HR Today Nr. 6/2020: Fokus Forschung

Zwischen Fürsorgepflicht und Persönlichkeitsschutz

Arbeitgeber haben sich nicht für religiöse, politische oder sexuelle Ausrichtungen von Mitarbeitenden zu interessieren. Gleichzeitig sind sie in der Schweiz rechtlich verpflichtet, Leben und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. Das führt zu einem Dilemma: Etwa, wenn die sexuelle Orientierung eines  Mitarbeitenden bei der Auslandsentsendung zum Risiko wird. Ein niederländisches Forschungsteam hat hierzu die Erfahrungen von betroffenen Expats gesammelt und analysiert.

Der Besitz einer Bibel ist auf den Malediven verboten. Gemäss geltendem Recht – wenn auch selten oder nie vollzogen – können homosexuelle Aktivitäten in Katar mit dem Tod bestraft werden. Was zunächst nach skurrilen Einzelbeispielen klingt, kann bei entsendeten Expats durchaus zum Thema werden, vor allem weil deren sexuelle oder religiöse Orientierung den Firmen üblicherweise unbekannt sind.

Julian Rengers und sein Forschungsteam haben Daten, Lösungen und Meinungen von betroffenen Expats von Médecins Sans Frontières zusammengetragen. Dabei stiessen sie auf Ausgrenzung, Mobbing, physische Aggression und Friktionen mit lokal geltendem Recht. Diese Problematik exis­tiert jedoch nicht nur in der humanitären Hilfe, sondern überall, wohin Expats entsendet werden.

Folgende Erkenntnisse lassen sich umreissen:

  • Der Persönlichkeitsschutz ist natürlich unantastbar. Trotzdem können die religiöse oder sexuelle Orientierung von Expats in bestimmten Entsendungsländern einige Herausforderungen beinhalten.
  • Das erzwungene Unterdrücken von relevanten Persönlichkeitsmerkmalen wie der religiösen oder sexuellen Orientierung im Entsendungsland stellt auf Dauer eine ernsthafte Belastung für Expats dar.
  • Trotz der sehr privaten Natur dieser Herausforderungen sind Firmen für den Schutz ihrer Expats mitverantwortlich und können die Lösung nicht nur an die Betroffenen delegieren.

Entsprechend lassen sich folgende Handlungsrichtlinien ableiten:

  • Insbesondere die Personalabteilungen müssen das Bewusstsein entwickeln, dass persönliche Charakteristiken der Expats bei Entsendungen an Bedeutung gewinnen können.
  • Bei Entsendungen müssen die Zielländer in Bezug auf die wirtschaftliche Lage sowie die gesetzliche und gesellschaftliche Situation gegenüber anderen Religionen, der LGBT+-Gemeinschaft oder anderen Minderheiten analysiert werden.
  • Die Bereitstellung von Informationen über das Zielland vor der Entsendung sowie einer Anlaufstelle für Sorgen der Entsendeten können hilfreich sein.

Quelle: Rengers, J.M., Heyse, L., Otten, S. and Wittek, R.P.M. (2019). «It’s Not Always Possible to Live Your Life Openly or Honestly in the Same Way» – Workplace Inclusion of Lesbian and Gay Humanitarian Aid Workers in Doctors Without Borders. Frontiers in Psychology. 10:320. DOI: 10.3389/fpsyg.2019.00320

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Reto Wegman ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Rektors an der Universität Luzern

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