Gar nicht so selten ist bei Innovationen der Zauber der Serendipität mit im Spiel – also der glückliche Zufall –, die Neugierde und einen offenen Blick für Möglichkeiten am Ende belohnt. Zu dieser Innovationskategorie zählen nicht nur Cornflakes, Schneekugeln, Herzschrittmacher, die Mikrowelle und Penicillin, sondern auch die berühmte blaue Pille. Doch muss man warten, bis König Zufall einen beglückt? Oder kann «Serendipity» herbeigelockt werden?
Erfindungen werden gern exzentrischen Helden zugeschrieben, die Eigenbrötler im stillen Kämmerlein gewesen sein sollen. Doch in Wirklichkeit entstehen die meisten Innovationen im Kollektiv. Auch frühe Erfinder hatten Werkstätten und Labore: Sie waren im Austausch mit Kollegen, sie trafen sich im Kaffeehaus und schrieben sich Briefe. Und sie profitierten von mächtigen Vorläuferinnovationen.
Kreativität braucht Gesellschaft und die «Weisheit der Vielen»
«Serendipity» wird durch Vernetzung und die «Weisheit der Vielen» begünstigt, indem sich kluge Köpfe in einem stressfreien Umfeld locker zusammenfinden. Als Steve Jobs der Chef bei Hollywoods Filmstudio Pixar war, mussten die Architekten die Gebäude so kreieren, dass sie viele unbeabsichtigte Begegnungen ermöglichten. Er liess ein zentrales Atrium bauen, in dem sich alle Gemeinschaftsaktivitäten abspielten, um spontane Interaktionen zu fördern. So schuf er die Rahmenbedingungen für eindrucksvolle Erfolge.
Das hybride Arbeitsleben, die Vereinzelung im Homeoffice und die exorbitante Zunahme von Videomeetings hingegen machen es der glücklichen Fügung schwer, ihre Wirkung voll zu entfalten, denn Kreativität mag Gesellschaft. Ein Ideenfunke braucht jemanden, auf den er überspringen kann und viele Innovationen sind anfangs nur eine wabernde Ahnung. Erst im Austausch formen sie sich zu wahrer Grösse. Meinungsvielfalt und eine ungezwungene Öffnung für die unterschiedlichsten Blickwinkel, Denk- und Handlungsweisen führen zu Variantenreichtum, zur Co-Kreativität und zu einer Neukombination von Möglichkeiten.
Einfallsreichtum braucht Ruhe und ein passendes Arbeitsumfeld
Kreativität entwickelt sich am besten dann, wenn Menschen sich sehen. Warum das so ist? Physische Nähe erzeugt mehr emotionale Zugkraft als virtuelle Distanz. Zudem zeigt sich in Gestik und Mimik die wahre Gesinnung. Empathie glückt definitiv besser bei räumlicher Nähe. Auch Vertrauen, der Komplexitätsreduzierer par excellence, braucht Präsenz. Hemmschwellen sinken in der Anonymität und mit zunehmender Distanz. Hingegen verändern Nähe und Augenkontakt das Verhalten der Menschen zum Guten.
Auch wichtig zu wissen: Die Denkarbeit des Gehirns verläuft in vier Phasen: Inspirieren, konzentrieren, aktivieren, regenerieren. Diesen Rhythmus gilt es zu unterstützen, denn Gehirne ermüden sehr schnell. Vor allem Ideenfindung und Kreativität brauchen Phasen der Regeneration. Doch leider lassen viele Arbeitskonstellationen das gar nicht zu. Und vielfach fehlt auch das notwendige Bewusstsein dafür.
«Bitte kein Sofa!», hört man von so mancher Führungsperson, wenn es um die Büroneukonzeption geht. «Meine Leute sollen arbeiten und nicht rumhängen!», heisst es als Begründung. Kopfarbeiter kontrollieren? Die pure Anwesenheit am Schreibtisch ist kein Garant für Leistung. Einfallsreichtum gedeiht nicht auf Befehl, sondern braucht ein passendes Umfeld. Rückzugsorte im Grünen und gemeinsame Spaziergänge sind dabei sehr willkommen. Auch Farben, Düfte und Musik unterstützen die Schöpferkraft.
So kann man dem glücklichen Zufall auf die Sprünge helfen
Heutzutage gilt es mehr denn je, dem glücklichen Zufall auf die Sprünge zu helfen. Das gelingt im betrieblichen Alltag auf vielerlei Weise:
- Informelle Begegnungsorte schaffen: Neben Orten intensiver Arbeit und Räumen der Ruhe brauchen wir in der Firma auch Orte der Geselligkeit, an denen Zufallsbegegnungen stattfinden können. Modulare Arbeitslandschaften sind symptomatisch dafür. Dort gibt es Wohlfühlbereiche, in denen man an Steh- und Sitzmöglichkeiten zwanglos zusammenkommt – dabei suchen wir unsere Mitmenschen gern auf gleicher Ebene auf, ganze Stockwerke hingegen überwinden wir ungern.
- Kollegen crossfunktional vernetzen: Hier geht es darum, Kollegen, die nicht regelmässig zusammenarbeiten, kreuz und quer durchs Unternehmen zu vernetzen. Das kann über gemeinsame Hobbys passieren, oder auch durch «Blind Lunches» und «Zufallskaffees», bei denen die, die sich noch nicht kennen, zusammengewürfelt werden. Innovationen entstehen am ehesten dann, wenn sich Menschen über die gesamte Firma hinweg Gedanken über die Zukunft des Unternehmens oder HR-Bereichs machen.
- Plauschpausen ermöglichen: Der beste Output kommt meist dann zustande, wenn wir unsere Einfälle bei einem anregenden Gespräch mit anderen teilen. Jeder Gedanke wird klüger, schärfer, präziser, brillanter, wenn man ihn ausgiebig bespricht. Zudem helfen unbeteiligte Dritte, herauszufinden, woran man selbst nicht gedacht hat. So kann sich aus einer simplen Idee, kreativ und wertschätzend angereichert, schliesslich etwas Besonderes formen.
- Die «Weisheit der Vielen» nutzen: Zwar ist die Expertise jedes Einzelnen von hoher Bedeutung, um gute Ergebnisse zu erzielen, doch das kluge Zusammenbringen von Können und kollektiver Intelligenz spielt eine noch viel grössere Rolle. Viele wissen mehr als einer allein. Je mehr unterschiedliche Perspektiven eingebracht werden, desto eher werden neue Ideen gefunden. Dabei geht es um jeden hilfreichen Vorstoss, ganz egal, aus welcher Ecke er kommt.
- Kollegiale Beratung implementieren: Dazu werden, bevor eine Idee präsentiert oder eine wichtige Entscheidung getroffen wird, verpflichtend immer mindestens zwei sachkundige (!) Personen befragt – keine Kolleginnen oder Kollegen, die man schlichtweg sympathisch findet. Ideen stehen auf einer breiteren Basis, wenn man sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und sowohl Zuspruch als auch abweichende Meinungen hört. So kann man auch der Betriebsblindheit entgehen.