Entscheidungen

Wer Ja sagt, sagt auch Nein

Bleibe ich weiterhin angestellt oder mache ich mich selbstständig? Wir stehen immer häufiger vor Entscheidungen – beruflich und privat. Drei Experten sprechen darüber, warum diese vielen Menschen schwer fallen und wie wir trotz Unsicherheit zukunftsfähige Entscheidungen treffen.

Bewerbe ich mich als HR-Leiterin in Bern oder als Personalberaterin in Zürich? Arbeite ich weiterhin angestellt oder mache ich mich selbstständig? Immer häufiger stehen wir bei unserer Lebensplanung vor solchen Fragen. Denn nicht nur die Situation auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch die Strategien der Unternehmen ändern sich in stets kürzeren Zeitabständen. Eine Umstrukturierung jagt die nächste. Und stets werden dabei die Karten – sprich Aufgaben, Posten, Privilegien – neu verteilt. Angestellten stehen immer häufiger vor der Frage «Mache ich das noch mit?» – sofern ihr Stuhl nach der Umstrukturierung nicht ohnehin vor der Tür steht.

Und privat? Auch hier müssen wir uns häufiger entscheiden. Unter anderem, weil wir mehr Wahlmöglichkeiten als früher haben. Das fängt beim Einkauf im Supermarkt an, wo wir uns beim Anblick der endlosen Kühlregale oft fragen «Soll ich nun Erdbeer- oder Schokojoghurt oder doch einen Quark kaufen?» und endet bei der Wahl des Berufs, Wohnorts und Lebenspartners. Stets haben wir scheinbar unendlich viele Möglichkeiten. Deshalb müssen wir uns schärfer als unsere Eltern damit auseinandersetzen: Wie will ich leben? Wo will ich leben? Und: Mit wem will ich leben?

Dies zu entscheiden, fällt vielen Menschen schwer. Sie taumeln, ihren Launen folgend, stets hin und her. «Je mehr Wahlmöglichkeiten wir haben, umso grösser ist die Gefahr, dass wir uns nicht entscheiden oder dass wir Entscheidungen vorschnell über Bord werfen, weil sich uns neue, scheinbar attraktivere Alternativen bieten», betont der Managementberater und -coach Dr. Albrecht Müllerschön.

Alles ist nicht möglich

Viele Menschen überfordert die ständige Notwendigkeit, sich zu entscheiden. Auch weil wir in mehr Lebensbereichen Eigenverantwortung übernehmen sollen. Zum Beispiel für unsere Gesundheitsvorsorge. Oder Altersvorsorge. Oder berufliche Qualifizierung. Und stets müssen wir entscheiden «Tue ich dies oder das?». Das fällt vielen Menschen schwer, denn sich entscheiden bedeutet stets, nicht nur Ja, sondern auch Nein zu sagen. «Also auf Dinge verzichten», sagt Dierk Rommel, Karrierecoach und -berater. «Und die Zahl der Dinge, zu denen wir Nein sagen müssen, ist umso grösser, je mehr Optionen uns unsere Umwelt bietet.»

Ebenso ist es im beruflichen Bereich. «Wenn ein Unternehmen einen Betrag XY für seine Mitarbeiter ausgibt, kann es ihn nicht nochmals in Maschinen investieren. Wenn es beschliesst‚ Weltmeister in Sachen Service zu sein, kann es nicht zugleich der billigste Anbieter sein», erläutert Müllerschön. Also muss auch hier entschieden werden: Was ist wichtiger? Was bringt uns langfristig weiter? «Deshalb wird speziell von Führungskräften Entscheidungskraft gefordert.»

Diese zeigen viele Menschen nicht – beruflich und privat. «Auch weil immer schwieriger vorhersehbar ist, wie sich unsere Zukunft gestaltet», betont der Intuititons-Experte Simon Fenkart. Keiner kann heute mehr mit Sicherheit sagen: Wenn ich dies tue, bin ich in zehn Jahren am Ziel. Die Richtigkeit unserer Entscheidungen steht immer unter einem Vorbehalt, weil sie von zahllosen Faktoren mit-beeinflusst wird.

Mehr offene Fragen

Fenkart nennt ein Beispiel: Ein Paar erwägt, ein Eigenheim zu bauen. Früher lautete dann die zentrale Frage der angehenden Häuslebauer: Können wir das Eigenheim finanzieren? Diese Frage müssen sie sich auch heute stellen. Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass sie für sich folgende Fragen beantworten: Möchten wir überhaupt langfristig ein Paar bleiben? Werden wir, wenn das Haus bezugsfertig ist, überhaupt noch Arbeit in dieser Gegend haben? Nur zwei der Unwägbarkeiten, die heute mit der Entscheidung «Wir bauen ein Haus» verbunden sind. Fragen zudem, auf die wir keine wirklich sicheren Antworten mehr finden. Denn was uns die Zukunft bringt, wird erst die Zukunft zeigen. Folglich sind alle Zukunftsentscheidungen mit Risiken verbunden. «Deshalb erfordern sie einen gewissen Mut», so Fenkart.

Doch wie können wir zukunftsfähige Entscheidungen treffen, wenn die Säulen, auf die wir früher unsere Entscheidungen stützten, zunehmend wanken? Wir müssen wir Prioritäten setzen, denn alles lässt sich in der Regel zumindest nicht zugleich erreichen.

Eigene Antworten finden

Auf die Frage «Was ist mir wichtig?» muss jeder seine eigene Antwort finden. Worin zeigt sich (Lebens-)Erfolg? In einem prallen Bankkonto? In einem glücklichen Familienleben? In unserer Antwort auf diese Frage spiegelt sich unser Wertesystem wider. Wer sich zum Beispiel für Kinder statt für eine Top-Karriere entscheidet, zeigt damit: Kinder sind mir wichtiger als beruflicher Erfolg.

Unsere Gesellschaft gibt uns kein allgemein gültiges Wertesystem mehr vor. Deshalb fehlt vielen Menschen «eine Grundlage, aus der sie ihre Entscheidungen ableiten könnten», beobachtet Müllerschön. Die Folge: Unentschlossenheit beziehungsweise Entscheidungen, die sie nur halbherzig tragen. Deshalb rät der Coach und Berater, sich über die eigenen Werte klar zu werden. «Denn dann fällt es Ihnen leichter, Entscheidungen zu treffen, zu denen Sie stehen.»

Hinzu kommt: Wer weiss, was ihm wichtig ist, kann Entscheidungen auch besser vorbereiten. Er hat sozusagen einen Kompass zur Hand, der ihn durch den Wust an Informationen, Angeboten und Verlockungen in unserer Gesellschaft navigiert. Dabei benötigen viele Menschen zunehmend professionelle Unterstützung, so Fenkart. Das beweist das Aufkommen solcher Berufe wie Finanz-, Karriere- und Paarberater. Keinesfalls dürften wir aber die Illusion hegen, dass uns diese «Experten» unsere Entscheidungen abnehmen. «Sie können uns bestenfalls helfen, diese vorzubereiten. Treffen müssen wir sie selbst.»

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Lukas Leist arbeitet unter anderem als Fachjournalist für die PRofilBerater GmbH. Er ist auf die Themen Digitalisierung, Online-Marketing sowie Personalführung und -entwicklung spezialisiert.

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