MICE-Special 2015: Compliance

Wirksame Anreize statt plumpe Bespassung

Incentives sind ein seit langem gebräuchliches Instrument zur Motivation von Kunden und 
Mitarbeitern – und ein besonders wirksames dazu. Das gilt speziell für Reisen und Einladungen zu Unterhaltungsveranstaltungen: Solche Incentives werden von den Empfängern stärker als 
persönliche Wertschätzung empfunden als rein finanzielle Anreize wie etwa Bonuszahlungen.

Incentives eignen sich zur Pflege der Unternehmenskultur, denn sie machen die geschäftliche Zusammenarbeit persönlicher und auch menschlicher. Doch gerade diese Vorzüge laden zu Missbrauch ein, wofür besonders der Vertrieb als anfällig gilt. Das ist durch einige spektakuläre Skandale in den vergangenen Jahren offensichtlich geworden, etwa durch die Ergo- und die Wüstenrot-Affären in Deutschland. Da liessen es ausgerechnet biedere Versicherungs- und Bausparvertrags-Vertreter mal «so richtig krachen».

Spitze des Eisbergs

Doch die Sex-Sause im Thermalbad und der Betriebsausflug ins Bordell sind nur die Spitze des Eisbergs. Viel zu lange schon sind Ausschweifungen aller Art, sinnfreies Bespassen und Prassen selbstverständlicher Bestandteil von Incentive-Programmen. Hier droht in Zeiten des Web 2.0 höchste Gefahr für die Unternehmensreputation: Ganz schnell werden kompromittierende Fotos und Videos im Internet zum Hit und zirkulieren dort bis in alle Ewigkeit. Das kann sich für die betroffenen Unternehmen zum Umsatz- und Image-Fiasko auswachsen – die Ergo-Versicherung kann ein Lied davon singen.

Darum werden Incentives inzwischen kräftig reguliert und wachsende Verunsicherung greift um sich: Was darf man noch, was ist verboten? Selbst bei Vertriebsevents zeigen sich die Unternehmen immer weniger spendabel: Viele verzichten vorsichtshalber ganz auf die früher so beliebten Veranstaltungen. Doch Verzicht ist keine Lösung – schliesslich sind Incentives erwiesenermassen ein besonders wirkungsvolles Motivationsinstrument.

Incentives unter Compliance-Aspekten

Die Frage nach den «No-Gos» ist einfach zu beantworten: Auf dienstlichen Reisen und Veranstaltungen ist alles zu unterlassen, was in Widerspruch steht zu Gesetzen, ethischen Normen, Moralvorstellungen der Gesellschaft und den eigenen Unternehmenswerten. Ausschweifungen aller Art, seien es alkoholische, sexuelle oder sonstige, sind tabu. Die Unternehmen müssen sich entsprechende Regeln geben und deren Einhaltung überwachen.

Definition von Incentives

  • Incentive Events sind Eigenveranstaltungen eines Unternehmens und dienen zur Motivation und Belohnung von Kunden und im Betrieb vor allem von Vertriebs- und Verkaufsmitarbeitenden. Incentive Events werden häufig als aufwendige Reiseveranstaltungen mit attraktiven Zielorten inszeniert, um eine hohe Anreizwirkung zu erreichen.

Auch die Ergo-Versicherung hat das nach ihrem Budapest-Skandal versucht – und sich dabei gänzlich zum Gespött gemacht: Als Konsequenz aus der Orgie in der Gellert-Therme hat man eine neue Incentive-Richtlinie erlassen, die festlegt, dass Incentive-Reisen mit Versicherungsmaklern künftig nur noch unter Teilnahme der Ehe- und Lebenspartner stattfinden dürfen. Merke: Wenn die eigene Frau dabei ist, geht der Versicherungsmakler nicht ins Bordell.

Incentives müssen vernünftig sein

Damit delegiert die Ergo die dienstliche Aufsicht an die privaten Lebenspartner, statt in der Richtlinie einfach vorzuschreiben: «Wir halten uns auch auf Incentive-Reisen an unsere Unternehmenswerte und wer sich nicht dran hält, kann gehen!» Ergo aber möchte unsittliche Handlungen offenbar nicht einfach untersagen – man fürchtet wohl, die Makler zu verprellen.

Grundsätzlich gilt: Incentives müssen «vernünftig und angemessen» sein. Das sind die zwei zentralen Forderungen der Compliance. Vernünftig und angemessen sind Incentives, die einen Bezug zum Unternehmen aufweisen und eindeutig im geschäftlichen Kontext verankert sind. Das gilt auch für interne HR-Events. Diese Forderung steht im Gegensatz zur verbreiteten Praxis, Incentives mit Blick auf ihren Unterhaltungswert zu konzipieren. Incentives sind Marketing-Events – also ein Kommunikationsinstrument. Es darf nicht der Eindruck entstehen, es ginge dabei zuerst um das Amusement der Teilnehmer – und nicht um die Botschaft des einladenden Unternehmens.

Zielort niemals nur durch Unterhaltungswert auswählen

Die Wahl des Zielorts ist für die Anreizwirkung eines Incentives besonders wichtig, deshalb wurde hier in der Vergangenheit auch viel Schindluder getrieben. So lud der Geschäftsbereich Telefongrossanlagen eines deutschen Elektro-Weltkonzerns seine Top-100-Kunden nebst Ehe- und Lebenspartnern zu einer mehrtägigen Reise nach Venedig ein, um dort in einem historischen Palazzo am Canal Grande einen Maskenball wie zu Casanovas Zeiten zu feiern.

Doch was in aller Welt haben Casanova und Venedig mit Telefongrossanlagen zu tun? Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, Themen und Reiseziele zu finden, die einen Bezug zu Technologie oder Kommunikation besitzen und die Teilnehmer trotzdem begeistern. Der Zielort einer Incentive-Reise sollte niemals nur nach Unterhaltungswert oder touristischer Attraktivität ausgewählt werden, sondern immer zuerst danach, ob das Reiseziel einen inhaltlichen Bezug zum Unternehmen und zu seinen Marketing-Zielen aufweist – und darüber hinaus von den Teilnehmern als Anreiz beziehungsweise Belohnung empfunden wird.

Gibst du mir, geb ich dir

Eine Kernfrage der Compliance ist der finanzielle Gegenwert der Einladung. Er sollte stets im Verhältnis zur Leistung und zur Bedeutung des Empfängers stehen. Es empfiehlt sich, die Teilnahmeberechtigung wie bei Umsatzzielen an das Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes zu koppeln und darüber hinaus nach Leistung abgestufte Wertgrenzen zu definieren, beispielsweise nach Entfernung der Reiseziele.

Definition von Compliance

  • Compliance bezeichnet die institutionalisierte Befolgung von Gesetzen und ethisch-moralischen Normen durch eine Organisation im geschäftlichen Verkehr. Die organisatorische Verankerung erfolgt durch Compliance-Richtlinien und deren Kontrolle durch Compliance-Beauftragte. Compliance zielt auf ein rechtlich und ethisch-moralisch einwandfreies Verhalten des Unternehmens zur Vermeidung von Strafzahlungen und Imageschäden – und natürlich als Selbstzweck.

Das verstärkt die Anreizwirkung und macht die Höhe der Belohnung nachvollziehbar. Fern gelegen und touristisch attraktiv darf es ruhig sein – aber nur im Verhältnis zur Leistung der Eingeladenen und zu den Veranstaltungszielen. Allgemein gültige Vorschriften für die Höhe von Wertgrenzen gibt es nicht; das Unternehmen kann sie nach eigenem Ermessen festsetzen. Dabei sollte bedacht werden, dass Incentives motivieren und Wertschätzung signalisieren sollen. Zu niedrige Wertgrenzen erreichen das Gegenteil.

Mitnahme der Lebenspartner

Ein weiteres Problem bei Incentives ist die Mitnahme der Ehe- und Lebenspartner auf Kosten des einladenden Unternehmens. Compliant ist sie eigentlich nur, wenn es die Art der Veranstaltung wie bei der Gesellschaftsveranstaltung mit Tanz erfordert. Sensibel ist diese Frage aber vor allem bei Kunden-Incentives, weniger bei Mitarbeitenden. Oft wird propagiert, man solle eine private Zuzahlung der Ehe- und Lebenspartner verlangen; das wird allerdings einer Belohnungsveranstaltung nicht gerecht und kann deren Anreizwirkung ins Gegenteil verkehren.

Nicht übersehen werden sollte ausserdem, dass die Teilnahme der Partner auch antreibend auf die Mitarbeiter wirken kann, zum Beispiel wenn die schönsten Kabinen auf einem Kreuzfahrtschiff nach Umsatzrang vergeben werden. Dann wird sich mancher in einer billigeren Kabine anhören müssen, er möge sich doch demnächst etwas mehr anstrengen.

Fazit

Compliance ist nötig, gerade bei Incentives, was die Skandale der letzten Jahre eindrücklich belegen. Es mag erstaunlich klingen, aber Aktionen wie die in der Gellert-Therme sind nicht strafbar und konnten sogar als Werbungskosten steuerlich abgesetzt werden, bevor die Sache aufflog. Es braucht also Compliance-Regeln, um die Mitarbeiter zu Wohlverhalten zu verpflichten.

Das Incentive der Zukunft ist transparent, vernünftig und angemessen. Seine Botschaften sind stringent aus der Marketing- oder HR-Kommunikationsstrategie des Unternehmens abgeleitet. Incentives sind Kommunikationsinstrumente – und nicht etwa Gelegenheiten, um «in Saus und Braus» zu feiern.

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Prof. Dr. Hans Rück (50) ist Dekan des Fachbereichs Touristik/Verkehrswesen an der Hochschule Worms, Deutschland, und lehrt dort Marketing und Event-Management. Er ist Mitglied des Deutschen Instituts für Compliance (DICO) e.V. und gilt als einer der führenden deutschen Experten für Event Compliance.

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