Was KMU von Start-ups lernen können
Um dem latent aktuellen Fachkräftemangel proaktiv zu begegnen, müssen sich insbesondere KMU wappnen. Als Inspirationsquelle dienen Start-ups. Ein Artikel über kurze Kommunikationswege, gelebte Unternehmenskultur und Sinnhaftigkeit.
Was KMU von Start-ups lernen können. (Bild: iStock)
Es wurde bereits einiges über die Corona-Pandemie als Zäsur in der Arbeitswelt geschrieben. Doch was die Pandemie so einzigartig macht, ist die Tatsache, dass sie die Karten nicht nur neu gemischt, sondern den gesamten Kartentisch in die Luft katapultiert hat. Neben viel Unsicherheit birgt die Lage auch grosses Potenzial für Veränderung.
Der eidgenössische Arbeitsmarkt in der Krise
Ganz ähnlich dem globalen Trend führten die Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in der Schweiz zu einer deutlichen Kontraktion der Wirtschaft, so brach das BIP im zweiten Quartal 2020 um 7,2 Prozent ein. Parallel dazu stieg die Zahl der Erwerbslosen und der Menschen in Kurzarbeit. Der Höchststand bei den Erwerbslosen betrug laut der Arbeitslosenstatistik des Staatssekretariats für Wirtschaft über 169’000 im Januar 2021. Doch bereits bis im dritten Quartal 2020 stabilisierte sich das BIP wieder (+7,3 Prozent) und wuchs im 2. Quartal 2021 sogar wieder um 1,8 Prozent. Parallel dazu ging die Erwerbslosenquote bis Juli 2021 auf 2,8 Prozent zurück.
Besonders interessant ist der seit Jahren diskutierte Fachkräftemangel, der unter anderem vom Fachkräftemangel-Index Schweiz erfasst wird. 2020 ging dieser seit 2016 erstmals zurück – um ganze 17 Prozent. Dabei blieb in den Top 5 Berufsgruppen Ingenieurwesen, Technik, Treuhand, Informatik sowie Humanmedizin und Pharmazie die Nachfrage über dem Angebot. Doch die Beschäftigungsstatistik, die regelmässig Daten zu Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von gelernten Arbeitskräften erhebt, belegt für den entsprechenden Indikator einen Anstieg von 28,1 Prozent im 1. Quartal 2020 auf 31,5 Prozent im 2. Quartal 2021. Der Fachkräftemangel verschärft sich also eher. Nimmt man zu diesen Zahlen noch die erhellenden Informationen aus einer aktuellen Forsa-Umfrage (Online-Umfrage in der deutschsprachigen Schweiz) dazu, so gaben 54 Prozent der Beschäftigten eine grundsätzliche Wechselbereitschaft an. Zum Vergleich: 2019 signalisierten in einer Vorgängerumfrage nur 39 Prozent ihren Wechselwillen. Aus einer Studie der FHNW aus dem Jahr 2019 zur Arbeitswelt 4.0 geht zudem hervor, dass Beschäftigte im Hinblick auf Gesundheit und Wohlbefinden die Themen Betriebsklima, Kommunikation und Mitsprachemöglichkeiten als besonders wichtig erachten. Schweizer Arbeitgebende sitzen also möglicherweise auf einer tickenden Zeitbombe, was ihre Personalplanung angeht.
Was Start-ups anders machen
Endlose Abstimmungsprozesse, festgefahrene Hierarchien, mangelnde Wertschätzung und eine schlecht funktionierende Kommunikation demotivieren Mitarbeitende. Dies gilt umso mehr, wenn hybrid gearbeitet wird. Start-ups denken, arbeiten und agieren ihrer Natur nach grundsätzlich anders. Im Folgenden einige Ratschläge für Mittelständler um den geschilderten Problemen zu begegnen:
- Gelingende Kommunikation ist entscheidend: In vielen KMU fliessen Informationen nicht dialogorientiert und transparent in die Belegschaft, sondern werden hierarchisch weitergegeben. Gerade bei Veränderungsprozessen fördert eine schlechte Informationslage Verunsicherung. Unternehmen müssen daher Raum zum Austausch schaffen und Veränderungsprozesse transparent kommunizieren. Start-ups beziehen ihre Mitarbeitenden in die Art und Weise, wie sie zukünftig arbeiten und sich weiterentwickeln möchten, stark ein. Das fördert die Identifikation mit dem Unternehmen.
- Tools und Kultur zusammenbringen: Gerade in grösseren Unternehmen gelingt die obengenannte Kommunikationskultur und Form der Zusammenarbeit nur mit der notwendigen technischen Grundlage. Doch ein Tool allein macht noch keine neue Arbeitskultur. Ansetzen kann man beispielsweise bereits bei der Personalgewinnung: Wird das Recruiting durch Teams betrieben und werden die Entscheidungen über neue Mitarbeitende gemeinsam getroffen, entsteht nicht nur ein gänzlich anderes Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern das gesamte Unternehmen wird auch für die Relevanz des Recruitings sensibilisiert. Solche neuen Prozesse können wiederum durch ein Tool unterstützt werden.
- Eine echte hybride Arbeitskultur schaffen: Der spontane Austausch ist beim virtuellen Arbeiten stark reduziert, was sowohl die Zusammenarbeit verändert als auch neue Herausforderungen für die Mitarbeiterführung darstellt. Deshalb müssen digitale Austauschformate verstetigt werden und das Thema der physischen und psychischen Gesundheit der Belegschaft stärker in den Fokus rücken. Ausgeruhte, resiliente und empathische Teams schaffen es auch in schwierigen Zeiten, sich gegenseitig zu motivieren und ohne den strengen Blick der Führungskraft an den gesetzten Zielen zu arbeiten.
Die Wende zur Sinn-Ökonomie
Viele Umfragen belegen, dass «Sinn» als Faktor in der Berufs- und Jobwahl immer wichtiger wird. Natürlich gibt es auch gegenteilige Belege, die Krisen als Auslöser für einen generationalen Sinneswandel in Richtung mehr ökonomische Sicherheit und höheres Gehalt identifizieren. Unter dem Strich kann man jedoch sagen, dass Sicherheit, Status und Gehalt nicht länger die einzigen entscheidenden Kriterien darstellen. Die Pandemie hat (zumindest in der westlichen Welt und hier auch sehr ungleich) vielen die Möglichkeit gegeben, darüber nachzudenken, ob der Job, den sie vor der Pandemie ausgeübt haben, weiterhin und unter den gleichen Bedingungen wie zuvor ausüben wollen. Start-ups verschreiben sich in der Regel stark dem Sinn-Gedanken, was nicht zuletzt zu ihrer Anziehungskraft auf Arbeitssuchende beiträgt.
Insgesamt glaube ich, dass eine Wende hin zu mehr empfundener Sinnhaftigkeit im Arbeitsleben, eine positive Entwicklung sein wird, der sich Unternehmen bewusst anschliessen sollten. Zusammen mit der Arbeit an einer transparenteren internen Kommunikation, der Verknüpfung von Kultur und Technologie und dem Ausbau einer hybriden Arbeitskultur, kann der Mittelstand nicht nur zu einem attraktiveren Arbeitgeber werden, sondern auch gesellschaftlich einen positiven Einfluss haben.