Sabbatical

Wenn Manager eine Auszeit nehmen

Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz setzt für mehrere Monate aus, der CEO von Richemont macht sogar ein Jahr lang Pause und bei ABB treten gleich zwei ranghohe Manager zurück. Findet ein Wertewandel in der Chefetage statt? Guido Meyer, Managing Partner bei Level Consulting, gibt Antwort.

Herr Meyer, was bewegt Manager dazu, ein Sabbatical zu nehmen oder gar zurückzutreten?

Guido Meyer: Wir befinden uns im Zeitalter der Psychohygiene, das heisst, nicht monetäre Werte gewinnen an Bedeutung, zumal die finanziellen Entschädigungen von ranghohen Managern ein Niveau erreicht haben, wo der Grenznutzen einer weiteren monetären Steigerung stark abnimmt. Zudem hat der «speed of change» enorm zugenommen und damit auch die Erwartungshaltung an die Executives. Hinzu kommt eine höhere Transparenz: Fehlleistungen werden sichtbar, was wiederum den Druck verstärkt. Unterschätzt wird auch vielfach die Einsamkeit, welche ein ständiger Begleiter eines CEOs ist. Eine Auszeit bietet die Gelegenheit, den Kopf frei zu bekommen und seine Situation mit etwas Abstand zu analysieren. Mit Distanz lässt sich die Frage nach dem «Wie weiter?» besser beantworten.

Werden Sabbaticals zu einem neuen Trend?

Von einem Trend würde ich  nicht unbedingt sprechen. Ich würde eher sagen, dass das Thema «Sabbatical» langsam salonfähig respektive enttabuisiert wird.

Häufig wird als Grund für den Rücktritt oder das Sabbatical die Familie genannt. Findet auf Managerebene ein Wertewandel in Richtung Work-Life-Balance statt?

Ein Paradigmenwechsel ist durchaus erkennbar. Die erwähnten Veränderungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen strapazieren auch häufig das Privatleben. Hinzu kommt, dass sich das Familienleben ebenfalls stark verändert hat und die Anforderungen und Erwartungen an die Beziehung und den Partner gestiegen sind. Da kann sich die Sinnfrage schon einmal stellen.

Ist es sinnvoll, wenn Manager eine Auszeit nehmen?

Wenn damit die Schaffenskraft der Führungsperson erhalten werden kann – ja! Eine ausgebrannte Person an der Spitze eines Unternehmens dient niemandem. Grundsätzlich ist aber entscheidend, wie das Sabbatical genutzt wird, damit man Distanz zum Alltag gewinnt und den höchst möglichen Nutzen daraus ziehen kann.

Was bringt ein Sabbatical der Firma?

Einerseits kann sich ein Unternehmen durch derartige Angebote als moderner, attraktiver Arbeitgeber profilieren. Zudem profitiert die gesamte Organisation von der neu gewonnen Energie und den erlebten Erkenntnissen des Managers. Gleichzeitig kann durch die Abwesenheit des CEOs auch der Reifegrad einer Organisation überprüft werden. Funktioniert sie ohne den Chef? Oder lastet alles auf einer Person? Der geplante, organisierte Ausstieg auf Zeit bereitet auch weniger Probleme als ein unerwarteter, krankheitsbedingter Ausfall, zum Beispiel infolge eines Burnouts, zu einem ungünstigen Zeitpunkt.

Profitieren auch die Mitarbeiter?

Nicht selten laufen Mitarbeiter zu Höchstleistungen auf, wenn Sie aus dem Schatten des Chefs treten können. Es bietet sich ihnen die Chance, sich zu profilieren und zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Die Auszeit des Chefs kann auch als Vertrauensbeweis und Wertschätzung an das Team gedeutet werden und der Zusammenarbeit positive Impulse vermitteln.

Was für Folgen hat ein Timeout für den Manager selbst?

Die Wirkung lässt sich nicht prognostizieren. Einerseits bietet es dem Manager eine Chance, sich selber besser kennen zu lernen und die «richtigen» Entscheidungen zu fällen. Nicht selten entstehen in dieser Phase neue Ideen und Visionen, welche die Grundlage bilden für eine Neuorientierung. Andererseits besteht ein latentes Risiko, dass die Auszeit vom Umfeld negativ interpretiert und dahinter ein Ausstieg in Raten gesehen wird. Nach wie vor wird ein Timeout oft als Überforderung gedeutet, welche auf dieser Ebene keinen Platz hat.

Zur Person

Guido Meyer ist Managing Partner der Level Consulting AG. Das Beraterunternehmen mit Sitz in Zürich ist in den Bereichen Executive Search & Selection, Executive Coaching sowie New-/Outplacement tätig.

Besteht nicht die Gefahr, dass ein Vorgesetzter während seiner Auszeit von seinem Sessel gestossen wird?

Dies lässt sich nicht a priori verneinen. In einem sehr kompetitiven Umfeld können Begehrlichkeiten des Umfelds geweckt werden. Dadurch ist eine Rückkehr in die angestammte Position nicht immer zwingend. Ein Sabbatical kann aber auch das Gegenteil bewirken, indem man – wie so oft – erst dann realisiert, was man hat, wenn man darauf verzichten muss. Jeder muss die Chancen und Risiken sorgsam abwägen und darauf basierend entscheiden, ob ein Timeout für ihn der richtige Schritt ist. 

Es sind eher ältere Manager, die eine Auszeit nehmen, woher kommt das?

Dies ist sicherlich eine Frage der Seniorität. Ältere Manager müssen sich selbst in der Regel nichts mehr beweisen und verfügen über einen langjährigen Leistungsausweis. Die Bedürfnispyramide präsentiert sich unterschiedlich im Vergleich zu den Jüngeren, welche durch ihren Ehrgeiz angetrieben Karriere machen wollen.

Manche Kaderleute sind verpflichtet, nach einer gewissen Anzahl Dienstjahren eine Pause einzulegen. Was halten Sie davon?

Das kann in gewissen Funktionen, die extremen Belastungen ausgesetzt sind, durchaus sinnvoll sein. Einer generellen Regelung begegne ich aber mit Skepsis. Ein Sabbatical ist immer sehr individuell zu betrachten und bildet nicht die Lösung für jedes «Problem». Allenfalls stellt der Beizug eines Coaches eine nachhaltigere Lösung dar und wird auch vom Betroffenen mehr geschätzt als eine Einheitslösung.

Empfehlen Sie persönlich Sabbaticals?

Grundsätzlich ja, da Sabbaticals in ihrer ursprünglichen Form den betroffenen Mitarbeitern als Entspannung dienen und der Organisation die Leistungsfähigkeit ihrer Schlüsselressourcen erhalten soll. Negative Auswirkungen sind, wenn das Thema richtig ein- und umgesetzt wird, kaum zu erwarten. Die Spielregeln müssen zwingend klar kommuniziert und geregelt sein, damit die Belegschaft damit positiv umgeht.

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