Wegen Personalmangel geschlossen
«Wegen Personalmangel: Polizei muss Posten schliessen» oder «Personalmangel zwingt Polizei in die Offensive». Waren solche Schlagzeilen vor wenigen Jahren kaum denkbar, grassiert die Personalknappheit schweizweit bei der Polizei. Woran es liegt, und was zu tun wäre.
Die Arbeit bei der Polizei ist unheimlich vielfältig: Doch die Bevölkerung kennt nur einen Bruchteil aller Polizeiberufe. (Bild: iStock)
Von regelrechten «Kündigungswellen» bei der Polizei zu sprechen, sei schon etwas übertrieben, sagt Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB). «Die Situation hat sich vielmehr schleichend abgezeichnet und nun zugespitzt, da die verschiedenen Polizeikorps nicht genügend neue Mitarbeitende finden.» Im Kanton St.Gallen sind aktuell 13 Polizeistellen bei rund 1000 Mitarbeitenden zu besetzen. Das klingt nach wenig, ist aber anspruchsvoll: «Wir befinden uns auf einem geschlossenen Stellenmarkt», sagt Hanspeter Krüsi, Leiter Kommunikation der Kantonspolizei St. Gallen. «Die Mehrheit der Polizisten und Polizistinnen arbeiten in Polizeikorps, von wo sie nicht abgeworben werden können. Ein kantonaler Stellenwechsel von einem zum anderen Polizeikorps ist nicht üblich.» Somit müsse die Polizei der Personalknappheit mit eigener zweijähriger Grundausbildung entgegenwirken. «Das erfordert eine gute Personalplanung.»
Bei der Kantonspolizei Bern scheint die Situation trotz 60 offener Stellen bei insgesamt 2700 Vollzeitstellen etwas entspannter zu sein. «Die Situation hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht wesentlich verändert und mit drei Prozent ist die Fluktuationsrate sehr niedrig», sagt Mediensprecherin Magdalena Rast. Auch bei der Luzerner Polizei wird gemäss Mediensprecher Urs Wigger die Situation genau beobachtet: «2021 betrug die Fluktuationsrate 2,4 Prozent, 2020 waren es 2,2 Prozent.» Vor der Pandemie sei sie mit 4 bis 5 Prozent wesentlich höher gelegen.
Fehlende Lohnperspektiven
Als Ursache der regionalen Personalknappheit wird häufig die Lohnsituation genannt. So auch vom VSPB: «Die kantonalen, kommunalen oder Bundes-Personalbudgets werden von der finanziellen Lage beeinflusst», sagt Johanna Bundi Ryser. Deshalb seien Beförderungen bei einem Finanzloch oft nicht gewährleistet, würden geplante Lohnklassen-Anpassungen sistiert oder Neueinstellungen verschoben. «Das fördert die Attraktivität des Berufsbilds nicht gerade.» Eine Besserung sei nicht in Sicht: «Die Nationalbank wird in den kommenden Jahren keine Gelder ausschütten. Das bringt einige Kantone in finanzielle Schwierigkeiten.» Willkürliche Budgetkürzungen verschlimmerten diese Unsicherheit. «Dass Budgets für ein Jahr bewilligt und im nächsten wieder gekürzt werden, darf nicht mehr vorkommen. Die Politik muss vorausschauend handeln und ihre Versprechen einhalten.» Hanspeter Krüsi berichtet Ähnliches: «Aus Austrittsgesprächen wissen wir, dass Mitarbeitende das Lohnniveau als vertretbar erachten, nicht aber die Lohnperspektiven.»
Der Lohn ist das eine, die Ursachen des Personalmangels gehen aber tiefer, weiss Bundi Ryser: «Die Mehrarbeit, die von Bund und Kantonen angeordnet werden, ohne dass das Personal aufgestockt wird, ist ein weiterer Grund für Kündigungen.» Hinzu kämen unregelmässige Arbeitszeiten, fehlender Respekt und Wertschätzung sowie die physische und psychische Belastungen, die der Beruf mit sich bringt.
Doch wie funktioniert die Polizei mit zu wenig Personal? «Richtiger wäre die Frage: Wie gelingt es, mit weniger Personal als üblich zu funktionieren?», berichtigt Krüsi. «Indem jeder Mitarbeitende sein Bestes gibt und durchbeisst.» Als «ungewöhnliche, aber notwendige Massnahme» hätte die Kantonspolizei St. Gallen im Sommer 2022 fünf Polizeiposten geschlossen, damit die Mitarbeitenden ihre Überzeiten einziehen konnten. Auch im Kanton Luzern kam es zu vorübergehenden Schliessungen einzelner Polizeiwachen: «Deshalb mussten einzelne Bürgerinnen und Bürger einen längeren Weg auf sich nehmen, um Anzeige zu erstatten.» Im Kanton Bern war das hingegen noch nicht nötig: «Sechzig Vakanzen entsprechen zwei Prozent des Personalbestands. Mit diesem leichten Unterbestand funktioniert die Grundversorgung noch ohne Einschränkungen.»
Polizeiarbeit im Homeoffice
Flexible Arbeitsmodelle, Teilzeitarbeit und Jobsharing werden auch für Polizistinnen und Polizisten immer wichtiger, finden die Vertretenden der Kantonspolizeien St. Gallen, Bern und Luzern. Um Mitarbeitende zu halten, komme es aber auch auf Wertschätzung an, sagt der St. Galler Polizei-Mediensprecher Hanspeter Krüsi. «Deshalb sensibilisieren wir Führungskräfte, ein offenes Ohr für ihre Mitarbeitenden zu haben, deren Anliegen ernst zu nehmen und ihnen so viel Verantwortung wie möglich zu übertragen.» Auch die Laufbahnplanung gehört für die Mediensprecherin der Kantonspolizei Bern, Magdalena Rast zu den «Haltefaktoren». Beim Lohn hat sich im Kanton Bern einiges getan: Die Spesen, sowie die Zulagen bei der Wochenend- und Nachtarbeit sowie dem Pikettdienst wurden bereits angepasst.
Das Employer Branding für Polizeiberufe ist zudem noch nicht ausgereizt, meinen die Befragten. «Ein Grossteil der Bevölkerung kennt nur einen Bruchteil der Polizeiarbeit», sagt Johanna Bundi Ryser vom VSPB. «Wir müssen aufzeigen, wie vielseitig der Job ist.» Auch das Potenzial der verschiedenen Berufsbilder sei zu wenig bekannt: «Die Entwicklungen der digitalen Welt bringt viele neue Aufgaben mit sich, bei denen Mitarbeitende «am Puls der Zeit» sind und «Pionierarbeit» leisten können.» Dass Employer Branding für sie kein Fremdwort ist, bewiesen die Kantonspolizeien bereits. Beispielsweise die Kantonspolizei St. Gallen, die verschiedene Polizeiberufsbilder auf du-als-polizist.ch breit bewirbt und zahlreiche Informationsveranstaltungen im Kanton organisiert.