Was tun gegen die steigende Fluktuation?
Wie Micro Habits der Wertschätzung dabei helfen können, Mitarbeitende länger im Betrieb zu halten.
Wie bereits kleine Gesten der Wertschätzung dabei helfen, dass Mitarbeitende länger im Unternehmen bleiben. (Bild: iStock)
Mitarbeiterfluktuation ist ein wachsendes Phänomen: Laut einer Deloitte-Studie verdoppelte sich seit 2016 die Quote der Arbeitnehmenden, die ihrem Betrieb unverhofft den Rücken kehrten. Die Kosten: durchschnittlich 48‘000 Franken pro ungeplanten Wechsel. Eine Studie der Boston Consulting Group mit weltweit über 360‘000 Teilnehmenden zeigte 2018, dass Wertschätzung in der DACH-Region die wichtigste Anforderung an einen guten Arbeitsplatz ist. Sie bildet die Grundlage für offenen Austausch sowie ein starkes Miteinander und damit letztlich für jenen psychologischen Safe Space, den die Google-Aristoteles-Studie als die entscheidende Voraussetzung identifizierte, durch die sich durchschnittliche von Top-Teams unterscheiden.
Auch im Rahmen der Einführung von New Work und hinsichtlich der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um die jungen Generationen Y und Z zu gewinnen und zu binden, spielt Wertschätzung eine zentrale Rolle. Mangelnde Wertschätzung ist auch einer der meistgenannten Gründe, warum schliesslich die Reissleine gezogen wird. Mitarbeitende kommen zu Unternehmen, aber sie verlassen ihre Führungskräfte.
Menschliche Grundbedürfnisse
Die Theorie der Wertschätzung baut auf menschlichen Grundbedürfnissen auf und ist schnell verstanden: Respekt, Aufmerksamkeit und Anerkennung, Mitarbeitenden auf Augenhöhe begegnen, Entscheidungsfreiheiten lassen und Gestaltungsmöglichkeiten schaffen. Autonomie stärken, Kontrolle ab- und Vertrauen aufbauen. Wenn die Prinzipien verstanden sind, weiten sich jedoch regelmässig die Augen: Und was nun? Wie soll ich das denn in der Praxis tatsächlich umsetzen? Ähnlich wie bei anderen Versuchungen ist auch hier der Geist oftmals willig, kann sich aber im hektischen Alltag nicht gegen die Macht der Gewohnheit und eingeschliffene Routinen durchsetzen.
Was also tun, damit sich etwas ändert? Am effektivsten ist es oftmals, am kleinstmöglichen Hebel anzusetzen: konkrete, einzelne Verhaltensweisen in spezifischen Situationen. Wenn es gelingt, jene hinderlichen Micro Habits zu identifizieren und dann zu ändern, legen wir die Grundlage, damit sich neue Gewohnheiten auf neuronaler Ebene festigen und zu förderlicheren Verhaltensmustern reifen können. Aus der Verhaltensökonomik wissen wir um den enormen Einfluss des Umfelds auf unser eigenes Verhalten. Verschiedene Reize, situative Einflüsse, ungeschriebene Gesetze und individuelle Geschichten drücken verschiedene Hebel und begünstigen gewisse Verhaltensweisen. Jeder, der schon einmal aufs Gewicht achten wollte, dann aber vom Chef eingeladen wurde, ein Stückchen Kuchen zum Geburtstag mitzuessen, weiss, was gemeint ist.
Mangelnde Wertschätzung: Vorsatz oder Fahrlässigkeit?
Die Situationen, in denen wertschätzende Micro Habits zum Tragen kommen, schlüsseln sich in zwei Bereiche auf: aktive Geringschätzung und passive, unterlassene Wertschätzung. Erstere zeigt sich neben verbalen Herabsetzungen und Diskreditierungen zum Beispiel dann, wenn der Beitrag eines Mitarbeitenden, über den wir uns gerade geärgert haben, ignoriert oder übergangen wird. Auch beliebt: Das Verdrehen der Augen, wenn Bedenkenträger oder Störenfriede sich mit zeitraubenden Einwänden zu Wort melden. Subtiler aber ebenso kontraproduktiv wirkt in der gleichen Situation auch der kurz ausgetauschte Blickkontakt mit einem Vertrauten.
Kurz: Man kann nicht nicht kommunizieren (vgl. Paul Watzlawick) und auch wenn einige körpersprachliche Signale – beispielsweise verächtliche Mikroexpressionen – nur von geschulten Kommunikationspartnern bewusst erkannt werden, reagieren die emotionalen neuronalen Zentren aller anderer ebenfalls auf diese und beeinflussen deren Einstellung. In der Praxis zeigen sich dutzende dieser kleinen Signale und prägen das Verhältnis zu Mitarbeitenden und Kollegen, und damit die Kultur und das Arbeitsklima im Team.
Drei Schritte zur Etablierung förderlicher Gewohnheiten
Um diese Micro Habits zu ändern, müssen wir sie uns erst einmal ins Bewusstsein heben. In der Regel haben sich diese Gewohnheiten so etabliert, dass wir sie selbst nicht mehr bemerken. Im nächsten Schritt sollte dann reflektiert werden, wo in der eigenen Vergangenheit dieses Verhalten seinen Ursprung hatte: Irgendwann haben wir uns die heutigen Stolpersteine ja angewöhnt und das in der Regel nicht ohne Grund. Ist die Einsicht gewonnen, gilt es, die konkreten Situationen und gegebenenfalls typischen Gesprächspartner zu identifizieren, in und bei denen wir zu diesem Verhalten neigen. Nun kann die Achtsamkeit erhöht und die Grundlage gelegt werden, um zuvor vorbereitete Handlungsalternativen auszuprobieren und neue Gewohnheiten zu entwickeln.
Neben kommunizierter Geringschätzung bildet unterlassene Wertschätzung das zweite Feld, das Beziehungen belastet. Damit angemessene Anerkennung zeitnah erfolgt, können Hilfsmittel verwendet und Erinnerungsstützen eingerichtet werden – so gerät der gute Vorsatz nicht in Vergessenheit. Praxistauglich sind beispielsweise fünf Glasmurmeln oder grosse Münzen, die morgens in die linke Hosentasche gesteckt werden, mit dem Ziel, sie bis zum Abend in die rechte Hosentasche wandern zu lassen. Jedes Mal, wenn ein Mitarbeitender gelobt wird, wechselt eine der Murmeln die Tasche. Der Vorteil: Durch ihr Eigengewicht fungieren die Murmeln als «friendly reminder» für das Tagesziel.
Lob und Anerkennung stellt jedoch nur eine Vorstufe wirklicher Wertschätzung dar. Diese honoriert auch in Zeiten, in denen es einmal nicht so gut läuft, was Mitarbeitende, die gerade straucheln, in der Vergangenheit schon geleistet haben. Unser Gedächtnis ist hierbei leider keine grosse Hilfe. Wenn als tägliche Gewohnheit ein kleines Wertschätzungstagebuch geführt wird, in das positive Aktionen der Mitarbeitenden vermerkt werden, bildet das nicht nur eine gute Gedächtnisstütze für Krisenzeiten, sondern auch für die jährlichen Mitarbeitergespräche.