Wie haben Sie’s mit dem Talentmanagement?
Talentmanagement ist mitten in der Schweizer Wirtschaft angekommen und wird weiter intensiv professionalisiert. Das zeigt eine Exklusiv-Umfrage unter neun Unternehmen aus dem Dienstleistungs-, Industrie- und Non-Profit-Sektor.
Balanceakt: Der Umgang mit Talenten verlangt nicht nur vom HR viel Geschick. (Illustration: iStockphoto)
Fragt man namhafte Schweizer Unternehmen nach ihren Anstrengungen im Bereich Talentmanagement und nach der Bereitschaft, sich öffentlich einem Vergleich zu stellen, erhält man unterschiedliche Reaktionen. Unternehmen aus dem Dienstleistungs- und Industriesektor, die keine Gegenüberstellung scheuen, gibt es durchaus. An der folgenden Umfrage teilgenommen haben Alstom, Berner Kantonalbank (BEKB), Helsana, IBM, PwC, Raiffeisen, SBB, Swiss Re und mit dem Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) hat sich sogar eine Organisation aus dem Non-Profit-Bereich an der Umfrage beteiligt – ein Sektor, der ähnlich wie der Stiftungsbereich in Zukunft noch vermehrt in das Thema Talentmanagement investieren dürfte. Explizit eine Teilnahme abgelehnt hat allerdings die Bundesverwaltung, weshalb in der vorliegenden Umfrage leider eine nationale Stimme aus dem Verwaltungssektor fehlt.
Anstrengungen intensiviert
Die Autoren der Antworten tragen Titel wie Head of Talent Management (Alstom), Leiter Personal und Leiter Personalentwicklung (BEKB), Leiter Management Development (Helsana), Leiter Talent Management (IBM), HR-Leiterin Schweiz und Leiterin Kompetenzzentrum Talent Management & Succession Planning (PwC), Leiter HR (Raiffeisen), Personalentwicklung – Beratung & Entwicklung (SBB), Leiter Personal (SRK) oder Head Talent Management & Learning (Swiss Re).
Mit anderen Worten: Viele der teilnehmenden Unternehmen haben in den vergangenen Jahren für ihre Talentmanagement-Anstrengungen eigene Abteilungen aufgebaut, was die Bedeutung des Talentmanagements unterstreicht. Namentlich Alstom, PwC und SBB erklären, in der jüngeren Vergangenheit ihre Talentmanagement-Aktivitäten zentralisiert und organisatorisch neu aufgesetzt zu haben. Die befragten Unternehmen geben zudem praktisch unisono an, dass sie ihre Talentmanagement-Prozesse systematisiert und in den strategischen Unternehmenszielen verankert haben, die meist vom HR im Auftrag der Geschäftsleitung und gemeinsam mit der Linie gesteuert werden. Nicht selten ist die Konzernleitung in Form von Dialogen in Talentprogramme involviert – im Fall der SBB inklusive CEO.
Gretchenfrage: Talent sein oder haben?
Der Begriff «Talent» wird von den befragten Unternehmen unterschiedlich definiert. Bei der Swiss Re etwa wird grundsätzlich jeder Mitarbeitende als Talent betrachtet. Dasselbe gilt für die PwC, die jedoch zwischen «Talent sein» und «Talent haben» differenziert: «Wir glauben, dass alle unsere Mitarbeiter Talente haben. (…) Als Talente bezeichnen wir die Fähigkeiten eines Mitarbeiters, die zum Erfolg unseres Unternehmens beitragen.» Ähnlich tönt es bei Alstom: «Talent ist ein Set von Fähigkeiten und Verhaltensweisen, welche es dem Mitarbeitenden erlauben, die Extrameile zu gehen.» Aus der Reihe tanzen Raiffeisen und das SRK, die den Begriff «Talent» intern gar nicht verwenden.
Auf die Frage, ob mehr Ressourcen in die Entwicklung oder den «Einkauf» von Talenten investiert werden, zeigt sich eine deutliche Tendenz: BEKB, IBM, PwC, Raiffeisen und SBB bekennen sich klar dazu, stärker in die Entwicklung bestehender Mitarbeiter zu investieren, während Alstom, Helsana und Swiss Re im Grundsatz zwar beipflichten, aber auch den Wert einer guten Durchmischung zwischen internen und externen Talenten hervorheben. Einzig das SRK deklariert, «derzeit noch mehr in den Einkauf» zu investieren. Zielwerte, offene Stellen durch interne Talente zu besetzen, werden nicht von allen befragten Unternehmen ausgewiesen. Wo angegeben, bewegen sich die Werte zwischen 40 % (Swiss Re) und 70 % (Alstom).
Blick in die Zukunft
Interessant sind auch die Prognosen, welche Themen das Talentmanagement in den nächsten fünf bis zehn Jahren beherrschen werden. Neben Megatrends wie dem demografischen Wandel und dem daraus folgenden Fachkräftemangel, der rasant fortschreitenden Entwicklung der Globalisierung, neuer Technologien und Social Media werden von den Unternehmen auch folgende Trendthemen in der Mitarbeiterbindung mehrfach genannt: die individuellen Bedürfnisse der verschiedenen Generationen, namentlich die Lebensmodelle der Generation Y, das Talentmanagement der Generation 50+ sowie gesellschaftliche Trends betreffend Teilzeitmodelle oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Geschlechter. Eine interessante Prognose formuliert die Alstom: «Wir werden stark auf Nomaden-Talente fokussieren müssen, die nach 2-3 Jahren weiterziehen. Die Herausforderung wird sein, diese nach den Wanderjahren und noch besser ausgebildet wieder zu Alstom zurückzubringen.»
Mitarbeiterbindung über alles?
Apropos individuelle Mitarbeiterbindung: Auf die Frage, welche spezifischen Massnahmen die Organisation punkto Bindung ihrer Talente kennt, antwortete die PwC sehr ausführlich und mit konkreten Beispielen, die den Rahmen der Umfrage gesprengt haben, an dieser Stelle aber auszugsweise wiedergegeben sein sollen, weil sie durchaus interessante Ansätze enthalten: «In der Mitarbeiterbindung sehen wir die grösste Effektivität, unsere Ziele in Bezug auf Talentmanagement zu erreichen, beispielsweise
- investieren wir mehr als 10 % unseres Umsatzes in das Weiterbildungsangebot für unsere Mitarbeiter.
- sind unsere Mitarbeiter sehr flexibel in Bezug auf ihren Arbeitsort, ihre Arbeitszeit und ihr Arbeitsmodell.
- unterstützen wir unsere Mitarbeiter in verschiedenen privaten wie geschäftlichen Situationen, zusammen mit einer externen Mitarbeiterberatung. Das Angebot umfasst beispielsweise Dienstleistungen in finanziellen und rechtlichen Bereichen oder versichersungstechnischen Fragen.
- beraten wir Eltern beim Finden eines Krippenplatzes, in schwierigen Erziehungsfragen oder im Einleben in ihrer neuen Rolle oder in Situationen, in denen ihre eigenen Eltern Betreuung beanspruchen. Mütter profitieren zudem während und nach der Schwangerschaft von einem «Mom4-Mom»-Programm, mit dem ihnen andere Mütter bei PwC als Mentor zur Verfügung stehen.»
Etwas Gegensteuer gibt die Berner Kantonalbank, indem sie beim Stichwort Mitarbeiterbindung bemerkt: «Talenten zeigen wir Karrierechancen und Laufbahnmöglichkeiten, aber auch Grenzen auf. (...) Nicht akzeptierte Grenzen haben auch schon zu Abgängen geführt.