eigenverantwortung: Wie lässt sich diese trainieren? Ein wichtiger Teil der Aufgabe besteht darin, Settings zu designen, die den Teilnehmenden die Erfahrung ermöglichen, sich sowohl der Prozesse als auch der eigenen Haltung bewusst zu werden, die zu den angepeilten Ergebnissen geführt haben, um sie dann bei nächster Gelegenheit bestenfalls wiederholen zu können. Eine zentrale Voraussetzung für die Nachhaltigkeit des Programms.
Für uns als Begleitpersonen besteht eine besondere Herausforderung darin, vor, während und nach dem Programm wach zu bleiben. Nur zu schnell überkommt einen (auch als Fachperson) der gutgemeinte Impuls, helfend eingreifen zu wollen und Lösungen vorwegzunehmen, wenn die Teams und einzelnen Führungskräfte an Hürden und eigene, gewohnheitsbedingte Grenzen stossen.
Und noch eine weitere herausfordernde Besonderheit der Eigenverantwortung: Sie lässt sich nicht delegieren. So ist denn auch die Eröffnungsfrage durchaus programmatisch zu verstehen, die Dave Gray – einer der inspirierenden Gastreferenten – zu Beginn seines Auftritts im KKL an die versammelten Leader richtete. Die einfache Frage: «Warum seid ihr hier?»
«Interaktion ist der Schlüssel»
Was bedeutet für Sie persönlich Leadership?
Andrea Bacca*:Für mich ist Leadership die Fähigkeit, Menschen mit auf einen Weg zu nehmen, und Interaktion ist der Schlüssel zu dieser Fähigkeit.
Welchen Ansatz verfolgen Sie?
Zukunftsfähiges Leadership muss unserer Erfahrung nach umfassender gedacht und auch unabhängig von Managementpositionen gelebt werden können.
Warum investiert die Swisscom in das Thema Leadership?
Wir setzen auf eine starke und unverwechselbare Führungskultur. Insbesondere in Transformationsphasen ist die Investition in die Führungsqualitäten einer der wesentlichsten Treiber zum nachhaltigen Erfolg.
- *Andrea Bacca ist Head HR Enterprise Customers bei der Swisscom.