Erzählen Sie uns von der Rekrutierung bei Microsoft. Ich habe gelesen, Ihr Ansatz sei sehr aggressiv …
Natürlich wollen wir die Besten anziehen (lacht). Ich würde trotzdem verneinen, dass wir uns in der Schweiz aggressiv verhalten. Unsere Bedürfnisse sind hier nicht sehr gross. Bei rund 50 Rekrutierungen pro Jahr stellen wir etwa 20 junge Absolventinnen und Absolventen ein.
Wissen Sie, wie viele Bewerbungen Microsoft pro Jahr erhält?
Nicht genau. Wir nutzen ein globales System, um Bewerbungen auszuwählen.
Wie funktioniert das?
Das Microsoft-Rekrutierungsteam besteht aus Personalvermittelnden, die Spezialistinnen und Spezialisten auf ihrem Gebiet sind. Häufig ehemalige Headhunter, die für die gesamte Microsoft-Gruppe rekrutieren. Für die Schweiz und Österreich sind sechs Personen zuständig. Sie rapportieren nicht an mich, sondern ich wende mich an sie, wenn ich ein Rekrutierungsbedürfnis habe.
Es wird gesagt, Microsoft konzentriere sich bei der Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten eher auf deren Intelligenz und die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, als auf ihre Erfahrung. Stimmt das?
Es ist vor allem die Mentalität der Kandidaten, die zählt. Werden sie sich in unsere Kultur integrieren? Dabei geht es nicht um den kulturellen Fit, weil wir glauben, dass sich die Kultur ständig entwickelt. Vielmehr suchen wir Kandidatinnen und Kandidaten mit einem «growth mindset»: Geistig flexible, kreative Menschen mit digitalen Fähigkeiten, die lernbegierig sind und akzeptieren, dass ihr Job in zehn Jahren völlig anders aussehen wird.
Microsoft versteht sich somit als eine Organisation, die sich ständig verändert?
Ja. Vor drei Jahren haben wir auf weltweiter Ebene eine grosse Investition getätigt, um Cloud Solution Architects zu finden, welche die HR-Anforderungen unseres Cloud-Azure-Angebots erfüllen. Das sind sehr technische Profile und unsere Personalabteilung hatte grosse Schwierigkeiten, sie zu finden. Um die Situation zu verstehen, haben wir unsere internen Daten analysiert und Umfragen auf Linkedin durchgeführt. Dabei haben wir festgestellt, dass 80 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten mit solchen Profilen bereits mit uns arbeiten. Deshalb haben wir unsere Sourcing-Mitarbeitenden geschult und das Sourcing auf andere Länder ausgeweitet.
Was zeichnet die Unternehmenskultur von Microsoft aus?
Das ist schwer in ein Wort zu fassen. Es ist eine Kultur, die sich um den «growth mindset» dreht und eine Haltung des Wachstums sowie der lebendigen Lernkultur innehat. Wir wollen jeden Tag besser sein als am Tag zuvor.
Hat sich die Kultur stark verändert, seit Sie im Unternehmen arbeiten?
Ja, sehr. Am Anfang war sie sehr technisch. Daraus wurde eine sehr vertriebsorientierte Kultur. Heute würde ich sagen, dass es eine Mischung aus einem natürlichen Verständnis für Wachstum und einer Rückkehr zur Technik ist.
Können Sie uns diese Entwicklung näher erläutern?
Nach den Gründungsjahren bestand unsere Haupttätigkeit darin, Lizenzen zu verkaufen. Wir haben uns daher hauptsächlich an IT-Manager gewandt. Heute richten wir uns eher an Entscheidungsträger, CEOs, CDOs und CFOs sowie an HR-Führungskräfte, um herauszufinden, wie Microsoft sie bei der digitalen Transformation unterstützen kann. Das ist ein grundlegend anderer Ansatz.
Hat sich Ihre Rolle als HR-Leiterin in diesem Kontext entwickelt?
Ja. Ich habe zum Beispiel viele Besprechungen mit Kunden, was vorher nie der Fall war. Ich verkaufe nicht, aber ich begleite unsere Vertriebsmitarbeitenden zu Grosskunden, um zu erklären, wie die HR-Funktion Technologie und Daten verwendet, um Führungskräfte zu unterstützen und die Organisation zu transformieren.
Welche Tools sind das?
Office 365, Teams und Power BI – Letzteres ist eine Datenbank mit einem Dashboard mit allen HR-Zahlen. So kenne ich zum Beispiel immer den Zustand unserer Belegschaft und unsere Fluktuationsrate.
Wie hoch ist diese?
Über zehn Prozent. Derzeit testen wir einen neuen Indikator: die prognostizierte Fluktuationsrate.
Worum geht es bei dieser Kennzahl?
Anhand verschiedener Indikatoren wie Beruf, Dienstalter oder Rollen, können wir Populationsgruppen ermitteln, bei denen das Risiko besteht, dass sie uns verlassen. Das sind bei Microsoft vor allem Leute, die seit drei bis fünf Jahren bei uns arbeiten. Es ist ziemlich logisch, dass sich Mitarbeitende nach drei Jahren in derselben Rolle fragen, wie ihre Zukunft aussehen wird.
Wie reagieren Sie auf diese Risiken?
Der erste Reflex unserer Führungsetage bestand darin, mehr Geld zu verlangen, um Mitarbeitende mit Retentionsprämien zu halten. Das haben wir ausnahmsweise gemacht, aber es ist kein Ziel an sich. Die Daten aus Exit-Interviews haben uns den Hauptgrund für diese Abgänge vermittelt: die Wahrnehmung eines Mangels an internen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Deshalb arbeiten wir stark daran, das Bewusstsein dafür sowie die Entwicklungspläne und die Nachfolgeplanung zu schärfen, die wir unseren Mitarbeitenden anbieten.
Kommen wir auf Ihr neues Geschäftsmodell zurück. Was heisst das für die Arbeitsorganisation?
Nehmen wir einen unserer Verkäufer, der ein grosses Konto verwaltet, beispielsweise das einer Schweizer Grossbank. Er oder sie kann nicht alles wissen. Daher haben wir ein multidisziplinäres Team mit sehr technischen und kommerzielleren Rollen um ihn herum aufgebaut. Das ist eine wichtige Änderung. Während wir früher in Silos gearbeitet haben, ist die Teamarbeit heute vorherrschend. Die Kollaboration ist zu einer wichtigen Dimension unserer Kultur geworden.
Der Wettbewerb mit anderen Konzernen ist hoch, was die Löhne – zumindest in den USA – in die Höhe treibt und zu einem Überangebot an Fringe Benefits führt. Welche Konsequenzen hat das für Sie?
Wenn ich nur den Schweizer Markt betrachte, spüren wir langsam die Konkurrenz von Google, einem Unternehmen, das mit seinen 5000 Mitarbeitenden gut etabliert ist. Dieser Wettbewerb ist aber neu. Zuvor war Google sehr entwickler- und wir vertriebsorientiert. Seit Google Cloud-Services anbietet, ist die Konkurrenz jedoch stärker geworden.
Was ist mit Facebook?
Bisher ist das keine wirkliche Konkurrenz. Facebook konkurriert vielmehr mit unserer Division «Virtuelle Realität».
Amazon?
Mit der Technologieabteilung AWS (Amazon Web Services) sind sie ein Cloud-Konkurrent.
Apple?
Nein. Die sind eher auf den Einzelhandel ausgerichtet.
Wie positionieren Sie sich in Bezug auf das zunehmende Fringe-Benefits-Angebot anderer Arbeitgebender?
Wettbewerb ist eine gute Sache. So bleiben wir am Ball. Wir werden aber nicht alles ändern, um mit einem Konkurrenten mitzuziehen. Wir versuchen vielmehr, unsere Talente zu halten und mit ihnen über die Zukunft bei Microsoft zu sprechen. Aber machen wir uns nichts vor: Einige werden gehen, besonders junge Absolventinnen und Absolventen, die noch nie etwas anderes gemacht haben und denken, dass das Gras anderswo grüner ist. Das ist ganz normal. Manchmal muss man jemanden gehen lassen, damit er ein paar Jahre später wiederkommt. Das sind die berühmten Bumerangs (lächelt).
Die künftige Herausforderung wird darin bestehen, unsere Dienstleistungen in Bezug auf die verschiedenen Altersgruppen besser zu segmentieren. Millennials suchen nicht unbedingt eine lebenslange Karriere bei Microsoft. Sie wollen drei Jahre mit uns zusammenarbeiten und dann anderswo ein Projekt begleiten. Diese Realität müssen wir akzeptieren. Junge Menschen haben keine lebenslange Loyalität mehr gegenüber einem Unternehmen.