E-Recruiting

Wer neue Rekrutierungswege ausprobiert, kommt weiter

Die traditionellen Recruiting-Kanäle wer­den zwar noch genutzt, aber immer mehr Einstellungen werden online generiert. Das zeigt die Umfrage von HR Today Special bei Rekrutierungsexpertinnen und -experten aus verschiedensten Branchen. Und: Die Unternehmen zeigen sich offen gegenüber neuen Plattformen.

Bewerber sollen mehr Kontrolle über den Prozess erhalten

Kurt Grois: «Wir betrachten potenzielle Bewerber als Partner: Recruiting ist für uns nicht nur ein hoheitlicher Auswahlprozess, sondern ebenso ein Dialog, da es darum geht, herauszufinden, ob Person, Job und die Baloise langfristig zusammen­passen.

Den Grossteil der Einstellungen generieren wir online (Jobboards, eigene Webpage, Social Media) und über Empfehlungen. Wir probieren viel Neues, haben auch schon über Twitter Kontakt zu interessanten Talenten gefunden.

Wir nutzen aber auch die traditionellen Recruitingkanäle von der Printanzeige bis zum Personalberater für ausgewählte Funktionen. Derzeit sind wir an der Evaluation von Recruiting-Tools, die sowohl uns als auch den Kandidaten helfen, mehr über Eignung und Passung herauszufinden. Dies etwa in Form eines Online-Tests: Damit können wir den präferierten Arbeitsstil und das Wertesystem der Bewerber erheben und mit dem abgleichen, wie wir als Unternehmen funktionieren.

Eine zentrale Herausforderung ist es, die Prozesse so effizient wie möglich zu gestalten. Künftig kann ich mir etwa vorstellen, dass sich Kandidaten ihren Vorstellungstermin über das Bewerbungstool selbst buchen und ihn nicht von uns vorgeschlagen bekommen. Das verlagert mehr Prozesskontrolle zu den Kandidaten – und die wissen das zu schätzen!

Die Baloise hat das Recruiting zur strategischen Aufgabe gemacht. Wir sind kein industrieller Produktionsbetrieb, unsere einzige Ressource sind unsere Köpfe – und Herzen. Deshalb ist es so wichtig, die Rolle des Recruiting zu stärken. Richtige Personalauswahl ist die wohl höchste Rendite, die ein Unternehmen erwirtschaften kann.»

Eine Online-Rekrutierungsquote von 80 Prozent

Daniel Hirsbrunner: «Gute Rekrutierung muss nicht teuer sein. Eine gute Organisation sowie kompetente und engagierte Linien- und HR-Verantwortliche, die im Gespräch überzeugen, sind ebenso wichtig wie eine üppig dotierte Werbekasse.

In den letzten Jahren haben wir uns intensiv mit dem E-Recruiting beschäftigt und unserem Stellenportal ein Bewerbungsmanagementsystem hinzugefügt. Heute liegt unsere durchschnittliche Online-Rekrutierungsquote bei 80 Prozent. Daneben nutzen wir Job-Plattformen und Printmedien, sammeln unsere ersten Erfahrungen mit Social Media, arbeiten an der Umsetzung des Mobile Recruiting – und natürlich spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle.

Wir müssen uns wie jede andere Unternehmung auf dem Arbeitsmarkt behaupten. Dennoch gibt es natürlich Beson­derheiten: Zum Beispiel stehen bei uns Führungskräfte zum Teil stark in der Öffentlichkeit, was spannend ist, aber auch belastend sein kann. Dafür schätzen viele, dass unsere Führungspositionen herausfordernde Aufgaben an den Schaltstellen der Politik bieten und oft schnell zu grosser Verantwortung führen. Ganz allgemein gibt es hier viele Jobs, die für die Menschen persönlich wirklich Sinn machen.

Vom Bund haben viele eine klare Vorstellung. Wie aber dessen Vollzugsaufgaben aussehen, ist weniger bekannt. Deshalb versuchen wir, unsere Berufsbilder transparent zu machen. Und tun einiges für unsere Visibilität, besonders bei Absolventen und Lernenden.»

Interviewgenerator mit Standardfragen für mehr Fairness

Daniel Hippenmeyer: «Bis vor ein paar Jahren wurde das Recruiting oft als rein operativer Bereich wahrgenommen, als ‹­Anhängsel› zum eigentlichen Personalwesen. Das liegt hinter uns, die Talent­akquisition hat massiv an Bedeutung gewonnen.

Im Recruiting sind wir zurzeit an mehreren strategischen Themen dran, wie beispielsweise der Förderung der internen Mobilität und unseres Nachwuchses. Auch konnten wir soeben einen Interviewgenerator in Betrieb nehmen, der uns erlaubt, weltweit Standardfragen zu verwenden. Ein Beitrag an die Fairness!

Wir erhalten viele sehr gute Dossiers – nicht zuletzt dank unserer starken Marke. Auch wenden wir Methoden und Systeme an, die den Bewerbungsprozess für Kandidaten zu einem positiven Erlebnis machen. Dazu gehört ein faires Assessment und ein hoher Grad an Professionalität. Zudem bieten wir eine Bewerbungsplattform, auf der man sich leicht zurechtfindet. Das ist von grosser Bedeutung: Fühlen sich die Kandidaten wie in einem Irrgarten, so verlassen sie die Plattform schnell wieder und bewerben sich nicht bei uns.

Kennzahlen bezüglich Qualität, Zeit und Kosten sind das A und O für eine erfolgreiche Recruitingorganisation. Wir messen beispielsweise regelmässig unsere Attraktivität als Arbeitgeber und unseren Umgang mit Vakanzen.

Ich glaube, dass Recruiter sich künftig vom Netzfischer hin zum Perlentaucher entwickeln werden, denn die gezielte Suche nach Spezialisten wird immer wichtiger. Der proaktive Recruiter, das ist ein Berufsbild, das in der Schweiz noch nicht genügend verbreitet ist. Daher bauen wir solche Leute intern auf.»

Mund-zu-Mund-Propaganda bringt Kandidaten

Jacqueline Reifler: «Kürzlich haben wir versuchsweise wieder einmal ein Print­inserat für die Pflege geschaltet. Bewerbungen: null. Es ist einfach so, dass Pfle­gepersonal durch unsere Home­page, hospital-jobs.ch oder, sehr häufig, aufgrund von Mund-zu-Mund-Propaganda auf uns zukommt. Ärzte erreichen wir zusätzlich auch über Ärztezeitungen.

Wir haben einen guten Ruf, bieten interne Weiterbildung, Kinderkrippe, Teilzeitstellen – auch für Oberärzte. Und doch können wir ab und zu, hauptsächlich in der Pflege, Stellen über Monate nicht besetzen. Dann überbrücken wir mit temporären Mitarbeitern.

Personalvermittler schicken uns in letzter Zeit vermehrt Dossiers. Allerdings bringt das selten etwas. Ein Chirurg zum Beispiel braucht unter anderem handwerkliches Geschick. Alles in einen Kontext zu bringen, fällt einem Vermittler schwer.Wir haben in der Schweiz nicht genug ausgebildetes Fachpersonal. Die Politik gibt in der Medizin zu wenig Studien­plätze frei, auch der Numerus Clausus ist ein Hindernis. Bei den Pflege-Ausbildungen speziell bei den FaGe (Fachfrau/-mann Gesundheit) sieht es gut aus, bei den HF/FH-Studenten gibt es zu wenig Interessenten.

Der Stellenwert der Rekrutierung in Begleitung durch das HR ist bei uns nicht so hoch wie in der Privatwirtschaft. Wir vom HR selektionieren zwar die Dossiers vor, doch die Bewerbungsgespräche finden ausschliesslich in der Linie statt. Da kommt es manchmal zu Fehlern, zum Beispiel dauert der Prozess zu lange, und manche Kandidaten springen ab. Doch da wird es ein Umdenken geben. In unserer Branche nimmt der Druck zu, schwarze Zahlen zu schreiben, und das HR kann hier seinen Beitrag leisten. Entsprechend sind wir auch daran, unsere Prozesse zu überarbeiten.»

Einrichtungshäuser dienen auch als Recruiting-Tool

Balbina Lips Giovanoli: «Wir sind ein werte­orientiertes Unternehmen und haben auch ein ‹Value based recruitment›: Bei Kandidaten wollen wir jeweils zuerst wissen, welches ihre Einstellungen sind, und ob sie sich von unseren Unternehmenswerten, die auf unserer Homepage veröffentlicht sind, angesprochen fühlen. Um bei uns glücklich zu werden, muss man sich mit diesen Werten identifizieren können, da diese das Fundament unserer Unternehmenskultur sind.

Wir schreiben unsere Stellen immer zuerst intern aus: Es gehört zu unserer Kultur, dass Stellen nicht unter der Hand vergeben werden. Natürlich hat man für offene Stellen jeweils einige Leute im Kopf, aber man denkt nicht an alle, die sich für diese Position eignen, und durch die interne Ausschreibung ergibt sich ein erweiterter Pool von Bewerbern.

Die wichtigsten beiden Kanäle zu externen Kandidaten sind unsere Website und unsere Einrichtungshäuser. In letzteren haben wir schweizweit 15 Millionen Besucher jährlich, dort stehen Jobboards mit unseren vakanten Stellen. Die Einrichtungshäuser als ‹Recruiting-Tool› zu verwenden, ist praktisch und kostengünstig. Daneben benützen wir manchmal auch Jobplattformen und schalten Printinserate.

Das E-Recruiting haben wir früh eingeführt, wir akzeptieren schon seit 2007 keine Bewerbungen auf Papier mehr. Seither verfügen wir über ein Bewerbermanagementsystem, das es ermöglicht, dort abgelegte Bewerbungen zu verwalten und mit Kandidaten zu kommunizieren. Dieses papierlose Recruiting hat zur Effizienzsteigerung beigetragen und ist ausserdem eine umweltfreundliche Lösung.

Künftig wollen wir das Employer Branding verstärken und die Rekrutierungs­kanäle erweitern. Dabei haben wir besonders die Social Media im Blick.»

Die Schwierigkeit von einheitlicheren Dossiers

Daniel Wehrle: «Als städtisches Energie­versorgungsunternehmen haben wir handwerkliche, technische und adminis­trative Berufe, und nutzen zur Rekrutierung vor allem Jobplattformen und Printmedien. Auch unsere Homepage, auf der wir die offenen Stellen immer aktuell aufführen, wird rege genutzt. Und schliesslich bilden wir Lehrlinge aus, die künftig vakante Stellen übernehmen können.

Trotzdem sind wir immer wieder auf der Suche nach qualifizierten Berufs­leuten, insbesondere Sanitärinstallateure oder Netzelektriker sind momentan schwierig zu finden. Im Bereich der Inge­nieure und IT-Fachleute ist das Angebot ebenfalls knapp, was zum Teil zu überhöhten Lohnforderungen führt und den definierten Lohnrahmen bei weitem sprengt.

Von der besseren und aktiveren Nutzung des Internets bei der Jobsuche profitieren auch wir von Energie Wasser Bern, da so viel mehr potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten angesprochen werden. Dies hat aber auch Nachteile: Schrieben die Leute früher von Hand ein paar Sätze und man konnte eine erste Einschätzung vornehmen, kommen Bewerbungen heute sehr professionell und einheitlich daher. Das ist einerseits sehr erfreulich, kann andererseits im Bewerbungsgespräch auch in eine gewisse Ernüchterung münden, denn nicht alles, was optimal verpackt scheint, überzeugt auch inhaltlich.

Um uns im Bereich der Rekrutierung weiterzuentwickeln und zu optimieren, werden wir in absehbarer Zeit die Einführung von E-Recruiting prüfen. Ebenfalls aktuell sind die Verhandlungen und die Einführung eines neuen GAV per 1.1.2013. Dabei sind flexible Arbeitszeiten, Weiterbildung, Lohn und Ferien Themenschwerpunkte, denn sie sind wichtige Faktoren, um beim Recruiting mit der Konkurrenz mithalten zu können.»

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Franziska Meier ist Redaktorin und Produzentin mit langjähriger Erfahrung im Zeitungs- und Zeitschriftenbereich. Als Chefredaktorin des Magazins «fit im job» sowie als Fachredaktorin der Zeitschrift «HR Today» hat sie sich auf das Thema «Mensch, Arbeit & Gesundheit» spezialisiert. Zu ihren journalistischen Schwerpunkten gehören insbesondere Persönlichkeitsentwicklung, Coaching, Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Achtsamkeit praktiziert sie manchmal im Schneidersitz, öfter jedoch auf ihren Spaziergängen rund um den Türlersee.

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