HR Today Roundtable Salärmanagement (Teil 2)

Welches Lohnmodell ist das Richtige?

Das HR könnte durch die Ausgestaltung intelligenter Vergütungssysteme Unternehmenskultur, Strategie und Verhalten der Mitarbeitenden fundamental prägen. Doch sind dieses Bewusstsein und die dafür notwendige Kompetenz vorhanden? Zweiter Teil des Gesprächs mit Vergütungsexperte Stephan Hostettler, Praxiskenner Matthias Mölleney und Theologe und Unternehmensberater Johannes Czwalina.

HR Today: Welches Lohnmodell ist das Richtige? Da will ich den Ball dem Theologen, Herrn Czwalina, zuspielen. Wie sieht die ethische Dimension aus?

Johannes Czwalina: Ich bin kein Experte in diesen Fragen. Ich kann Ihnen aber Auskunft geben über die Wirkung der einzelnen Modelle auf die einzelne Führungsperson. Wir haben verschiedene Aspekte zu betrachten: Wenn der Mensch funktioniert, funktioniert jedes Modell. Wenn der Mensch nicht funktioniert, funktioniert kein Modell. Ich sehe die grosse Herausforderung im HR: Wir haben auf der einen Seite diese Lohnmodelle, wo wir sehen, was funktioniert gut, was nicht. Aber dann haben wir den Menschen, wo man unterscheidet zwischen der Charakterkonstellation und dem Charakter als solchen. Wenn man weiss, welchen Charakter jemand hat, ob er zum Beispiel ein sicherheitsorientierter Mensch ist, dem variable Löhne Schwierigkeiten machen, dann muss man für ihn ein entsprechendes System mit einer gewissen Sicherheit schaffen. Dem Vertriebstypen bietet man etwas anderes an. Ganz wichtig ist der Aspekt des Wohlbefindens: Unter welchen Bedingungen fühlen sich die Menschen wohl. Ich habe immer gemerkt, dass die Entlöhnung – wie gerecht sie auch am Schluss ausgearbeitet wird – relativ wenig zum Wohlergehen beiträgt. Erfolg ohne Wohlergehen ist kein Erfolg. Die Charakterkonstellation kann jedes Lohnsystem kaputtmachen: Egoismus, fehlende soziale Verantwortung. Unsere Unternehmen sind overmanaged und underleaded. Man merkt, dass man noch so viel an den Lohnsystemen rumbasteln kann; wenn man als HR-Verantwortlicher nicht auf die Persönlichkeit der Menschen Rücksicht nimmt, kommt man nicht weiter.

Stephan Hostettler: Vielleicht darf ich ergänzen. Ich gehe mit Ihnen einig, Entlöhnung hat sehr viel mit Charakter und Kultur zu tun. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass das HR und die Art und Weise der Ausgestaltung der Lohnsysteme die Kultur und das Verhalten sehr stark beeinflussen. Viele HRler möchten ihre Führungsprinzipien – zum Beispiel Management by Objectives und Performance Management – direkt an Geld knüpfen mit dem Gedanken: Wenn wir Geld dran knüpfen, wird es auch gemacht. Ich habe eher Schwierigkeiten mit dieser Idee. Denn wenn man Geld zu stark an einzelne Initiativen knüpft, dann macht das die Kultur der Zusammenarbeit, der Langfristigkeit, der Kooperation zwischen den Abteilungen kaputt. Da ist nicht nur die Frage: Was soll HR tun, um die Charaktere zu erfassen, sondern umgekehrt muss sich HR zuerst die Frage stellen: Was für eine Kultur wollen wir? Wollen wir eine Kultur der unternehmerischen Denke, wollen wir Selbständigkeit, wollen wir, dass sich die Mitarbeitenden als Ganzes fühlen. Wenn ja, muss man Geld tunlichst von Führung trennen. Führung braucht es, denn Mitarbeiter wollen differenziert werden, entwickelt werden, man braucht eine Perspektive als Mitarbeiter. Aber das Geld selbst sollte man nicht mit einem starren Automatismus daran knüpfen. Die zu starre Verknüpfung von Geld und Führung, die man leider immer noch häufig antrifft, macht viele Menschen krank, kaputt und isoliert. Es geht nicht nur darum, das Lohnsystem an die Charaktere zu knüpfen, sondern es geht vor allem darum: Wir sollten tunlichst darauf schauen, dass wir uns unsere Kultur nicht kaputtmachen.

HR Today: Das ist jetzt hochinteressant. Das Topmanagement argumentiert immer, dass es die Leistung ist, die vergütet wird.

Stephan Hostettler: Ich bin nicht dagegen, Leistung und Erfolg zu vergüten, doch was ist Erfolg? Das ist nicht einfach zu beantworten. Da kriegt man x verschiedene Antworten. Ich glaube, das Thema ist Kultur und Vergütung, und dieses Thema ist enorm wichtig. Dafür ist HR verantwortlich.

Matthias Mölleney: Das sehe ich genauso. Eine zentrale Aufgabe von HR ist ja Integration. Dabei ist eine der ersten Frage: Was für eine Kultur wollt Ihr, und dementsprechend muss man das Lohnsystem gestalten. Aber daraus abgeleitet muss sofort die nächste Frage im HR kommen; dann muss ich anfangen, das sauber zu integrieren. Ich muss zwingend die genau gleichen Kriterien für Beförderungen anlegen. Man kann zum Beispiel nicht Unternehmertum fördern wollen, und entsprechende Incentive-Modelle bauen – mit denen man dieses unternehmerische Verhalten honorieren will – aber befördert werden die «Corporate Soldiers», die am besten den Vorgesetzten nach dem Mund reden. Die sind nicht nach unternehmerischen Kriterien befördert worden, aber sollen nach unternehmerischen Kriterien bezahlt werden. Das läuft dann diametral auseinander. Und das sind entscheidende Probleme. In der Schweiz haben wir das ja recht häufig. Leider haben wir in den Schweizer Verwaltungsräten praktisch keine HR-Profis. Deswegen kommt es zum Beispiel vor, dass ein Verwaltungsrat das vermeintlich tolle Lohnsystem der Firma A für die Firma B anwenden will, obwohl es gar nicht passt. Da müsste man vorher genau hinschauen: Passt es zu den strategischen Zielen, ist es verträglich mit der Kultur, etc. Das macht aber fast keiner.

HR Today: Die HR-Leute, die sitzen kaum in der Geschäftsleitung und schon gar nicht in Aufsichtsgremien. Sind die HR-Leute überhaupt in die Vergütung der GL involviert?

Matthias Mölleney: Das ist unterschiedlich. Die Frage ist, warum zu wenige HR-Leute in Top-Positionen mit entsprechendem Einfluss sind. Sind es so wenige, weil wir nur so wenige gute HR-Leute haben, oder haben wir nur so wenige gute HR-Leute, weil sie eben nicht auf Augenhöhe eingesetzt sind und keine Lust auf einen solchen Aufwand haben, wenn sie doch nichts zu sagen haben. Die Frage wird sich nicht lösen lassen. Irgendwo muss es einen steuernden Einfluss geben auf die Lohn- und Kulturfragen. Es hat sich bewährt, das im HR zu machen, aber dafür muss man auch ein kompetentes HR haben, sonst funktioniert es nicht.

HR Today: Wie sieht es eigentlich in der Praxis aus? Kann das HR bei der Festlegung hoher GL-Gehälter überhaupt mitreden?

Stephan Hostettler: Es gibt zwei Modelle: Das deutsche Modell sagt: Nur der Aufsichtsrat darf über die Vorstandsvergütung entscheiden. Also: VR bestimmt GL-Löhne. In der Schweiz ist das nicht klar getrennt. In vielen Fällen passiert Folgendes: Der VR delegiert es an den CEO und der delegiert es ans HR. Und jetzt haben Sie die ganz komische Situation: Das HR muss die Vergütung des CEO überprüfen. Es rapportiert an den CEO, muss diesen aber überprüfen, wie soll das gehen? Da braucht es jemanden dazwischen, weil sich das HR ist in einer Sandwichposition befindet. Die HR-Verantwortlichen können nicht zwei Herren dienen: Sie können nicht einerseits dem Verwaltungsrat dienen und in einer gewissen Härte die Geschäftsleitung anschauen und umgekehrt dem CEO dienen und mit gutem Gewissen in die Organisation wirken. Das Dilemma löst sich nur, wenn Verwaltungsräte noch mehr bereit sind, nicht alles zu delegieren, sondern selbst auch Initiative ergreifen, externe Spezialisten heranziehen und möglicherweise in den Verwaltungsrat nehmen.

Johannes Czwalina: Ist die Vergütung der Verwaltungsräte in der Schweiz eigentlich fest geregelt oder ist die nach oben offen?

Stephan Hostettler: Theoretisch offen, aber die Verwaltungsräte verdienen mit Ausnahme von wenigen Firmen alle etwa gleich viel. Es lässt sich relativ gut ermitteln, was Verwaltungsräte in kleinen, mittleren und grossen Firmen verdienen.

HR Today: Das heisst in Zahlen?

Stephan Hostettler: Bei den höher verdienenden liegen die Löhne zwischen 300’000 und 600'000 Franken, vor allem in grösseren Firmen, was auch international gesehen relativ hoch ist. Bei kleineren Firmen sind es schnell 250’000 oder sogar unter 100’000, das kommt sehr auf die Grösse der Firma an.

Johannes Czwalina: Für mich ist der Verwaltungsrat immer auch eine Art Treuhänder. Ich sehe es kritisch, wenn ich einen Verwaltungsrat vor mir habe, dessen Lohn nach oben offen ist. Das mindert für mich das Vertrauen in diesen Menschen, weil ich ihm das Mandat des Treuhänders gebe.

Stephan Hostettler: Also der Lohn ist fix, es gibt keine variable Vergütung.

Matthias Mölleney: Ich kenne keinen Verwaltungsrat in der Schweiz, dessen Lohn nach oben offen ist.

Stephan Hostettler: Ich möchte das so verstanden wissen: Die Verwaltungsräte sind Treuhänder, die aber auch einen Teil ihres Gehalts in gesperrten Aktien beziehen sollen, für die sie treuhänderisch tätig sind, damit sie sich auch als Aktionäre fühlen. Das ist eine grosse Debatte: Sollen Verwaltungsräte in Aktien bezahlt werden, ja oder nein. Als Aktionär sage ich: Bitteschön, ja, denn sonst spüren sie nicht, was eigentlich los ist, mit dem Kurs, mit der Bewegung. Als unabhängige Instanz kann man sagen: Nein, die sollen einfach Richter sein. Aber glauben Sie mir, wenn Sie als Verwaltungsrat keine Aktien haben, haben Sie sehr schnell politische, und nicht unbedingt betriebswirtschaftliche und langfristige, für die Aktionäre wertschöpfende Themen im Gremium.

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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