Heft Nr. 11/2015: Arbeit und Recht

Work-Life-Blend – wir sollten es wagen, 
die Sinnfrage zu stellen

«In der Arbeitswelt von morgen wird man nicht mehr über Work-Life-Balance sprechen. Die Arbeit der Zukunft gehört der Vermischung von Arbeitszeit und Freizeit.» Diese Aussage machte jüngst die Geschäftsführerin von Microsoft Deutschland im Rahmen einer Sondersendung des Deutschen Fernsehens über die Arbeitswelt der Zukunft.  Man spreche bei Microsoft lieber von Work-Life-Blend – also einer Arbeitszeit/Freizeit-Mischung, führte sie weiter aus.
Die Sorge des Juristen bezüglich gesetzlicher Gratwanderung ist also sehr berechtigt.

Wie will Microsoft ein solches Arbeitszeitmodell in Worte fassen und in einem Arbeitszeitreglement klar festhalten? Setzt man hier einfach auf (Selbst-)Vertrauen und überlässt es dem Gefühl des Mitarbeiters, ob er seine vertragliche Arbeitszeit eingehalten hat? Dass Mitarbeiter nach Gefühl nicht wissen können, wie lange sie gearbeitet haben, wurde an dieser Stelle in vorherigen Kolumnen bereits detailliert begründet. Die sogenannte Vertrauensarbeitszeit (Gefühlsarbeitszeit) kommt bei einer Work-Life-Blend-Arbeitsweise wohl definitiv nicht in Frage. Die gute Nachricht: Heutige Zeiterfassungssysteme können dank mobilen Erfassungsmöglichkeiten auch in einer Work-Life-Blend-Arbeitswelt helfen, die Arbeitszeiten effizient zu erfassen und reglementskonform abzurechnen. Sind Reisezeiten, Arzttermine und andere Sonderfälle in einem Reglement klar definiert, ist eine moderne Zeiterfassungslösung in der Lage, solche Sonderfälle korrekt auszuweisen. Trotzdem sei die Frage nach dem Sinn der zunehmenden Vermischung von Arbeitszeit und Freizeit erlaubt.

Die Diskussion um die Arbeitszeiterfassung ist stellenweise absurd. Ein Mitarbeiter begründete jüngst gegenüber seinem Arbeitgeber, er müsse auch am Wochenende seine Arbeitszeiten erfassen dürfen. Schliesslich habe er oft die besten Ideen, wenn er auf dem Skilift sitze und an die Firma denke. Die Personalchefin seines Arbeitgebers erklärte ihm dann, dass er in der Firma auch nicht ausstempeln müsse, wenn er während der Arbeitszeit an seine Freizeitaktivitäten, seine Frau oder seine Kinder denke. Der Arbeitgeber garantiert seinen Mitarbeitenden ein gesichertes Monatseinkommen, mit dem diese ihr (Privat-)Leben finanzieren. Das kann er auch in der Arbeitswelt der Zukunft nur dann, wenn die Mitarbeitenden sich auf ihren Arbeitsauftrag konzentrieren. Dass ein Mitarbeiter für ein paar Stunden privat nicht erreichbar ist – Notfälle ausgenommen –, ist ein Teil der Entschädigung in Form eines Lohnes. Ohne konzentriertes Arbeiten sind viele Tätigkeiten schlicht nicht sinnvoll oder gar unmöglich. Aus der Zeitforschung gibt es wichtige Erkenntnisse, die zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen können. Statt unsere Arbeitsgesetze weiter basierend auf einem Links-/Rechts-Schema auszuformulieren, wäre es sinnvoll, Ergebnisse aus der Zeitforschung im Gesetzgebungsprozess mitzuberücksichtigen.

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Text: Ivo Muri

Ivo Muri ist Zeitforscher im luzernischen Sursee und beschäftigt sich mit Gesellschaftsfragen. Er gibt sein Wissen in Seminaren und Referaten weiter. www.ivomuri.ch

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