Gesundheit

Wer Ängste und Sorgen seiner
 Mitarbeiter ernst nimmt, spart Geld

Persönliche Sorgen der Mitarbeitenden können die Leistung mindern. Gerade in Krisenzeiten nehmen die Ängste zu. Immer mehr Unternehmen bieten interne oder externe Beratungsdienste an. Damit setzen sie nicht nur ein Zeichen der Wertschätzung – es zahlt sich auch aus.

Auf den Bildschirm starren, während der Kopf Probleme ganz anderer Natur wälzt – so ergeht es täglich Tausenden von Mitarbeitenden. Statt produktiv zu arbeiten, denken sie an die bevorstehende Scheidung oder sie grübeln daran herum, ob sie die Arbeit verlieren. In Krisenzeiten nehmen Ängste und psychische Erkrankungen zu. Doch erst wenige Arbeitgeber nehmen den negativen Einfluss solcher Schwierigkeiten auf die Unternehmung wirklich ernst.

Fachleute warnen davor, dieses Thema als rein private Angelegenheit abzutun. «Der so genannte Präsentismus, der Konzentrationsmangel aufgrund emotionaler und psychischer Probleme, ist der grösste vermeidbare Kostenfaktor im Personal-management», sagt Stefan Boëthius, Betriebswirt, Psychologe und Mitglied der Geschäftsleitung der Beratungsfirma ICAS. Diese bietet Unternehmungen die Dienstleistung an, als externe Anlaufstelle für die Angestellten zur Verfügung zu stehen. Zu den ICAS-Kunden zählen weltweit über 1700 Firmen.

Auch eine wachsende Zahl schweizerischer Unternehmungen bietet der Belegschaft die Möglichkeit, bei beruflichen und privaten Problemen Hilfe zu suchen. Die Krankenversicherung Swica verfügt über ein internes Care Management. 
Mit dieser Lösung hätten sie bisher sehr gute Erfahrungen gemacht, erklärt Jasmin 
Lioliou von der Unternehmenskommunikation. «Die Informationen der Care Managerin unterstehen dem Datenschutz, auch im Fall von psychischen Leiden.»

Firmenseelsorge stärkt 
die Identifikation

Miele Schweiz stellt den Mitarbeitenden in einzelnen Fällen von persönlichen Schwierigkeiten eine Betreuungsperson zur Verfügung. Die Einhaltung des Datenschutzes ist dabei immer voll gewährleistet. Nicole Kreyenbühl, Leiterin Personalwesen, erklärt: «Persönliche Anliegen wie psychische Schwierigkeiten eines Mitarbeiters werden nur in Vertrauensgesprächen bearbeitet.»

Thomas Zindel blickt auf 20 Jahre als Sportseelsorger zurück und arbeitet heute im Bereich Firmenseelsorge für die Beratungsfirma ForeZone GmbH. Spannungen am Arbeitsplatz hätten vielfach mit den privaten Problemen des Arbeitnehmers zu tun: «Der Arbeitgeber muss verstehen, dass Firmenseelsorge als externe Dienstleistung keine Bedrohung darstellt, sondern Stabilität an den Arbeitsplatz bringt und die Identifikation des Einzelnen mit dem Unternehmen stärkt.»

Dass in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten bei den Mitarbeitenden mehr Ängste und Unsicherheiten auftauchen, weiss auch Roland Kienzler, Personalverantwortlicher der Endress+Hauser-Gruppe mit Sitz in Reinach. Wer persönliche Probleme nicht mit dem direkten Vorgesetzten 
besprechen möchte, hat die Möglichkeit, anonym und kostenlos an eine externe Anlaufstelle zu gelangen. «Diese Fachleute helfen nicht nur bei psychischen Problemen, sondern beraten auch bei Budgetproblemen oder Steuerfragen.» Die HR-Abteilung wird anschliessend lediglich über die Themenbereiche informiert, die in Anspruch genommen wurden.

Swiss Re: telefonische 
Hilfeleistung an 365 Tagen

Die Swiss Re bietet ihren Mitarbeitenden ebenfalls die Möglichkeit, ein externes 
Unterstützungsprogramm zu nutzen, das teilweise die interne Sozialberatung abgelöst hat. Das Besondere daran ist, dass neben den Angestellten auch im selben Haushalt lebende Angehörige Hilfe holen können. Der telefonische Service steht 365 Tage im Jahr und rund um die Uhr zur Verfügung. Zu dieser Dienstleistung in mehreren Sprachen, die für die Mitarbeitenden des Versicherungsunternehmens kostenlos ist, gehören Beratungen in allen Bereichen des täglichen Lebens.

«Geboten werden professionelle Coachings und Beratungen», sagt Helena Trachsel, Head Diversity Management bei der Swiss Re. «Es ist für uns wichtig, dass das Angebot genutzt wird. Unser Ziel ist es, psychisches Unwohlsein früh zu erkennen und Gegenmassnahmen in die Wege zu leiten.» Das umfassende Angebot werde, wie die Zahlen belegten, auch gut genutzt. Es gehe in erster Linie darum, die Leute zu stärken, damit sie konkret die nächsten Schritte zu einer Verbesserung ihrer Situation entwickeln, und dies auch an den Arbeitsplatz zurücktragen können. Unter Einhaltung des Datenschutzes gelangen mit dem Monatsrapport nur die Zahlen der angesprochenen Themen in die Statistik der HR-Abteilung.

Präsentismus verursacht mehr 
Verlust als Fehlzeiten

Auch zur Dienstleistung von ICAS gehört ein 24-Stunden-Service per Telefon. In der Schweiz nutzen etwa 60 Unternehmungen mit rund 40 000 Angestellten den Service des Beratungsunternehmens. Stefan 
Boëthius bedauert, dass sich viele Firmenleitungen mit dem Thema Psyche schwertun: «Sie fürchten, die Mitarbeitenden könnten einen solchen Service als Affront erleben. Dabei könnten viel Leid und viele Kosten vermieden werden, wenn Arbeitgeber ihre Angestellten als ganze Menschen mit einer Seele wahrnehmen würden.»

Stefan Boëthius ist davon überzeugt, dass Unternehmen in Zukunft gezwungen sein werden, mehr Offenheit für dieses Thema zu haben. «Man rechnet damit, dass Depressionen bis zum Jahr 2020 in den Industriestaaten die zweithäufigste Ursache von Erkrankungen sein werden.» Dass die Fehlzeiten den grössten Produktivitätsverlust im HR-Bereich verursachen, sei ein Irrtum. Stefan Boëthius: «Eine vorsichtige Schätzung der Gesamtkosten von Präsentismus zeigt, dass diese 6- bis 15fach höher liegen dürften als die Kosten für Absenzen.

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Susanne Wagner ist freie Journalistin.

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